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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Zur Lnnncrung an Ibsen

Italien zurückzukehren, denu Seine Heiligkeit wünschten, daß ich der Überbringer der
von mir erlangten Schriftstücke sei, damit ich ihren wahren Sinn und ihre ganze
Tragweite darlegen könne. Ich habe gehorcht: Eure Exzellenz werden aus den
Daten dieses Schreibens ersehen, daß ich mich in Aachen befinde, dem Endpunkt
der Telegraphenlinien und des Postdienstes der Regierung. Ich erwarte dort Ihre
Befehle. Herr Ministerpräsident. Ich darf noch einmal wiederholen, haben Sie
die Güte, mir diese so schleunig wie möglich zukommen zu lassen.

Die Gründe, aus denen die langwierigen Verhandlungen Klindworths zu
gar keinem Ergebnis führten, sind nicht bekannt geworden. Vermutlich waren
es die orientalische Krisis und der Krimkrieg, die das Interesse der preußischen
Regierung von dieser Frage augenblicklich ablenkten.




Zur Erinnerung an Ibsen

oller wir einen Dramatiker, der die Menschen, allerdings wohl
wesentlich die von germanischem Geblüt, so stark beschäftigt wie
Ibsen, in die Geschichte einreihen, so ist dies natürlich ein vor¬
läufiger Versuch, den die Zukunft sicher mit mancher Abwechslung
wiederholen wird. Aber unter allen Umständen erhebt sich dabei
^ne stattliche Reihe von Fragen und Vergleichungen. Ich wähle davon nur
einen ganz kleinen Teil aus, nämlich die Frage, wie weit Ibsen der Möglichkeit,
Allgemein genossen zu werden, nahe kommt, und wie er sich zum allgemeinen
Problem des ernsten Dramas verhält, das nachher zu bezeichnen ist.

Zwischen Kunstproduktion nud Kunstgenuß nämlich besteht ein oft be¬
ugtes, aber nicht immer gleich starkes Mißverhältnis. Eigentlich muß wohl
der Künstler wünschen, von allen genossen, also auch -- was nicht dasselbe
möglichst verstanden zu werden. Aber dieses Ideal ist nicht zu erreichen;
sonst wäre es ja keins. Die Natur hat es offenbar auch hier nicht auf eine
allgemeine Gleichmacherei abgesehen. Ihr darin hartnäckig, z. B. mit der Ver¬
breitung der "Bildung" entgegenzutreten, gehört in das große und anziehende
Kapitel von der Karikatur der Idee. Trotz der differenzierenden Eigenheit
des Weltlaufs hat es aber mitunter Annäherungen an dieses Ideal gegeben,
"ut zwar wesentlich unter dem Einfluß der Religion. So ergriff die Malerei
in Italien die Gemüter viel allgemeiner und tiefer als bei uns. Noch tiefer
war vielleicht der Eindruck der geistlichen Schauspiele des Mittelalters, der
sogenannten Mysterien, die in verschiednen Ländern und in der breitesten und
bequemsten Öffentlichkeit etwas darstellten, was damals zum Kern des geistigen
Gebens gehörte. Auch in Griechenland war ja die Tragödie, wenigstens ur¬
sprünglich, eine religiöse Feier von nationalem Charakter. Freilich schwanken die
Meinungen über die Beschaffenheit des Publikums. Lessing dachte wohl etwas


Zur Lnnncrung an Ibsen

Italien zurückzukehren, denu Seine Heiligkeit wünschten, daß ich der Überbringer der
von mir erlangten Schriftstücke sei, damit ich ihren wahren Sinn und ihre ganze
Tragweite darlegen könne. Ich habe gehorcht: Eure Exzellenz werden aus den
Daten dieses Schreibens ersehen, daß ich mich in Aachen befinde, dem Endpunkt
der Telegraphenlinien und des Postdienstes der Regierung. Ich erwarte dort Ihre
Befehle. Herr Ministerpräsident. Ich darf noch einmal wiederholen, haben Sie
die Güte, mir diese so schleunig wie möglich zukommen zu lassen.

Die Gründe, aus denen die langwierigen Verhandlungen Klindworths zu
gar keinem Ergebnis führten, sind nicht bekannt geworden. Vermutlich waren
es die orientalische Krisis und der Krimkrieg, die das Interesse der preußischen
Regierung von dieser Frage augenblicklich ablenkten.




Zur Erinnerung an Ibsen

oller wir einen Dramatiker, der die Menschen, allerdings wohl
wesentlich die von germanischem Geblüt, so stark beschäftigt wie
Ibsen, in die Geschichte einreihen, so ist dies natürlich ein vor¬
läufiger Versuch, den die Zukunft sicher mit mancher Abwechslung
wiederholen wird. Aber unter allen Umständen erhebt sich dabei
^ne stattliche Reihe von Fragen und Vergleichungen. Ich wähle davon nur
einen ganz kleinen Teil aus, nämlich die Frage, wie weit Ibsen der Möglichkeit,
Allgemein genossen zu werden, nahe kommt, und wie er sich zum allgemeinen
Problem des ernsten Dramas verhält, das nachher zu bezeichnen ist.

Zwischen Kunstproduktion nud Kunstgenuß nämlich besteht ein oft be¬
ugtes, aber nicht immer gleich starkes Mißverhältnis. Eigentlich muß wohl
der Künstler wünschen, von allen genossen, also auch — was nicht dasselbe
möglichst verstanden zu werden. Aber dieses Ideal ist nicht zu erreichen;
sonst wäre es ja keins. Die Natur hat es offenbar auch hier nicht auf eine
allgemeine Gleichmacherei abgesehen. Ihr darin hartnäckig, z. B. mit der Ver¬
breitung der „Bildung" entgegenzutreten, gehört in das große und anziehende
Kapitel von der Karikatur der Idee. Trotz der differenzierenden Eigenheit
des Weltlaufs hat es aber mitunter Annäherungen an dieses Ideal gegeben,
"ut zwar wesentlich unter dem Einfluß der Religion. So ergriff die Malerei
in Italien die Gemüter viel allgemeiner und tiefer als bei uns. Noch tiefer
war vielleicht der Eindruck der geistlichen Schauspiele des Mittelalters, der
sogenannten Mysterien, die in verschiednen Ländern und in der breitesten und
bequemsten Öffentlichkeit etwas darstellten, was damals zum Kern des geistigen
Gebens gehörte. Auch in Griechenland war ja die Tragödie, wenigstens ur¬
sprünglich, eine religiöse Feier von nationalem Charakter. Freilich schwanken die
Meinungen über die Beschaffenheit des Publikums. Lessing dachte wohl etwas


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[0511] Zur Lnnncrung an Ibsen Italien zurückzukehren, denu Seine Heiligkeit wünschten, daß ich der Überbringer der von mir erlangten Schriftstücke sei, damit ich ihren wahren Sinn und ihre ganze Tragweite darlegen könne. Ich habe gehorcht: Eure Exzellenz werden aus den Daten dieses Schreibens ersehen, daß ich mich in Aachen befinde, dem Endpunkt der Telegraphenlinien und des Postdienstes der Regierung. Ich erwarte dort Ihre Befehle. Herr Ministerpräsident. Ich darf noch einmal wiederholen, haben Sie die Güte, mir diese so schleunig wie möglich zukommen zu lassen. Die Gründe, aus denen die langwierigen Verhandlungen Klindworths zu gar keinem Ergebnis führten, sind nicht bekannt geworden. Vermutlich waren es die orientalische Krisis und der Krimkrieg, die das Interesse der preußischen Regierung von dieser Frage augenblicklich ablenkten. Zur Erinnerung an Ibsen oller wir einen Dramatiker, der die Menschen, allerdings wohl wesentlich die von germanischem Geblüt, so stark beschäftigt wie Ibsen, in die Geschichte einreihen, so ist dies natürlich ein vor¬ läufiger Versuch, den die Zukunft sicher mit mancher Abwechslung wiederholen wird. Aber unter allen Umständen erhebt sich dabei ^ne stattliche Reihe von Fragen und Vergleichungen. Ich wähle davon nur einen ganz kleinen Teil aus, nämlich die Frage, wie weit Ibsen der Möglichkeit, Allgemein genossen zu werden, nahe kommt, und wie er sich zum allgemeinen Problem des ernsten Dramas verhält, das nachher zu bezeichnen ist. Zwischen Kunstproduktion nud Kunstgenuß nämlich besteht ein oft be¬ ugtes, aber nicht immer gleich starkes Mißverhältnis. Eigentlich muß wohl der Künstler wünschen, von allen genossen, also auch — was nicht dasselbe möglichst verstanden zu werden. Aber dieses Ideal ist nicht zu erreichen; sonst wäre es ja keins. Die Natur hat es offenbar auch hier nicht auf eine allgemeine Gleichmacherei abgesehen. Ihr darin hartnäckig, z. B. mit der Ver¬ breitung der „Bildung" entgegenzutreten, gehört in das große und anziehende Kapitel von der Karikatur der Idee. Trotz der differenzierenden Eigenheit des Weltlaufs hat es aber mitunter Annäherungen an dieses Ideal gegeben, "ut zwar wesentlich unter dem Einfluß der Religion. So ergriff die Malerei in Italien die Gemüter viel allgemeiner und tiefer als bei uns. Noch tiefer war vielleicht der Eindruck der geistlichen Schauspiele des Mittelalters, der sogenannten Mysterien, die in verschiednen Ländern und in der breitesten und bequemsten Öffentlichkeit etwas darstellten, was damals zum Kern des geistigen Gebens gehörte. Auch in Griechenland war ja die Tragödie, wenigstens ur¬ sprünglich, eine religiöse Feier von nationalem Charakter. Freilich schwanken die Meinungen über die Beschaffenheit des Publikums. Lessing dachte wohl etwas

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/511>, abgerufen am 30.04.2024.