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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Die Entwicklung der Luftschiffahrt
Leutnant An kutsch von1

eit Jahrtausenden schon fühlte sich der Mensch als Herr der Erde.
Mit erfinderischen Geiste, getrieben von einem unwiderstehlichen
Drang nach Erkenntnis, überwand er alle Schwierigkeiten, die die
Natur seinem rastlosen Vorwärtsstreben in den Weg legte. Das
Meer vermittelte Handel und Verkehr zwischen den Völkern, kühn
trotzte man seinen Gefahren, nachdem sich "mit dreifach erzgepanzerter Brust"
-- wie Horaz voll Bewunderung sagt -- der erste Seefahrer auf das tosende
Element hinausgewagt hatte. Ein Geheimnis nach dem andern erschloß sich
auch dem in die Erde eindringenden Menschen, doch -- über sie hinaus ver¬
mochte er sich nicht zu erheben, mit unsichtbarer Gewalt hielt sie ihn an sich
gefesselt. Und wie unvergleichlich schön mußte gerade dieses sein! Wie ver¬
lockend, sich in dem unermeßlichen Luftreich zu tummeln, das sich ständig so
nah und doch so unerreichbar den Blicken zeigte!

Schon die älteste Geschichte,*) ja die graue Vorzeit der Sage berichtet uns
von dieser ungestillten Sehnsucht der Menschenkinder. Wer Hütte nicht von
Dädalus, von Ikarus gehört, und wer vermöchte nicht auch in dem flügel¬
beschwingten Götterboten Merkur einen Hinweis auf dieses uralte Phantom zu
sehen? Und unsre deutsche Sage erzählt, daß der Schmied Wieland mit selbst¬
gefertigten Flügeln davonflog, um der Rache König Ellerichs zu entgehn.

Die älteste, einigermaßen geschichtliche Überlieferung eines Flugversuchs geht
bis in die Zeit Kaiser Neros zurück. Ein Mann aus Samaria soll sich damals
fliegend von einem hohen Turme Roms hinabgelassen haben, unter allgemeinem
Staunen der herbeigeströmten sensationsbedürftigen Großstädter. Plötzlich stürzte
er aus der Höhe hinab. Petrus hatte dies durch seine Gebete verursacht, weil
er das Tun des Mannes für gottlos hielt. Doch Kaiser Nero dachte darüber
anders, er kerkerte den Apostel ein, "weil er den Staat eines nützlichen Mannes
beraubt hatte". Ob diese Erzählung auf Wahrheit beruht, bleibe dahingestellt;



*) Näheres darüber findet man in den "Illustrierten Aeronautischen Mitteilungen" (Stra߬
burg. Preis des Jahrgangs 12 Mark, Einzelpreis für jedes Heft 1,60 Mark. Besonders
Heft 4 und 9, Jahrgang 1906), in der Broschüre "Die Luftschiffahrt" von Hauptmann Groß
(Hermann Hilgers Verlag, Leipzig. Preis 30 Pf.) und in dem "Buch der Erfindungen". Diesen
Aufsätzen und Werken ist der Artikel zum Teil entnommen.


Die Entwicklung der Luftschiffahrt
Leutnant An kutsch von1

eit Jahrtausenden schon fühlte sich der Mensch als Herr der Erde.
Mit erfinderischen Geiste, getrieben von einem unwiderstehlichen
Drang nach Erkenntnis, überwand er alle Schwierigkeiten, die die
Natur seinem rastlosen Vorwärtsstreben in den Weg legte. Das
Meer vermittelte Handel und Verkehr zwischen den Völkern, kühn
trotzte man seinen Gefahren, nachdem sich „mit dreifach erzgepanzerter Brust"
— wie Horaz voll Bewunderung sagt — der erste Seefahrer auf das tosende
Element hinausgewagt hatte. Ein Geheimnis nach dem andern erschloß sich
auch dem in die Erde eindringenden Menschen, doch — über sie hinaus ver¬
mochte er sich nicht zu erheben, mit unsichtbarer Gewalt hielt sie ihn an sich
gefesselt. Und wie unvergleichlich schön mußte gerade dieses sein! Wie ver¬
lockend, sich in dem unermeßlichen Luftreich zu tummeln, das sich ständig so
nah und doch so unerreichbar den Blicken zeigte!

Schon die älteste Geschichte,*) ja die graue Vorzeit der Sage berichtet uns
von dieser ungestillten Sehnsucht der Menschenkinder. Wer Hütte nicht von
Dädalus, von Ikarus gehört, und wer vermöchte nicht auch in dem flügel¬
beschwingten Götterboten Merkur einen Hinweis auf dieses uralte Phantom zu
sehen? Und unsre deutsche Sage erzählt, daß der Schmied Wieland mit selbst¬
gefertigten Flügeln davonflog, um der Rache König Ellerichs zu entgehn.

Die älteste, einigermaßen geschichtliche Überlieferung eines Flugversuchs geht
bis in die Zeit Kaiser Neros zurück. Ein Mann aus Samaria soll sich damals
fliegend von einem hohen Turme Roms hinabgelassen haben, unter allgemeinem
Staunen der herbeigeströmten sensationsbedürftigen Großstädter. Plötzlich stürzte
er aus der Höhe hinab. Petrus hatte dies durch seine Gebete verursacht, weil
er das Tun des Mannes für gottlos hielt. Doch Kaiser Nero dachte darüber
anders, er kerkerte den Apostel ein, „weil er den Staat eines nützlichen Mannes
beraubt hatte". Ob diese Erzählung auf Wahrheit beruht, bleibe dahingestellt;



*) Näheres darüber findet man in den „Illustrierten Aeronautischen Mitteilungen" (Stra߬
burg. Preis des Jahrgangs 12 Mark, Einzelpreis für jedes Heft 1,60 Mark. Besonders
Heft 4 und 9, Jahrgang 1906), in der Broschüre „Die Luftschiffahrt" von Hauptmann Groß
(Hermann Hilgers Verlag, Leipzig. Preis 30 Pf.) und in dem „Buch der Erfindungen". Diesen
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[0318] [Abbildung] Die Entwicklung der Luftschiffahrt Leutnant An kutsch von1 eit Jahrtausenden schon fühlte sich der Mensch als Herr der Erde. Mit erfinderischen Geiste, getrieben von einem unwiderstehlichen Drang nach Erkenntnis, überwand er alle Schwierigkeiten, die die Natur seinem rastlosen Vorwärtsstreben in den Weg legte. Das Meer vermittelte Handel und Verkehr zwischen den Völkern, kühn trotzte man seinen Gefahren, nachdem sich „mit dreifach erzgepanzerter Brust" — wie Horaz voll Bewunderung sagt — der erste Seefahrer auf das tosende Element hinausgewagt hatte. Ein Geheimnis nach dem andern erschloß sich auch dem in die Erde eindringenden Menschen, doch — über sie hinaus ver¬ mochte er sich nicht zu erheben, mit unsichtbarer Gewalt hielt sie ihn an sich gefesselt. Und wie unvergleichlich schön mußte gerade dieses sein! Wie ver¬ lockend, sich in dem unermeßlichen Luftreich zu tummeln, das sich ständig so nah und doch so unerreichbar den Blicken zeigte! Schon die älteste Geschichte,*) ja die graue Vorzeit der Sage berichtet uns von dieser ungestillten Sehnsucht der Menschenkinder. Wer Hütte nicht von Dädalus, von Ikarus gehört, und wer vermöchte nicht auch in dem flügel¬ beschwingten Götterboten Merkur einen Hinweis auf dieses uralte Phantom zu sehen? Und unsre deutsche Sage erzählt, daß der Schmied Wieland mit selbst¬ gefertigten Flügeln davonflog, um der Rache König Ellerichs zu entgehn. Die älteste, einigermaßen geschichtliche Überlieferung eines Flugversuchs geht bis in die Zeit Kaiser Neros zurück. Ein Mann aus Samaria soll sich damals fliegend von einem hohen Turme Roms hinabgelassen haben, unter allgemeinem Staunen der herbeigeströmten sensationsbedürftigen Großstädter. Plötzlich stürzte er aus der Höhe hinab. Petrus hatte dies durch seine Gebete verursacht, weil er das Tun des Mannes für gottlos hielt. Doch Kaiser Nero dachte darüber anders, er kerkerte den Apostel ein, „weil er den Staat eines nützlichen Mannes beraubt hatte". Ob diese Erzählung auf Wahrheit beruht, bleibe dahingestellt; *) Näheres darüber findet man in den „Illustrierten Aeronautischen Mitteilungen" (Stra߬ burg. Preis des Jahrgangs 12 Mark, Einzelpreis für jedes Heft 1,60 Mark. Besonders Heft 4 und 9, Jahrgang 1906), in der Broschüre „Die Luftschiffahrt" von Hauptmann Groß (Hermann Hilgers Verlag, Leipzig. Preis 30 Pf.) und in dem „Buch der Erfindungen". Diesen Aufsätzen und Werken ist der Artikel zum Teil entnommen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/318>, abgerufen am 30.04.2024.