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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Christliche Liebestätigkeit

Beendigung der Mobilmachung, bei der Baden an Felddivision, Besatzungs- und
^rsatztruppm 35181 Mann und 8038 Pferde aufstellte, in Karlsruhe zu bleiben
und hier die ersten militärischen Entscheidungen abzuwarten. Ein günstiger Ver¬
ruf mußte sich in seinen unmittelbaren Folgen gegen Straßburg richten.




Christliche Liebestätigkeit
H. Meinhof vonin

le Liebestätigkeit, Hilfe für leibliche und sittliche Not der ver¬
schiedensten Art steht in der heutigen Zeit, man kann sagen, fort¬
während auf der Tagesordnung. Von den verschiedensten Seiten
wird dazu aufgerufen, oft genug mit einem stürmischen Drang
und mit herben Vorwürfen über bisherige Versäumnisse. Nicht
"anz selten aber kann man bei solchen, die ihrerseits eine Hilfsarbeit beginnen,
eine überraschende Unkenntnis beobachten über das, was schon getan ist,
^ Deiche sogar auf demselben Gebiet, das sie neu zu beackern meinen -- nur
sie selbst von dem Gelärm und Erreichten nichts wissen. Bei dem Reich-
. w und der Vielgestaltigkeit des modernen Lebens darf es aber auch nicht
^ninal wundernehmen, daß von dem Umfang der Liebestätigkeit vielleicht die
eingsten im Volk auch nur annähernd eine Kenntnis und lebendige Vor-
^ellung haben. Es gehört in der Tat ein eingehendes und liebevolles
udium dazu, mit dieser Großmacht unsers modernen Lebens -- denn das
I sie -- einigermaßen vertraut zu sein. So ists vielleicht manchem will-
nunen, wenn hier einmal versucht wird, nur kurz und in einzelnen lebens-
^n Zügen darzustellen, was bisher getan, was erreicht ist, und es werden
raus von selbst bedeutsame Lehren und Aufgaben für die Gegenwart hervor¬
treten.

5. Was ist erreicht?

Erreicht ist erstens: eine unzählbare Menge von Einzelhilfen.

Als der Kandidat Wiehern am 12. September 1833 zur Gründung des
putzen Hauses aufrief, schloß er seine Rede: "Gewiß, wer jemals ein armes
kuies Kind gesehen, wie jenes eines war, das zu mir, dem damals ihm
"°es gänzlich Unbekannten, auf offner Straße herzulief und mit ausgestreckten
fanden und bittenden Blicken, weinend zu mir hinauf sich wand und
warum sollte ich es nicht erzählen? -- die Hände, die ihm noch nie eine
Wohltat erwiesen, küssen wollte und rief: Komm mit! komm mit! und siehe,
""e mir es geht! -- Wer solch ein Kind jemals gesehen, der würde die Angst
und die Tiefe des Bedürfnisses in den Seelen dieser Kinder begreifen und
onnte dem heiligen Triebe zu retten nicht widerstehen." Mit zwölf Kindern
eröffnete Wiehern in demselben Jahre das Rauhe Haus. Aber denken wir


Christliche Liebestätigkeit

Beendigung der Mobilmachung, bei der Baden an Felddivision, Besatzungs- und
^rsatztruppm 35181 Mann und 8038 Pferde aufstellte, in Karlsruhe zu bleiben
und hier die ersten militärischen Entscheidungen abzuwarten. Ein günstiger Ver¬
ruf mußte sich in seinen unmittelbaren Folgen gegen Straßburg richten.




Christliche Liebestätigkeit
H. Meinhof vonin

le Liebestätigkeit, Hilfe für leibliche und sittliche Not der ver¬
schiedensten Art steht in der heutigen Zeit, man kann sagen, fort¬
während auf der Tagesordnung. Von den verschiedensten Seiten
wird dazu aufgerufen, oft genug mit einem stürmischen Drang
und mit herben Vorwürfen über bisherige Versäumnisse. Nicht
»anz selten aber kann man bei solchen, die ihrerseits eine Hilfsarbeit beginnen,
eine überraschende Unkenntnis beobachten über das, was schon getan ist,
^ Deiche sogar auf demselben Gebiet, das sie neu zu beackern meinen — nur
sie selbst von dem Gelärm und Erreichten nichts wissen. Bei dem Reich-
. w und der Vielgestaltigkeit des modernen Lebens darf es aber auch nicht
^ninal wundernehmen, daß von dem Umfang der Liebestätigkeit vielleicht die
eingsten im Volk auch nur annähernd eine Kenntnis und lebendige Vor-
^ellung haben. Es gehört in der Tat ein eingehendes und liebevolles
udium dazu, mit dieser Großmacht unsers modernen Lebens — denn das
I sie — einigermaßen vertraut zu sein. So ists vielleicht manchem will-
nunen, wenn hier einmal versucht wird, nur kurz und in einzelnen lebens-
^n Zügen darzustellen, was bisher getan, was erreicht ist, und es werden
raus von selbst bedeutsame Lehren und Aufgaben für die Gegenwart hervor¬
treten.

5. Was ist erreicht?

Erreicht ist erstens: eine unzählbare Menge von Einzelhilfen.

Als der Kandidat Wiehern am 12. September 1833 zur Gründung des
putzen Hauses aufrief, schloß er seine Rede: „Gewiß, wer jemals ein armes
kuies Kind gesehen, wie jenes eines war, das zu mir, dem damals ihm
"°es gänzlich Unbekannten, auf offner Straße herzulief und mit ausgestreckten
fanden und bittenden Blicken, weinend zu mir hinauf sich wand und
warum sollte ich es nicht erzählen? — die Hände, die ihm noch nie eine
Wohltat erwiesen, küssen wollte und rief: Komm mit! komm mit! und siehe,
""e mir es geht! — Wer solch ein Kind jemals gesehen, der würde die Angst
und die Tiefe des Bedürfnisses in den Seelen dieser Kinder begreifen und
onnte dem heiligen Triebe zu retten nicht widerstehen." Mit zwölf Kindern
eröffnete Wiehern in demselben Jahre das Rauhe Haus. Aber denken wir


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[0607] Christliche Liebestätigkeit Beendigung der Mobilmachung, bei der Baden an Felddivision, Besatzungs- und ^rsatztruppm 35181 Mann und 8038 Pferde aufstellte, in Karlsruhe zu bleiben und hier die ersten militärischen Entscheidungen abzuwarten. Ein günstiger Ver¬ ruf mußte sich in seinen unmittelbaren Folgen gegen Straßburg richten. Christliche Liebestätigkeit H. Meinhof vonin le Liebestätigkeit, Hilfe für leibliche und sittliche Not der ver¬ schiedensten Art steht in der heutigen Zeit, man kann sagen, fort¬ während auf der Tagesordnung. Von den verschiedensten Seiten wird dazu aufgerufen, oft genug mit einem stürmischen Drang und mit herben Vorwürfen über bisherige Versäumnisse. Nicht »anz selten aber kann man bei solchen, die ihrerseits eine Hilfsarbeit beginnen, eine überraschende Unkenntnis beobachten über das, was schon getan ist, ^ Deiche sogar auf demselben Gebiet, das sie neu zu beackern meinen — nur sie selbst von dem Gelärm und Erreichten nichts wissen. Bei dem Reich- . w und der Vielgestaltigkeit des modernen Lebens darf es aber auch nicht ^ninal wundernehmen, daß von dem Umfang der Liebestätigkeit vielleicht die eingsten im Volk auch nur annähernd eine Kenntnis und lebendige Vor- ^ellung haben. Es gehört in der Tat ein eingehendes und liebevolles udium dazu, mit dieser Großmacht unsers modernen Lebens — denn das I sie — einigermaßen vertraut zu sein. So ists vielleicht manchem will- nunen, wenn hier einmal versucht wird, nur kurz und in einzelnen lebens- ^n Zügen darzustellen, was bisher getan, was erreicht ist, und es werden raus von selbst bedeutsame Lehren und Aufgaben für die Gegenwart hervor¬ treten. 5. Was ist erreicht? Erreicht ist erstens: eine unzählbare Menge von Einzelhilfen. Als der Kandidat Wiehern am 12. September 1833 zur Gründung des putzen Hauses aufrief, schloß er seine Rede: „Gewiß, wer jemals ein armes kuies Kind gesehen, wie jenes eines war, das zu mir, dem damals ihm "°es gänzlich Unbekannten, auf offner Straße herzulief und mit ausgestreckten fanden und bittenden Blicken, weinend zu mir hinauf sich wand und warum sollte ich es nicht erzählen? — die Hände, die ihm noch nie eine Wohltat erwiesen, küssen wollte und rief: Komm mit! komm mit! und siehe, ""e mir es geht! — Wer solch ein Kind jemals gesehen, der würde die Angst und die Tiefe des Bedürfnisses in den Seelen dieser Kinder begreifen und onnte dem heiligen Triebe zu retten nicht widerstehen." Mit zwölf Kindern eröffnete Wiehern in demselben Jahre das Rauhe Haus. Aber denken wir

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/607>, abgerufen am 30.04.2024.