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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Neue deutsche Romane

entwickelt, künftig die Kenntnis des Russischen nicht fehlen. Auch aus prak¬
tischen Gründen uicht. Denn niemand, der die Geschichte der Nationen über¬
sieht, wird meinen, daß der Niedergang, worin Nußland jetzt begriffen zu sein
scheint, dauern werde; daß die gichtischen Zuckungen, unter denen es sich
windet, seinen Todeskampf bedeuten. Vielmehr wird es auch ferner ein ge¬
wichtiges Wort im Rate der Menschheit zu sagen haben; umspannt doch die
Welt, zu der seine Sprache allein die Pforte öffnet, schon die Hälfte des
Erdkreises. Und somit muß*) das Russische auch in unsern höhern Schulen
als dritte der neuern Fremdsprache" zu Englisch und Französisch treten,
gleichviel, wie sich der große slawische Nachbar persönlich zu uus stellt, ob
feindlich, wie jetzt, oder freundlich, wie wir von der Zukunft hoffen wollen.
Das aber steht auf einem audern Blatt und ist ein andres Kapitel.




Neue deutsche Romane

wei Themen kommen in der literarischen Debatte der letzten Jahre
nicht zur Ruhe und werden auch jetzt immer wieder behandelt:
die Psychologie des Büchererfolgs und die Verteilung von
Dichterpreisen. Die überraschend hohen Auflagen einer ganzen
Anzahl von Romanen bieten immer neuen Anlaß zur Erörterung
der einen Gedankenreihe, allerlei Wunderlichkeiten zu der der andern. So
wird schon jetzt darüber gestritten, welcher deutsche Dichter den literarischen
Nobelpreis bei der nächsten Verteilung erhalten solle, und die Kandidatur eines
uicht unbegabten aber unbedeutenden Lyrikers von den einen befürwortet, von
den andern bekämpft. So gab es lebhafte Meinungsverschiedenheiten über
den Volksschillerpreis, der als eine Art Trutzpreis dein preußischen Schiller¬
preise gegenübergestellt wurde. Der Ausgang der ersten Verteilung dieses
Ehrensoldes war nicht eben rühmlich, denn unter den drei gekrönten Dramen
war das durch und durch unwahrhaftige Theaterstück "Der Graf von Charvlais"
von dem Wiener Beer-Hofmann. Aber das Ergebnis hatte auch ein gutes:
es lenkte die Aufmerksamkeit manches bisher Fernstehenden auf den Dichter
Karl Hauptmann, der sich mit seinem Bruder Gerhart in den Rest der aus¬
setzten Preissumme teilen durfte.

Zu dem Thema von den großen Erfolgen kann Karl Hauptmann freilich
keinen Beitrag liefern. Denn seine Bücher leben in der Stille fort und haben
sich noch kein großes Publikum erworben. Und wieviel keusche Schönheit steckt
dabei in ihnen allen. "Mathilde. Zeichnungen aus dem Leben einer armen
Frau" (München, Georg D. W. Callwey) heißt eines dieser ganz persönlichen



*) Die Redaktion kann sich dieser Ansicht des Verfassers nicht anschließen.
Neue deutsche Romane

entwickelt, künftig die Kenntnis des Russischen nicht fehlen. Auch aus prak¬
tischen Gründen uicht. Denn niemand, der die Geschichte der Nationen über¬
sieht, wird meinen, daß der Niedergang, worin Nußland jetzt begriffen zu sein
scheint, dauern werde; daß die gichtischen Zuckungen, unter denen es sich
windet, seinen Todeskampf bedeuten. Vielmehr wird es auch ferner ein ge¬
wichtiges Wort im Rate der Menschheit zu sagen haben; umspannt doch die
Welt, zu der seine Sprache allein die Pforte öffnet, schon die Hälfte des
Erdkreises. Und somit muß*) das Russische auch in unsern höhern Schulen
als dritte der neuern Fremdsprache» zu Englisch und Französisch treten,
gleichviel, wie sich der große slawische Nachbar persönlich zu uus stellt, ob
feindlich, wie jetzt, oder freundlich, wie wir von der Zukunft hoffen wollen.
Das aber steht auf einem audern Blatt und ist ein andres Kapitel.




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wei Themen kommen in der literarischen Debatte der letzten Jahre
nicht zur Ruhe und werden auch jetzt immer wieder behandelt:
die Psychologie des Büchererfolgs und die Verteilung von
Dichterpreisen. Die überraschend hohen Auflagen einer ganzen
Anzahl von Romanen bieten immer neuen Anlaß zur Erörterung
der einen Gedankenreihe, allerlei Wunderlichkeiten zu der der andern. So
wird schon jetzt darüber gestritten, welcher deutsche Dichter den literarischen
Nobelpreis bei der nächsten Verteilung erhalten solle, und die Kandidatur eines
uicht unbegabten aber unbedeutenden Lyrikers von den einen befürwortet, von
den andern bekämpft. So gab es lebhafte Meinungsverschiedenheiten über
den Volksschillerpreis, der als eine Art Trutzpreis dein preußischen Schiller¬
preise gegenübergestellt wurde. Der Ausgang der ersten Verteilung dieses
Ehrensoldes war nicht eben rühmlich, denn unter den drei gekrönten Dramen
war das durch und durch unwahrhaftige Theaterstück „Der Graf von Charvlais"
von dem Wiener Beer-Hofmann. Aber das Ergebnis hatte auch ein gutes:
es lenkte die Aufmerksamkeit manches bisher Fernstehenden auf den Dichter
Karl Hauptmann, der sich mit seinem Bruder Gerhart in den Rest der aus¬
setzten Preissumme teilen durfte.

Zu dem Thema von den großen Erfolgen kann Karl Hauptmann freilich
keinen Beitrag liefern. Denn seine Bücher leben in der Stille fort und haben
sich noch kein großes Publikum erworben. Und wieviel keusche Schönheit steckt
dabei in ihnen allen. „Mathilde. Zeichnungen aus dem Leben einer armen
Frau" (München, Georg D. W. Callwey) heißt eines dieser ganz persönlichen



*) Die Redaktion kann sich dieser Ansicht des Verfassers nicht anschließen.
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[0215] Neue deutsche Romane entwickelt, künftig die Kenntnis des Russischen nicht fehlen. Auch aus prak¬ tischen Gründen uicht. Denn niemand, der die Geschichte der Nationen über¬ sieht, wird meinen, daß der Niedergang, worin Nußland jetzt begriffen zu sein scheint, dauern werde; daß die gichtischen Zuckungen, unter denen es sich windet, seinen Todeskampf bedeuten. Vielmehr wird es auch ferner ein ge¬ wichtiges Wort im Rate der Menschheit zu sagen haben; umspannt doch die Welt, zu der seine Sprache allein die Pforte öffnet, schon die Hälfte des Erdkreises. Und somit muß*) das Russische auch in unsern höhern Schulen als dritte der neuern Fremdsprache» zu Englisch und Französisch treten, gleichviel, wie sich der große slawische Nachbar persönlich zu uus stellt, ob feindlich, wie jetzt, oder freundlich, wie wir von der Zukunft hoffen wollen. Das aber steht auf einem audern Blatt und ist ein andres Kapitel. Neue deutsche Romane wei Themen kommen in der literarischen Debatte der letzten Jahre nicht zur Ruhe und werden auch jetzt immer wieder behandelt: die Psychologie des Büchererfolgs und die Verteilung von Dichterpreisen. Die überraschend hohen Auflagen einer ganzen Anzahl von Romanen bieten immer neuen Anlaß zur Erörterung der einen Gedankenreihe, allerlei Wunderlichkeiten zu der der andern. So wird schon jetzt darüber gestritten, welcher deutsche Dichter den literarischen Nobelpreis bei der nächsten Verteilung erhalten solle, und die Kandidatur eines uicht unbegabten aber unbedeutenden Lyrikers von den einen befürwortet, von den andern bekämpft. So gab es lebhafte Meinungsverschiedenheiten über den Volksschillerpreis, der als eine Art Trutzpreis dein preußischen Schiller¬ preise gegenübergestellt wurde. Der Ausgang der ersten Verteilung dieses Ehrensoldes war nicht eben rühmlich, denn unter den drei gekrönten Dramen war das durch und durch unwahrhaftige Theaterstück „Der Graf von Charvlais" von dem Wiener Beer-Hofmann. Aber das Ergebnis hatte auch ein gutes: es lenkte die Aufmerksamkeit manches bisher Fernstehenden auf den Dichter Karl Hauptmann, der sich mit seinem Bruder Gerhart in den Rest der aus¬ setzten Preissumme teilen durfte. Zu dem Thema von den großen Erfolgen kann Karl Hauptmann freilich keinen Beitrag liefern. Denn seine Bücher leben in der Stille fort und haben sich noch kein großes Publikum erworben. Und wieviel keusche Schönheit steckt dabei in ihnen allen. „Mathilde. Zeichnungen aus dem Leben einer armen Frau" (München, Georg D. W. Callwey) heißt eines dieser ganz persönlichen *) Die Redaktion kann sich dieser Ansicht des Verfassers nicht anschließen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/215>, abgerufen am 30.04.2024.