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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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An der Nordküste von Aleinasien

und Volksfreunde, die allerdings die Führung und Leitung in der Hand haben,
wie bei den Trachtenfesten des niedersächsischen Vereins Niedersachsentag.

Die alte Dorflinde, von der Uhland spricht, wird also geschützt, die Trachten
der darunter tanzenden Dorfschöncn kommen wieder zu Ehren -- und das Volks¬
lied? Es muß beschämt zur Seite stehn, weil es nicht anstündig genug ist und
sittenverderbenden Einfluß auf die deutsche Jugend ausübt! Es sind jetzt gerade
hundert Jahre verflossen, seitdem Achin von Arnim und Clemens Brentano ihre
alten deutschen Lieder, des Knaben Wunderhorn, herausgegeben haben. Viele
Jahre hatten sie in Deutschland gesammelt und dabei sogar Goethes Unter¬
stützung genossen, dem als Dank der erste Band zugeeignet wurde. Er meinte
freilich, die Kritik dürste sich vorerst mit dieser Sammlung nicht befassen, und
wünschte später, daß sich die Herausgeber vor dem Singsang der Minnesänger,
vor der bänkelsängerischen Gemeinheit und vor der Plattheit der Meistersünger
sowie vor allem Pfüffischen und Pedantischen höchlichst hüten möchten. Spätere
Dichter, wie Uhland, haben dann gesichtet und sind mehr auf die Quellen zurück¬
gegangen; in neuerer Zeit sind endlich noch vielfach Auswahlsammlungen ver¬
anstaltet worden, und damit sollte man nun zufrieden sein und das schützen,
was sich erhalten hat und lebensfähig ist. Der einzelne Mensch kann allerdings
gegen die Verunstaltungen nicht ankämpfen, und die Macht der Presse hat es
bis jetzt auch nicht vermocht; es bleiben mithin nur die Behörden übrig, in
deren Händen die Überwachung des Unterrichtswesens liegt. Wir brauchen nicht
gleich ein Volksliedschutzgesetz oder auch nur eine Verordnung; aber die vor¬
gesetzten Behörden, die doch jede Schulfibel auf ihre Brauchbarkeit prüfen, müssen
alle Schulliederbücher ohne Gnade zurückweisen, in denen der Versuch gemacht
worden ist, die Lieder willkürlich zu verändern und umzugestalten. Wenn aber
auch da nichts zu erreichen ist, dann ist es die Pflicht des Volkes selbst, also
seiner Vertreter in den Kammern, diese Mißstände öffentlich zur Sprache zu
bringen. Das Mittel hat noch immer gewirkt, wenn es in der rechten Weise
".Krieg angewandt wird.




An der Nordküste von Kleinasien
H. Toepser Reiseerinnerungen von

meer den Dampferlinien, die den Verkehr an der kleinasiatischen
Küste unterhalten, war unsre Wahl auf den altbewährten Öster¬
reichischen Lloyd gefallen, dessen Schiffe relativ groß, gut und
sauber sein und schneller als andre Dampfer fahren sollten. Wir
hatten schon tags zuvor unsre Fahrkarten genommen, aber leider
nur fünfzehn Prozent Rabatt von dem gewöhnlichen Fahrpreis mit Rücksicht auf
unsre Vierzahl, die ungünstige Jahreszeit und die Konkurrenz mit den andernW^-i^V
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An der Nordküste von Aleinasien

und Volksfreunde, die allerdings die Führung und Leitung in der Hand haben,
wie bei den Trachtenfesten des niedersächsischen Vereins Niedersachsentag.

Die alte Dorflinde, von der Uhland spricht, wird also geschützt, die Trachten
der darunter tanzenden Dorfschöncn kommen wieder zu Ehren — und das Volks¬
lied? Es muß beschämt zur Seite stehn, weil es nicht anstündig genug ist und
sittenverderbenden Einfluß auf die deutsche Jugend ausübt! Es sind jetzt gerade
hundert Jahre verflossen, seitdem Achin von Arnim und Clemens Brentano ihre
alten deutschen Lieder, des Knaben Wunderhorn, herausgegeben haben. Viele
Jahre hatten sie in Deutschland gesammelt und dabei sogar Goethes Unter¬
stützung genossen, dem als Dank der erste Band zugeeignet wurde. Er meinte
freilich, die Kritik dürste sich vorerst mit dieser Sammlung nicht befassen, und
wünschte später, daß sich die Herausgeber vor dem Singsang der Minnesänger,
vor der bänkelsängerischen Gemeinheit und vor der Plattheit der Meistersünger
sowie vor allem Pfüffischen und Pedantischen höchlichst hüten möchten. Spätere
Dichter, wie Uhland, haben dann gesichtet und sind mehr auf die Quellen zurück¬
gegangen; in neuerer Zeit sind endlich noch vielfach Auswahlsammlungen ver¬
anstaltet worden, und damit sollte man nun zufrieden sein und das schützen,
was sich erhalten hat und lebensfähig ist. Der einzelne Mensch kann allerdings
gegen die Verunstaltungen nicht ankämpfen, und die Macht der Presse hat es
bis jetzt auch nicht vermocht; es bleiben mithin nur die Behörden übrig, in
deren Händen die Überwachung des Unterrichtswesens liegt. Wir brauchen nicht
gleich ein Volksliedschutzgesetz oder auch nur eine Verordnung; aber die vor¬
gesetzten Behörden, die doch jede Schulfibel auf ihre Brauchbarkeit prüfen, müssen
alle Schulliederbücher ohne Gnade zurückweisen, in denen der Versuch gemacht
worden ist, die Lieder willkürlich zu verändern und umzugestalten. Wenn aber
auch da nichts zu erreichen ist, dann ist es die Pflicht des Volkes selbst, also
seiner Vertreter in den Kammern, diese Mißstände öffentlich zur Sprache zu
bringen. Das Mittel hat noch immer gewirkt, wenn es in der rechten Weise
«.Krieg angewandt wird.




An der Nordküste von Kleinasien
H. Toepser Reiseerinnerungen von

meer den Dampferlinien, die den Verkehr an der kleinasiatischen
Küste unterhalten, war unsre Wahl auf den altbewährten Öster¬
reichischen Lloyd gefallen, dessen Schiffe relativ groß, gut und
sauber sein und schneller als andre Dampfer fahren sollten. Wir
hatten schon tags zuvor unsre Fahrkarten genommen, aber leider
nur fünfzehn Prozent Rabatt von dem gewöhnlichen Fahrpreis mit Rücksicht auf
unsre Vierzahl, die ungünstige Jahreszeit und die Konkurrenz mit den andernW^-i^V
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[0262] An der Nordküste von Aleinasien und Volksfreunde, die allerdings die Führung und Leitung in der Hand haben, wie bei den Trachtenfesten des niedersächsischen Vereins Niedersachsentag. Die alte Dorflinde, von der Uhland spricht, wird also geschützt, die Trachten der darunter tanzenden Dorfschöncn kommen wieder zu Ehren — und das Volks¬ lied? Es muß beschämt zur Seite stehn, weil es nicht anstündig genug ist und sittenverderbenden Einfluß auf die deutsche Jugend ausübt! Es sind jetzt gerade hundert Jahre verflossen, seitdem Achin von Arnim und Clemens Brentano ihre alten deutschen Lieder, des Knaben Wunderhorn, herausgegeben haben. Viele Jahre hatten sie in Deutschland gesammelt und dabei sogar Goethes Unter¬ stützung genossen, dem als Dank der erste Band zugeeignet wurde. Er meinte freilich, die Kritik dürste sich vorerst mit dieser Sammlung nicht befassen, und wünschte später, daß sich die Herausgeber vor dem Singsang der Minnesänger, vor der bänkelsängerischen Gemeinheit und vor der Plattheit der Meistersünger sowie vor allem Pfüffischen und Pedantischen höchlichst hüten möchten. Spätere Dichter, wie Uhland, haben dann gesichtet und sind mehr auf die Quellen zurück¬ gegangen; in neuerer Zeit sind endlich noch vielfach Auswahlsammlungen ver¬ anstaltet worden, und damit sollte man nun zufrieden sein und das schützen, was sich erhalten hat und lebensfähig ist. Der einzelne Mensch kann allerdings gegen die Verunstaltungen nicht ankämpfen, und die Macht der Presse hat es bis jetzt auch nicht vermocht; es bleiben mithin nur die Behörden übrig, in deren Händen die Überwachung des Unterrichtswesens liegt. Wir brauchen nicht gleich ein Volksliedschutzgesetz oder auch nur eine Verordnung; aber die vor¬ gesetzten Behörden, die doch jede Schulfibel auf ihre Brauchbarkeit prüfen, müssen alle Schulliederbücher ohne Gnade zurückweisen, in denen der Versuch gemacht worden ist, die Lieder willkürlich zu verändern und umzugestalten. Wenn aber auch da nichts zu erreichen ist, dann ist es die Pflicht des Volkes selbst, also seiner Vertreter in den Kammern, diese Mißstände öffentlich zur Sprache zu bringen. Das Mittel hat noch immer gewirkt, wenn es in der rechten Weise «.Krieg angewandt wird. An der Nordküste von Kleinasien H. Toepser Reiseerinnerungen von meer den Dampferlinien, die den Verkehr an der kleinasiatischen Küste unterhalten, war unsre Wahl auf den altbewährten Öster¬ reichischen Lloyd gefallen, dessen Schiffe relativ groß, gut und sauber sein und schneller als andre Dampfer fahren sollten. Wir hatten schon tags zuvor unsre Fahrkarten genommen, aber leider nur fünfzehn Prozent Rabatt von dem gewöhnlichen Fahrpreis mit Rücksicht auf unsre Vierzahl, die ungünstige Jahreszeit und die Konkurrenz mit den andernW^-i^V MM

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/262>, abgerufen am 30.04.2024.