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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Bleibendes und vergängliches in der Kriegführung

Die Gesamteinwanderung ist also von 216659 Personen im Jahre 1891
auf 12447 im Jahre 1904 herabgegangen, und der Hauptteil sind Südeuropäer,
die auf Kosten des Staates Sav Paulo als Plantagenarbeiter nach der Kaffee¬
zone von Santos gingen. Die deutsche Einwanderung sank von 5285 Seelen
im Jahre 1891 auf 88 Seelen im Jahre 1900 und wäre so geringfügig geblieben,
wenn nicht Herr Dr. Herrmann Meyer in Rio Grande do Sui und ganz be¬
sonders die Hanseatische Kolonisationsgesellschaft in Santa Catharina durch ihre
Unternehmungen und Siedlungen dem gänzlichen Versiegen der Einwanderung
vorgebeugt hätten. Die Arbeit dieser beiden kolonisatorischen Unternehmungen
ist gleichwohl undankbar genug geblieben, denn die Zahl der Personen, die
sich wirklich in deren Siedlungen niedergelassen haben, ist noch geringer als
die schon so geringe Zahl der deutschen Einwandrer.

Übrigens ist es interessant, zu vernehmen, daß sich allen vorliegenden Be¬
richten zufolge eine feindselige Stimmung der riogrcmdenser Bevölkerung gegen
das Deutschtum nicht feststellen läßt. Die ganze Landbereinigung und die sie
begleitende Deutschenhetze sind also auf Rechnung einer Anzahl Nativisten zu
setzen, die in den Nepartitionen der Staatsregierung maßgebenden Einfluß aus¬
üben. Die ausgeraubten Kolonisten sind, wie schon erwähnt worden ist,
durchweg Deutschbrasilianer, d. i. meist geborne, teilweise naturalisierte Landes¬
bürger. Das Deutsche Reich, die deutschen Konsulate konnten und können
also nichts für die Leute tun. Die reichsdeutsche Presse aber wird nicht ver¬
fehlen, sich der geschädigten Sprach- und Stammgenossen anzunehmen und
das raubsüchtige Beamtengelichter, das sie um ihre sauer erworbnen Ersparnisse
bringt, der Verachtung der Welt preiszugeben.




Bleibendes und Vergängliches in der Kriegführung

7)^^Q?!is die russischen Waffen jüngst in der Mandschurei fortwährend
vom Unglück verfolgt wurden, sind mit Recht neben vielem andern
auch die fehlerhaften Anschauungen über Kriegführung im großen
und die veraltete Taktik als Ursachen bezeichnet worden, die den
I Niedergang der stolzen Kriegsmacht des Zarenreichs verschuldet
haben. Wo immer eine Armee auf den Schlachtfeldern unterlag, ist die Ursache
neben fehlenden moralischen Eigenschaften, innern Schäden und schlechter Be¬
waffnung in der mangelhaften Schulung der Führer und der Truppe zu suchen,
so 1870 bei den Franzosen, 1866 und zum Teil auch 1859 bei den Österreichern,
so vor allem 1806 bei der preußischen Armee. Über diesen ihren einzigen un¬
glücklichen Wassergang, der jetzt um hundert Jahre zurückliegt, sind kürzlich zwei
Veröffentlichungen von großer Bedeutung erschienen. General der Infanterie


Bleibendes und vergängliches in der Kriegführung

Die Gesamteinwanderung ist also von 216659 Personen im Jahre 1891
auf 12447 im Jahre 1904 herabgegangen, und der Hauptteil sind Südeuropäer,
die auf Kosten des Staates Sav Paulo als Plantagenarbeiter nach der Kaffee¬
zone von Santos gingen. Die deutsche Einwanderung sank von 5285 Seelen
im Jahre 1891 auf 88 Seelen im Jahre 1900 und wäre so geringfügig geblieben,
wenn nicht Herr Dr. Herrmann Meyer in Rio Grande do Sui und ganz be¬
sonders die Hanseatische Kolonisationsgesellschaft in Santa Catharina durch ihre
Unternehmungen und Siedlungen dem gänzlichen Versiegen der Einwanderung
vorgebeugt hätten. Die Arbeit dieser beiden kolonisatorischen Unternehmungen
ist gleichwohl undankbar genug geblieben, denn die Zahl der Personen, die
sich wirklich in deren Siedlungen niedergelassen haben, ist noch geringer als
die schon so geringe Zahl der deutschen Einwandrer.

Übrigens ist es interessant, zu vernehmen, daß sich allen vorliegenden Be¬
richten zufolge eine feindselige Stimmung der riogrcmdenser Bevölkerung gegen
das Deutschtum nicht feststellen läßt. Die ganze Landbereinigung und die sie
begleitende Deutschenhetze sind also auf Rechnung einer Anzahl Nativisten zu
setzen, die in den Nepartitionen der Staatsregierung maßgebenden Einfluß aus¬
üben. Die ausgeraubten Kolonisten sind, wie schon erwähnt worden ist,
durchweg Deutschbrasilianer, d. i. meist geborne, teilweise naturalisierte Landes¬
bürger. Das Deutsche Reich, die deutschen Konsulate konnten und können
also nichts für die Leute tun. Die reichsdeutsche Presse aber wird nicht ver¬
fehlen, sich der geschädigten Sprach- und Stammgenossen anzunehmen und
das raubsüchtige Beamtengelichter, das sie um ihre sauer erworbnen Ersparnisse
bringt, der Verachtung der Welt preiszugeben.




Bleibendes und Vergängliches in der Kriegführung

7)^^Q?!is die russischen Waffen jüngst in der Mandschurei fortwährend
vom Unglück verfolgt wurden, sind mit Recht neben vielem andern
auch die fehlerhaften Anschauungen über Kriegführung im großen
und die veraltete Taktik als Ursachen bezeichnet worden, die den
I Niedergang der stolzen Kriegsmacht des Zarenreichs verschuldet
haben. Wo immer eine Armee auf den Schlachtfeldern unterlag, ist die Ursache
neben fehlenden moralischen Eigenschaften, innern Schäden und schlechter Be¬
waffnung in der mangelhaften Schulung der Führer und der Truppe zu suchen,
so 1870 bei den Franzosen, 1866 und zum Teil auch 1859 bei den Österreichern,
so vor allem 1806 bei der preußischen Armee. Über diesen ihren einzigen un¬
glücklichen Wassergang, der jetzt um hundert Jahre zurückliegt, sind kürzlich zwei
Veröffentlichungen von großer Bedeutung erschienen. General der Infanterie


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/554>, abgerufen am 30.04.2024.