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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Über den Brenner
Gelo Aciemmel von 3

üblich von Bozen nimmt das breite Etschtal einen ganz italienischen
Charakter an: rechts und links hohe, schroffe, kahle, zerrissene gelb¬
graue Felswände, dazwischen in der strichweise sumpfigen Talebene
und an den Abhängen hinauf Obstgärten und Weinpflanzungen,
deren Reben über niedrige Lauben (Pergeln, xsi-Kola) gezogen
werden und so, wenn sie Laub und Trauben tragen, lange Gänge bilden, aber
nirgends zeigt sich eine Spur von Wald. Doch die Bevölkerung ist deutsch,
das romanische Volkstum ist hier überall noch in die Seitentäler zurückgedrängt.
Auch das ist im wesentlichen das Werk der hier begüterten deutschen Stifter.
Dort das zwischen Rebeugärten am Fuße brauner, kahler Wände lang hingestreckte
Traum hat bald nach 1200 der Bischof Friedrich von Trient, ein Herr von
Warga, als Wcinort angelegt, das schräg gegenüber auf der Ostseite liegende Neu-
markt ist das germanisierte Egna, das römische IZnäiäg.6. Erst Salurn (Lawrms)
ist schon national gemischt, obschon vorwiegend deutsch. Dort aber, wo die Noee
aus einem Halbkreis öder Felsberge der Etsch zuströmt, bildet sie die Sprach¬
scheide zwischen Deutsch- und Welsch-Metz, gegenüber der alten Klosterstiftung
Se. Michael (1145), die zwar eine Kolonie des bayrischen Klosters Süden am
Jnn war, aber keinen germanisierenden Einfluß auf die Umgegend ausgeübt zu
haben scheint.

Dieses Etschtal ist ein hart bestrittner Boden. Aber in diesem Kampfe kann
nicht die Gewalt entscheiden, auch nicht die des Gesetzes, und am allerwenigsten
die Berufung auf geschichtliche Ereignisse. Unzweifelhaft war diese Landschaft
einst ebenso romanisch wie ganz Tirol, lange ehe sich noch ein germanischer Stamm
hier ansiedelte, und das ganze Trentino hat bis ins zwölfte Jahrhundert zu
Italien gehört, war auch jahrhundertelang ein eignes geistliches Fürstentum und
hat seiue jetzigen Grenzen im Süden erst unter Maximilian dem Ersten durch
den Frieden mit Venedig im Jahre 1518 erhalten, der die "welschen Konsinien"
(Riva mit Torbole und Nagö am Gardasee, Roveredo mit dem ganzen Etschtale
südwärts bis zur jetzigen Grenze und Ampezzo) zu Tirol brachte; aber ebenso
unzweifelhaft haben die Deutschen diesen Boden erobert und weithin kolonisiert.
Das italienische Geschrei nach der Brennergrenze, wo niemals eine politische oder




Über den Brenner
Gelo Aciemmel von 3

üblich von Bozen nimmt das breite Etschtal einen ganz italienischen
Charakter an: rechts und links hohe, schroffe, kahle, zerrissene gelb¬
graue Felswände, dazwischen in der strichweise sumpfigen Talebene
und an den Abhängen hinauf Obstgärten und Weinpflanzungen,
deren Reben über niedrige Lauben (Pergeln, xsi-Kola) gezogen
werden und so, wenn sie Laub und Trauben tragen, lange Gänge bilden, aber
nirgends zeigt sich eine Spur von Wald. Doch die Bevölkerung ist deutsch,
das romanische Volkstum ist hier überall noch in die Seitentäler zurückgedrängt.
Auch das ist im wesentlichen das Werk der hier begüterten deutschen Stifter.
Dort das zwischen Rebeugärten am Fuße brauner, kahler Wände lang hingestreckte
Traum hat bald nach 1200 der Bischof Friedrich von Trient, ein Herr von
Warga, als Wcinort angelegt, das schräg gegenüber auf der Ostseite liegende Neu-
markt ist das germanisierte Egna, das römische IZnäiäg.6. Erst Salurn (Lawrms)
ist schon national gemischt, obschon vorwiegend deutsch. Dort aber, wo die Noee
aus einem Halbkreis öder Felsberge der Etsch zuströmt, bildet sie die Sprach¬
scheide zwischen Deutsch- und Welsch-Metz, gegenüber der alten Klosterstiftung
Se. Michael (1145), die zwar eine Kolonie des bayrischen Klosters Süden am
Jnn war, aber keinen germanisierenden Einfluß auf die Umgegend ausgeübt zu
haben scheint.

Dieses Etschtal ist ein hart bestrittner Boden. Aber in diesem Kampfe kann
nicht die Gewalt entscheiden, auch nicht die des Gesetzes, und am allerwenigsten
die Berufung auf geschichtliche Ereignisse. Unzweifelhaft war diese Landschaft
einst ebenso romanisch wie ganz Tirol, lange ehe sich noch ein germanischer Stamm
hier ansiedelte, und das ganze Trentino hat bis ins zwölfte Jahrhundert zu
Italien gehört, war auch jahrhundertelang ein eignes geistliches Fürstentum und
hat seiue jetzigen Grenzen im Süden erst unter Maximilian dem Ersten durch
den Frieden mit Venedig im Jahre 1518 erhalten, der die „welschen Konsinien"
(Riva mit Torbole und Nagö am Gardasee, Roveredo mit dem ganzen Etschtale
südwärts bis zur jetzigen Grenze und Ampezzo) zu Tirol brachte; aber ebenso
unzweifelhaft haben die Deutschen diesen Boden erobert und weithin kolonisiert.
Das italienische Geschrei nach der Brennergrenze, wo niemals eine politische oder


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[0151] [Abbildung] Über den Brenner Gelo Aciemmel von 3 üblich von Bozen nimmt das breite Etschtal einen ganz italienischen Charakter an: rechts und links hohe, schroffe, kahle, zerrissene gelb¬ graue Felswände, dazwischen in der strichweise sumpfigen Talebene und an den Abhängen hinauf Obstgärten und Weinpflanzungen, deren Reben über niedrige Lauben (Pergeln, xsi-Kola) gezogen werden und so, wenn sie Laub und Trauben tragen, lange Gänge bilden, aber nirgends zeigt sich eine Spur von Wald. Doch die Bevölkerung ist deutsch, das romanische Volkstum ist hier überall noch in die Seitentäler zurückgedrängt. Auch das ist im wesentlichen das Werk der hier begüterten deutschen Stifter. Dort das zwischen Rebeugärten am Fuße brauner, kahler Wände lang hingestreckte Traum hat bald nach 1200 der Bischof Friedrich von Trient, ein Herr von Warga, als Wcinort angelegt, das schräg gegenüber auf der Ostseite liegende Neu- markt ist das germanisierte Egna, das römische IZnäiäg.6. Erst Salurn (Lawrms) ist schon national gemischt, obschon vorwiegend deutsch. Dort aber, wo die Noee aus einem Halbkreis öder Felsberge der Etsch zuströmt, bildet sie die Sprach¬ scheide zwischen Deutsch- und Welsch-Metz, gegenüber der alten Klosterstiftung Se. Michael (1145), die zwar eine Kolonie des bayrischen Klosters Süden am Jnn war, aber keinen germanisierenden Einfluß auf die Umgegend ausgeübt zu haben scheint. Dieses Etschtal ist ein hart bestrittner Boden. Aber in diesem Kampfe kann nicht die Gewalt entscheiden, auch nicht die des Gesetzes, und am allerwenigsten die Berufung auf geschichtliche Ereignisse. Unzweifelhaft war diese Landschaft einst ebenso romanisch wie ganz Tirol, lange ehe sich noch ein germanischer Stamm hier ansiedelte, und das ganze Trentino hat bis ins zwölfte Jahrhundert zu Italien gehört, war auch jahrhundertelang ein eignes geistliches Fürstentum und hat seiue jetzigen Grenzen im Süden erst unter Maximilian dem Ersten durch den Frieden mit Venedig im Jahre 1518 erhalten, der die „welschen Konsinien" (Riva mit Torbole und Nagö am Gardasee, Roveredo mit dem ganzen Etschtale südwärts bis zur jetzigen Grenze und Ampezzo) zu Tirol brachte; aber ebenso unzweifelhaft haben die Deutschen diesen Boden erobert und weithin kolonisiert. Das italienische Geschrei nach der Brennergrenze, wo niemals eine politische oder

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/151>, abgerufen am 30.04.2024.