Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Durch Transkaukasien

Auffassung und die Darstellung des Besondern sei auch das eigentliche Leben
der Kunst, In dem, was Ibsen von diesen beiden Erfordernissen hat, scheint
anch seine besondre Bedeutung begründet zu sein, die sich auch immer wieder
wirksam erweisen muß. Der vielfach Rätselhafte liebte es offenbar nicht, von
allen Seiten und möglichst vielen neugierigen Zuschauern in sich hineinschauen
zu lassen. Als scharfer Beobachter und Darsteller der Konsequenzen mag er
wohl den Eindruck bekommen haben, daß die meisten fragwürdig oder uner¬
wünscht sind. Gelegentlich (Borkmann) findet sich die (unrichtige) Bemerkung,
nur die Geschwisterliebe sei nicht der Wandlung unterworfen. Ein unschätz¬
bares Gut ist aber die Freiheit. Zu ihr gehört das Gefühl der Schuldlosig-
keit. Wer es verloren hat, kann die Schuld sühnen; dadurch wird er wieder
frei. Aber auch an sich kann er sich sehnen, aus den verworrenen Kreisen
des Lebens mit seinen Gedanken und Strebungen zu entrinnen. Vielleicht
hat man desto weniger zu bereuen, je weniger man handelt? Vielleicht wird
man desto weniger gezerrt, mit je weniger Banden man an die Welt geknüpft
ist? Mag in einer solchen Bescheidung eine Art von Egoismus liegen, so ist
die Selbstüberwindung ja doch auch ein Preis, der gezahlt worden ist. Dafür
geht es dann (wie es in Klein Eyolf heißt) aufwärts zu den Gipfeln. Zu
U. Bruchmann den Sternen. Und der großen Stille.




Durch Transkaukasien
L?. Toepfer Reiseerinnerungen von

a lag es vor uns, das nächste Ziel unsrer Sehnsucht, die Hafen¬
stadt Vatum. Allmählich unterschied man Häuser und Kirchen und
fast am Ende der die Bucht gegen Westen abschließenden Land¬
zunge, der Arbeit des Tschorochflusses, das Küstenfort Burnn
labia. Auch andre Befestigungen, zum Teil aus der türkischen
Zeit stammende Uferbattericn und Artilleriestellungen auf den zwei bis drei
Werst vom Ufer entfernten Hügeln über der Artilleriestadt, sind mit einem
guten Glase zu erkennen. Es ist allerdings kein zweites Portsmouth oder
Toulon, was hier entstanden ist, sondern mehr ein geschützter Handelshafen, der
sich als vorgeschobner Posten gegen etwaige türkische Nückeroberungsgelüste halten
soll. Jedenfalls ein recht guter, eisfreier Hafen, der wohl die ganze Schwarze-
meerflotte und eine bedeutende Anzahl Handelsdampfer aufnehmen kann, auf der
Westseite bei vorzüglichem Ankergrund reichlich Wasser, auf der Ostseite immer
noch sechs bis acht Meter Wassertiefe und kurze Piers als Anlegeplätze für die
Handelsschiffe hat und hier durch Schienengeleise mit der transkaukasischen Eisen¬
bahn verbunden ist.


Durch Transkaukasien

Auffassung und die Darstellung des Besondern sei auch das eigentliche Leben
der Kunst, In dem, was Ibsen von diesen beiden Erfordernissen hat, scheint
anch seine besondre Bedeutung begründet zu sein, die sich auch immer wieder
wirksam erweisen muß. Der vielfach Rätselhafte liebte es offenbar nicht, von
allen Seiten und möglichst vielen neugierigen Zuschauern in sich hineinschauen
zu lassen. Als scharfer Beobachter und Darsteller der Konsequenzen mag er
wohl den Eindruck bekommen haben, daß die meisten fragwürdig oder uner¬
wünscht sind. Gelegentlich (Borkmann) findet sich die (unrichtige) Bemerkung,
nur die Geschwisterliebe sei nicht der Wandlung unterworfen. Ein unschätz¬
bares Gut ist aber die Freiheit. Zu ihr gehört das Gefühl der Schuldlosig-
keit. Wer es verloren hat, kann die Schuld sühnen; dadurch wird er wieder
frei. Aber auch an sich kann er sich sehnen, aus den verworrenen Kreisen
des Lebens mit seinen Gedanken und Strebungen zu entrinnen. Vielleicht
hat man desto weniger zu bereuen, je weniger man handelt? Vielleicht wird
man desto weniger gezerrt, mit je weniger Banden man an die Welt geknüpft
ist? Mag in einer solchen Bescheidung eine Art von Egoismus liegen, so ist
die Selbstüberwindung ja doch auch ein Preis, der gezahlt worden ist. Dafür
geht es dann (wie es in Klein Eyolf heißt) aufwärts zu den Gipfeln. Zu
U. Bruchmann den Sternen. Und der großen Stille.




Durch Transkaukasien
L?. Toepfer Reiseerinnerungen von

a lag es vor uns, das nächste Ziel unsrer Sehnsucht, die Hafen¬
stadt Vatum. Allmählich unterschied man Häuser und Kirchen und
fast am Ende der die Bucht gegen Westen abschließenden Land¬
zunge, der Arbeit des Tschorochflusses, das Küstenfort Burnn
labia. Auch andre Befestigungen, zum Teil aus der türkischen
Zeit stammende Uferbattericn und Artilleriestellungen auf den zwei bis drei
Werst vom Ufer entfernten Hügeln über der Artilleriestadt, sind mit einem
guten Glase zu erkennen. Es ist allerdings kein zweites Portsmouth oder
Toulon, was hier entstanden ist, sondern mehr ein geschützter Handelshafen, der
sich als vorgeschobner Posten gegen etwaige türkische Nückeroberungsgelüste halten
soll. Jedenfalls ein recht guter, eisfreier Hafen, der wohl die ganze Schwarze-
meerflotte und eine bedeutende Anzahl Handelsdampfer aufnehmen kann, auf der
Westseite bei vorzüglichem Ankergrund reichlich Wasser, auf der Ostseite immer
noch sechs bis acht Meter Wassertiefe und kurze Piers als Anlegeplätze für die
Handelsschiffe hat und hier durch Schienengeleise mit der transkaukasischen Eisen¬
bahn verbunden ist.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0520" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/300307"/>
          <fw type="header" place="top"> Durch Transkaukasien</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1974" prev="#ID_1973"> Auffassung und die Darstellung des Besondern sei auch das eigentliche Leben<lb/>
der Kunst, In dem, was Ibsen von diesen beiden Erfordernissen hat, scheint<lb/>
anch seine besondre Bedeutung begründet zu sein, die sich auch immer wieder<lb/>
wirksam erweisen muß. Der vielfach Rätselhafte liebte es offenbar nicht, von<lb/>
allen Seiten und möglichst vielen neugierigen Zuschauern in sich hineinschauen<lb/>
zu lassen. Als scharfer Beobachter und Darsteller der Konsequenzen mag er<lb/>
wohl den Eindruck bekommen haben, daß die meisten fragwürdig oder uner¬<lb/>
wünscht sind. Gelegentlich (Borkmann) findet sich die (unrichtige) Bemerkung,<lb/>
nur die Geschwisterliebe sei nicht der Wandlung unterworfen. Ein unschätz¬<lb/>
bares Gut ist aber die Freiheit. Zu ihr gehört das Gefühl der Schuldlosig-<lb/>
keit. Wer es verloren hat, kann die Schuld sühnen; dadurch wird er wieder<lb/>
frei. Aber auch an sich kann er sich sehnen, aus den verworrenen Kreisen<lb/>
des Lebens mit seinen Gedanken und Strebungen zu entrinnen. Vielleicht<lb/>
hat man desto weniger zu bereuen, je weniger man handelt? Vielleicht wird<lb/>
man desto weniger gezerrt, mit je weniger Banden man an die Welt geknüpft<lb/>
ist? Mag in einer solchen Bescheidung eine Art von Egoismus liegen, so ist<lb/>
die Selbstüberwindung ja doch auch ein Preis, der gezahlt worden ist. Dafür<lb/>
geht es dann (wie es in Klein Eyolf heißt) aufwärts zu den Gipfeln. Zu<lb/><note type="byline"> U. Bruchmann</note> den Sternen.  Und der großen Stille. </p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Durch Transkaukasien<lb/><note type="byline"> L?. Toepfer</note> Reiseerinnerungen von</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1975"> a lag es vor uns, das nächste Ziel unsrer Sehnsucht, die Hafen¬<lb/>
stadt Vatum. Allmählich unterschied man Häuser und Kirchen und<lb/>
fast am Ende der die Bucht gegen Westen abschließenden Land¬<lb/>
zunge, der Arbeit des Tschorochflusses, das Küstenfort Burnn<lb/>
labia. Auch andre Befestigungen, zum Teil aus der türkischen<lb/>
Zeit stammende Uferbattericn und Artilleriestellungen auf den zwei bis drei<lb/>
Werst vom Ufer entfernten Hügeln über der Artilleriestadt, sind mit einem<lb/>
guten Glase zu erkennen. Es ist allerdings kein zweites Portsmouth oder<lb/>
Toulon, was hier entstanden ist, sondern mehr ein geschützter Handelshafen, der<lb/>
sich als vorgeschobner Posten gegen etwaige türkische Nückeroberungsgelüste halten<lb/>
soll. Jedenfalls ein recht guter, eisfreier Hafen, der wohl die ganze Schwarze-<lb/>
meerflotte und eine bedeutende Anzahl Handelsdampfer aufnehmen kann, auf der<lb/>
Westseite bei vorzüglichem Ankergrund reichlich Wasser, auf der Ostseite immer<lb/>
noch sechs bis acht Meter Wassertiefe und kurze Piers als Anlegeplätze für die<lb/>
Handelsschiffe hat und hier durch Schienengeleise mit der transkaukasischen Eisen¬<lb/>
bahn verbunden ist.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0520] Durch Transkaukasien Auffassung und die Darstellung des Besondern sei auch das eigentliche Leben der Kunst, In dem, was Ibsen von diesen beiden Erfordernissen hat, scheint anch seine besondre Bedeutung begründet zu sein, die sich auch immer wieder wirksam erweisen muß. Der vielfach Rätselhafte liebte es offenbar nicht, von allen Seiten und möglichst vielen neugierigen Zuschauern in sich hineinschauen zu lassen. Als scharfer Beobachter und Darsteller der Konsequenzen mag er wohl den Eindruck bekommen haben, daß die meisten fragwürdig oder uner¬ wünscht sind. Gelegentlich (Borkmann) findet sich die (unrichtige) Bemerkung, nur die Geschwisterliebe sei nicht der Wandlung unterworfen. Ein unschätz¬ bares Gut ist aber die Freiheit. Zu ihr gehört das Gefühl der Schuldlosig- keit. Wer es verloren hat, kann die Schuld sühnen; dadurch wird er wieder frei. Aber auch an sich kann er sich sehnen, aus den verworrenen Kreisen des Lebens mit seinen Gedanken und Strebungen zu entrinnen. Vielleicht hat man desto weniger zu bereuen, je weniger man handelt? Vielleicht wird man desto weniger gezerrt, mit je weniger Banden man an die Welt geknüpft ist? Mag in einer solchen Bescheidung eine Art von Egoismus liegen, so ist die Selbstüberwindung ja doch auch ein Preis, der gezahlt worden ist. Dafür geht es dann (wie es in Klein Eyolf heißt) aufwärts zu den Gipfeln. Zu U. Bruchmann den Sternen. Und der großen Stille. Durch Transkaukasien L?. Toepfer Reiseerinnerungen von a lag es vor uns, das nächste Ziel unsrer Sehnsucht, die Hafen¬ stadt Vatum. Allmählich unterschied man Häuser und Kirchen und fast am Ende der die Bucht gegen Westen abschließenden Land¬ zunge, der Arbeit des Tschorochflusses, das Küstenfort Burnn labia. Auch andre Befestigungen, zum Teil aus der türkischen Zeit stammende Uferbattericn und Artilleriestellungen auf den zwei bis drei Werst vom Ufer entfernten Hügeln über der Artilleriestadt, sind mit einem guten Glase zu erkennen. Es ist allerdings kein zweites Portsmouth oder Toulon, was hier entstanden ist, sondern mehr ein geschützter Handelshafen, der sich als vorgeschobner Posten gegen etwaige türkische Nückeroberungsgelüste halten soll. Jedenfalls ein recht guter, eisfreier Hafen, der wohl die ganze Schwarze- meerflotte und eine bedeutende Anzahl Handelsdampfer aufnehmen kann, auf der Westseite bei vorzüglichem Ankergrund reichlich Wasser, auf der Ostseite immer noch sechs bis acht Meter Wassertiefe und kurze Piers als Anlegeplätze für die Handelsschiffe hat und hier durch Schienengeleise mit der transkaukasischen Eisen¬ bahn verbunden ist.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/520
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/520>, abgerufen am 30.04.2024.