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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Vorgeschichte der französischen Revolution von ^789

Franz Josephs und Napoleons des Dritten in Salzburg (August 1867) mit
an, und er verkehrte viel mit dem bekannten französischen Militärbevollmächtigen
Baron stosset. Mit der russischen Fürstin Galizin hatte er schon 1865 in
Reichenhall folgendes interessante Gespräch gehabt: Vou8 eormaissW ?Aris
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* nack^ins, vorig n'g.ttsuärW als moi uns röxonss Russs.




Vorgeschichte der französischen Revolution von
Hermann Iaenicke von1

n unsernr östlichen Nachbarreiche herrscht noch immer offne Revo¬
lution. Der Zar hat zwar unter dem 30. Oktober 1905 seinem
Volke die moderne europäische Verfassung versprochen, aber es
ist trotzdem nicht nur keine Beruhigung der Gemüter eingetreten,
sondern die Gärung wächst von Woche zu Woche zusehends, und
kein Mensch kann im Augenblick voraussagen, wohin die Verhältnisse noch
treiben werden. Diese revolutionäre Bewegung ist jedoch durchaus nicht einheit¬
lich, es sind vielmehr die verschiedensten, oft gerade entgegengesetzten Be¬
strebungen, die jetzt an der Oberfläche erscheinen: da sind die Sozialdemokraten,
an Zahl zwar gewiß nicht allzu groß, aber um so radikaler in dem Wunsche,
das Zarentum abzuschaffen und die demokratische Republik aufzurichten; da sind
ferner die Liberalen, die mit den Sozialdemokraten wenigstens insofern zusammen-
gehn, als sie eine Bürgschaft für die Dauer der kaiserlichen Versprechungen
haben wollten und deshalb das Verlangen stellten, daß eine souveräne Duma
berufen werde, vor allem zu dem Zweck, eine Konstitution selbst festzusetzen.
Da sind die Juden, die sich von dem furchtbaren auf ihnen lastenden Drucke
gewaltsam befreien wollen, auf die dann wieder von einigen Gouverneuren die
hungrige Menge wie auf ein gehetztes Wild losgelassen wird mit der Absicht,
dem russischen Volke weiszumachen, daß jene die alleinige Schuld an dem
Aufruhr tragen; da sind endlich ganz konservative Leute, die sich aber, um den
Zaren zu retten, wutentbrannt auf die Feinde des Absolutismus stürzen und
dadurch doch auch zur allgemeinen Verwirrung beitragen. In welcher Übeln
Lage sich die Regierung befindet, mag man daraus ermessen, daß sie sogar
nicht mehr auf die Truppen zu Wasser und zu Lande rechnen kann, und daß
der Massenstreik, den man in Jena noch vor einem Jahre mehr vom theoretischen
Standpunkt aus behandelte, in Rußland schon zur Wirklichkeit geworden ist,


Vorgeschichte der französischen Revolution von ^789

Franz Josephs und Napoleons des Dritten in Salzburg (August 1867) mit
an, und er verkehrte viel mit dem bekannten französischen Militärbevollmächtigen
Baron stosset. Mit der russischen Fürstin Galizin hatte er schon 1865 in
Reichenhall folgendes interessante Gespräch gehabt: Vou8 eormaissW ?Aris
NÄturslIsinsut? — llig-äg-ins! — Osinlnsut? ?ourauoi n'^ avss-vous
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* nack^ins, vorig n'g.ttsuärW als moi uns röxonss Russs.




Vorgeschichte der französischen Revolution von
Hermann Iaenicke von1

n unsernr östlichen Nachbarreiche herrscht noch immer offne Revo¬
lution. Der Zar hat zwar unter dem 30. Oktober 1905 seinem
Volke die moderne europäische Verfassung versprochen, aber es
ist trotzdem nicht nur keine Beruhigung der Gemüter eingetreten,
sondern die Gärung wächst von Woche zu Woche zusehends, und
kein Mensch kann im Augenblick voraussagen, wohin die Verhältnisse noch
treiben werden. Diese revolutionäre Bewegung ist jedoch durchaus nicht einheit¬
lich, es sind vielmehr die verschiedensten, oft gerade entgegengesetzten Be¬
strebungen, die jetzt an der Oberfläche erscheinen: da sind die Sozialdemokraten,
an Zahl zwar gewiß nicht allzu groß, aber um so radikaler in dem Wunsche,
das Zarentum abzuschaffen und die demokratische Republik aufzurichten; da sind
ferner die Liberalen, die mit den Sozialdemokraten wenigstens insofern zusammen-
gehn, als sie eine Bürgschaft für die Dauer der kaiserlichen Versprechungen
haben wollten und deshalb das Verlangen stellten, daß eine souveräne Duma
berufen werde, vor allem zu dem Zweck, eine Konstitution selbst festzusetzen.
Da sind die Juden, die sich von dem furchtbaren auf ihnen lastenden Drucke
gewaltsam befreien wollen, auf die dann wieder von einigen Gouverneuren die
hungrige Menge wie auf ein gehetztes Wild losgelassen wird mit der Absicht,
dem russischen Volke weiszumachen, daß jene die alleinige Schuld an dem
Aufruhr tragen; da sind endlich ganz konservative Leute, die sich aber, um den
Zaren zu retten, wutentbrannt auf die Feinde des Absolutismus stürzen und
dadurch doch auch zur allgemeinen Verwirrung beitragen. In welcher Übeln
Lage sich die Regierung befindet, mag man daraus ermessen, daß sie sogar
nicht mehr auf die Truppen zu Wasser und zu Lande rechnen kann, und daß
der Massenstreik, den man in Jena noch vor einem Jahre mehr vom theoretischen
Standpunkt aus behandelte, in Rußland schon zur Wirklichkeit geworden ist,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/248>, abgerufen am 30.04.2024.