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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Okkupation, im Auge gehabt, da die französischen Finanzmänner mit großen Interessen
in Ägypten engagiert waren. Sie könnten aber in der deutschen Presse wohl nur
durch deutsche Bankhäuser eine Vertretung erreicht haben. Rußland hatte ein
politisches Interesse an einem französisch-englischen Konflikt wegen Ägypten und
hatte wohl Mittel und Wege, dieses Interesse auch in Deutschland zur Geltung
zu bringen. Aufwendungen dazu waren kaum in erheblichem Umfange nötig, da
die öffentliche Meinung in Deutschland auch damals sehr wenig mit England
"H* sympathisierte



Technik und Kultur.

Die Umwälzungen, die der seit hundert Jahren
rastlos vorwärts stürmende technische Fortschritt auf allen Lebensgebieten zur Folge
hat, hält die Gesetzgeber, die Staatsmänner fortwährend in Atem und macht die
Erforschung des Zusammenhangs der Technik mit den übrigen Kulturzweigen zu
einer ihrer dringendsten Aufgaben. Ulrich Wendt, augenscheinlich ein historisch
und philosophisch gebildeter Techniker, versucht diese Aufgabe zu lösen in der "Studie"!
Die Technik als Kulturmacht (Berlin. Georg Reimer, 1906). Er stellt drei
Behauptungen auf: "1. Durch die Technik wird die menschliche Arbeitskraft fort¬
schreitend vergeistigt; 2. der steigende Geist erkämpft sich im Staate die persönliche
und die politische Freiheit; 3. der befreite Mensch vertieft das seelische Leben und
veredelt die Kultur" und führt den Beweis dafür in einem geschichtsphilosophischen
Überblick über die politische und die Kulturgeschichte. Wir sind weit entfernt davon,
die Richtigkeit der drei Behauptungen bedingungslos zuzugeben und die Beweis¬
führung durchweg stichhaltig zu finden; vieles darin ist zweifellos falsch, vieles nur
halb wahr. Aber Politiker, die mit den notwendigen historischen Kenntnissen und
mit kritischem Scharfsinn ausgerüstet sind, werden das Buch mit Nutzen lesen; wenn
es nicht auf alle Fragen die richtige Antwort gibt, lehrt es wenigstens alle die
Fragen auswerfen, die der technische Fortschritt an den Staatsmann und den Gesetz¬
geber und auch an den praktisch unbeteiligten Denker stellt.






Maßgebliches und Unmaßgebliches

Okkupation, im Auge gehabt, da die französischen Finanzmänner mit großen Interessen
in Ägypten engagiert waren. Sie könnten aber in der deutschen Presse wohl nur
durch deutsche Bankhäuser eine Vertretung erreicht haben. Rußland hatte ein
politisches Interesse an einem französisch-englischen Konflikt wegen Ägypten und
hatte wohl Mittel und Wege, dieses Interesse auch in Deutschland zur Geltung
zu bringen. Aufwendungen dazu waren kaum in erheblichem Umfange nötig, da
die öffentliche Meinung in Deutschland auch damals sehr wenig mit England
"H* sympathisierte



Technik und Kultur.

Die Umwälzungen, die der seit hundert Jahren
rastlos vorwärts stürmende technische Fortschritt auf allen Lebensgebieten zur Folge
hat, hält die Gesetzgeber, die Staatsmänner fortwährend in Atem und macht die
Erforschung des Zusammenhangs der Technik mit den übrigen Kulturzweigen zu
einer ihrer dringendsten Aufgaben. Ulrich Wendt, augenscheinlich ein historisch
und philosophisch gebildeter Techniker, versucht diese Aufgabe zu lösen in der „Studie"!
Die Technik als Kulturmacht (Berlin. Georg Reimer, 1906). Er stellt drei
Behauptungen auf: „1. Durch die Technik wird die menschliche Arbeitskraft fort¬
schreitend vergeistigt; 2. der steigende Geist erkämpft sich im Staate die persönliche
und die politische Freiheit; 3. der befreite Mensch vertieft das seelische Leben und
veredelt die Kultur" und führt den Beweis dafür in einem geschichtsphilosophischen
Überblick über die politische und die Kulturgeschichte. Wir sind weit entfernt davon,
die Richtigkeit der drei Behauptungen bedingungslos zuzugeben und die Beweis¬
führung durchweg stichhaltig zu finden; vieles darin ist zweifellos falsch, vieles nur
halb wahr. Aber Politiker, die mit den notwendigen historischen Kenntnissen und
mit kritischem Scharfsinn ausgerüstet sind, werden das Buch mit Nutzen lesen; wenn
es nicht auf alle Fragen die richtige Antwort gibt, lehrt es wenigstens alle die
Fragen auswerfen, die der technische Fortschritt an den Staatsmann und den Gesetz¬
geber und auch an den praktisch unbeteiligten Denker stellt.






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[0064] Maßgebliches und Unmaßgebliches Okkupation, im Auge gehabt, da die französischen Finanzmänner mit großen Interessen in Ägypten engagiert waren. Sie könnten aber in der deutschen Presse wohl nur durch deutsche Bankhäuser eine Vertretung erreicht haben. Rußland hatte ein politisches Interesse an einem französisch-englischen Konflikt wegen Ägypten und hatte wohl Mittel und Wege, dieses Interesse auch in Deutschland zur Geltung zu bringen. Aufwendungen dazu waren kaum in erheblichem Umfange nötig, da die öffentliche Meinung in Deutschland auch damals sehr wenig mit England "H* sympathisierte Technik und Kultur. Die Umwälzungen, die der seit hundert Jahren rastlos vorwärts stürmende technische Fortschritt auf allen Lebensgebieten zur Folge hat, hält die Gesetzgeber, die Staatsmänner fortwährend in Atem und macht die Erforschung des Zusammenhangs der Technik mit den übrigen Kulturzweigen zu einer ihrer dringendsten Aufgaben. Ulrich Wendt, augenscheinlich ein historisch und philosophisch gebildeter Techniker, versucht diese Aufgabe zu lösen in der „Studie"! Die Technik als Kulturmacht (Berlin. Georg Reimer, 1906). Er stellt drei Behauptungen auf: „1. Durch die Technik wird die menschliche Arbeitskraft fort¬ schreitend vergeistigt; 2. der steigende Geist erkämpft sich im Staate die persönliche und die politische Freiheit; 3. der befreite Mensch vertieft das seelische Leben und veredelt die Kultur" und führt den Beweis dafür in einem geschichtsphilosophischen Überblick über die politische und die Kulturgeschichte. Wir sind weit entfernt davon, die Richtigkeit der drei Behauptungen bedingungslos zuzugeben und die Beweis¬ führung durchweg stichhaltig zu finden; vieles darin ist zweifellos falsch, vieles nur halb wahr. Aber Politiker, die mit den notwendigen historischen Kenntnissen und mit kritischem Scharfsinn ausgerüstet sind, werden das Buch mit Nutzen lesen; wenn es nicht auf alle Fragen die richtige Antwort gibt, lehrt es wenigstens alle die Fragen auswerfen, die der technische Fortschritt an den Staatsmann und den Gesetz¬ geber und auch an den praktisch unbeteiligten Denker stellt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/64>, abgerufen am 30.04.2024.