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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Die Schwesternfrage

wenn nicht auf ihre vollständige Rückkehr zum Block, bedarf diese Taktik des
Ministers keiner weitern Erklärung. Der unbefangne Beobachter aber wird
sich dadurch in dem Urteil nicht beirren lassen, daß sogar eine so vorsichtige
Darstellung des Überganges vom Gegenwarts- in den Zukunftsstaat, wie die
des Evolutionisten Jaures, nur die Unmöglichkeit einer wahren und dauer¬
haften Verständigung sogar zwischen den fortgeschrittensten bürgerlichen
Richtungen und der Sozialdemokratie erkennen läßt. Herr Clcmenceau hat
mit dem Bernsteinschen Worte operiert, daß das Endziel nichts, die Bewegung
darauf hin alles sei. Es paßte ihm so, aber er wird sich wohl selbst nicht
darüber täuschen, daß er damit hinter der Entwicklung zurückgeblieben ist. Die
Vorstellung, daß sich die Sozialdemokratie auf der Bernsteinschen Basis mit
der Zeit damit zufrieden geben werde, wenn die Bewegung vor der Er¬
reichung des Endziels stecken bliebe, ist durch die offenkundige Stellung nicht
nur der deutschen, sondern auch der französischen Sozialdemokratie in den
letzten Jahren gründlich abgetan. Die Sozialdemokratie würde sich bei ihrem
allein sichern Anhang, dem revolutionär versetzten Proletariat, unmöglich
machen, wollte sie die Unerfüllbarkeit ihrer Zukunftsstaatshoffnungen, wenn
auch nur stillschweigend, anerkennen. Keiner mehr, als gerade Innres, beweist
in seiner Person, daß die heutige Sozialdemokratie nicht zur bürgerlichen
Gesellschaft hinstrebt, sondern von ihr wegstrebt. Mögen gutgläubige Ideologen
noch so fest vertrauen, für die soziale und die bürgerliche Demokratie eine
gemeinsame Linie finden zu können, an der Frage des Eigentums scheiden
sich die Geister und werden sie sich in alle Zukunft scheiden. Vorübergehend
mag eine Blocktaktik gewisse Erfolge haben; früher oder später, äußerstenfalls
unmittelbar vor der Pforte des Znkunftsstacits, ist die Einigkeit zu Ende und
der Zusammenstoß unvermeidlich.




Z)le Schwesternfrage
Marie Franz von

le im Schwesternberuf in der jüngsten Zeit neu auftauchenden
Fragen haben nicht nur die Berufsgenossen beunruhigt, erregt
oder interessiert, sondern auch die weitesten Kreise.

Die moderne Zeit, die so vieles überlebte, heutzutage nicht
mehr geeignete ausscheiden und neue Werte an die Stelle der
alten setzen muß, erschüttert auch das feste Gebäude der Krankenpflege. Immer
größer sind im Laufe der Jahre die Anforderungen der Hygiene geworden,
besser geschulte Pflegerinnen werden verlangt und ausgebildet, aber die vermehrte
Arbeit verlangt auch eine größere Anzahl von Schwestern. Der Schwesternberuf,


Grenzboten III 1906 17
Die Schwesternfrage

wenn nicht auf ihre vollständige Rückkehr zum Block, bedarf diese Taktik des
Ministers keiner weitern Erklärung. Der unbefangne Beobachter aber wird
sich dadurch in dem Urteil nicht beirren lassen, daß sogar eine so vorsichtige
Darstellung des Überganges vom Gegenwarts- in den Zukunftsstaat, wie die
des Evolutionisten Jaures, nur die Unmöglichkeit einer wahren und dauer¬
haften Verständigung sogar zwischen den fortgeschrittensten bürgerlichen
Richtungen und der Sozialdemokratie erkennen läßt. Herr Clcmenceau hat
mit dem Bernsteinschen Worte operiert, daß das Endziel nichts, die Bewegung
darauf hin alles sei. Es paßte ihm so, aber er wird sich wohl selbst nicht
darüber täuschen, daß er damit hinter der Entwicklung zurückgeblieben ist. Die
Vorstellung, daß sich die Sozialdemokratie auf der Bernsteinschen Basis mit
der Zeit damit zufrieden geben werde, wenn die Bewegung vor der Er¬
reichung des Endziels stecken bliebe, ist durch die offenkundige Stellung nicht
nur der deutschen, sondern auch der französischen Sozialdemokratie in den
letzten Jahren gründlich abgetan. Die Sozialdemokratie würde sich bei ihrem
allein sichern Anhang, dem revolutionär versetzten Proletariat, unmöglich
machen, wollte sie die Unerfüllbarkeit ihrer Zukunftsstaatshoffnungen, wenn
auch nur stillschweigend, anerkennen. Keiner mehr, als gerade Innres, beweist
in seiner Person, daß die heutige Sozialdemokratie nicht zur bürgerlichen
Gesellschaft hinstrebt, sondern von ihr wegstrebt. Mögen gutgläubige Ideologen
noch so fest vertrauen, für die soziale und die bürgerliche Demokratie eine
gemeinsame Linie finden zu können, an der Frage des Eigentums scheiden
sich die Geister und werden sie sich in alle Zukunft scheiden. Vorübergehend
mag eine Blocktaktik gewisse Erfolge haben; früher oder später, äußerstenfalls
unmittelbar vor der Pforte des Znkunftsstacits, ist die Einigkeit zu Ende und
der Zusammenstoß unvermeidlich.




Z)le Schwesternfrage
Marie Franz von

le im Schwesternberuf in der jüngsten Zeit neu auftauchenden
Fragen haben nicht nur die Berufsgenossen beunruhigt, erregt
oder interessiert, sondern auch die weitesten Kreise.

Die moderne Zeit, die so vieles überlebte, heutzutage nicht
mehr geeignete ausscheiden und neue Werte an die Stelle der
alten setzen muß, erschüttert auch das feste Gebäude der Krankenpflege. Immer
größer sind im Laufe der Jahre die Anforderungen der Hygiene geworden,
besser geschulte Pflegerinnen werden verlangt und ausgebildet, aber die vermehrte
Arbeit verlangt auch eine größere Anzahl von Schwestern. Der Schwesternberuf,


Grenzboten III 1906 17
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[0133] Die Schwesternfrage wenn nicht auf ihre vollständige Rückkehr zum Block, bedarf diese Taktik des Ministers keiner weitern Erklärung. Der unbefangne Beobachter aber wird sich dadurch in dem Urteil nicht beirren lassen, daß sogar eine so vorsichtige Darstellung des Überganges vom Gegenwarts- in den Zukunftsstaat, wie die des Evolutionisten Jaures, nur die Unmöglichkeit einer wahren und dauer¬ haften Verständigung sogar zwischen den fortgeschrittensten bürgerlichen Richtungen und der Sozialdemokratie erkennen läßt. Herr Clcmenceau hat mit dem Bernsteinschen Worte operiert, daß das Endziel nichts, die Bewegung darauf hin alles sei. Es paßte ihm so, aber er wird sich wohl selbst nicht darüber täuschen, daß er damit hinter der Entwicklung zurückgeblieben ist. Die Vorstellung, daß sich die Sozialdemokratie auf der Bernsteinschen Basis mit der Zeit damit zufrieden geben werde, wenn die Bewegung vor der Er¬ reichung des Endziels stecken bliebe, ist durch die offenkundige Stellung nicht nur der deutschen, sondern auch der französischen Sozialdemokratie in den letzten Jahren gründlich abgetan. Die Sozialdemokratie würde sich bei ihrem allein sichern Anhang, dem revolutionär versetzten Proletariat, unmöglich machen, wollte sie die Unerfüllbarkeit ihrer Zukunftsstaatshoffnungen, wenn auch nur stillschweigend, anerkennen. Keiner mehr, als gerade Innres, beweist in seiner Person, daß die heutige Sozialdemokratie nicht zur bürgerlichen Gesellschaft hinstrebt, sondern von ihr wegstrebt. Mögen gutgläubige Ideologen noch so fest vertrauen, für die soziale und die bürgerliche Demokratie eine gemeinsame Linie finden zu können, an der Frage des Eigentums scheiden sich die Geister und werden sie sich in alle Zukunft scheiden. Vorübergehend mag eine Blocktaktik gewisse Erfolge haben; früher oder später, äußerstenfalls unmittelbar vor der Pforte des Znkunftsstacits, ist die Einigkeit zu Ende und der Zusammenstoß unvermeidlich. Z)le Schwesternfrage Marie Franz von le im Schwesternberuf in der jüngsten Zeit neu auftauchenden Fragen haben nicht nur die Berufsgenossen beunruhigt, erregt oder interessiert, sondern auch die weitesten Kreise. Die moderne Zeit, die so vieles überlebte, heutzutage nicht mehr geeignete ausscheiden und neue Werte an die Stelle der alten setzen muß, erschüttert auch das feste Gebäude der Krankenpflege. Immer größer sind im Laufe der Jahre die Anforderungen der Hygiene geworden, besser geschulte Pflegerinnen werden verlangt und ausgebildet, aber die vermehrte Arbeit verlangt auch eine größere Anzahl von Schwestern. Der Schwesternberuf, Grenzboten III 1906 17

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/133>, abgerufen am 30.04.2024.