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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Karl Schurz

ins Jüngere berührt der Name Karl Schurz wie ein Klang aus
vergangnen Tagen. Nie wohl hat ein Jahrhundert seine Menschen
so von den Bürgern des vorausgegangnen getrennt wie das
zwanzigste. Die, deren Leben im neunzehnten Jahrhundert ver-
Ilief, gehören für uns einer abgelebten Zeit an. Wir stehn zu
ihnen nahezu schon, wie der Historiker der Zukunft zu ihnen stehn wird; so
groß ist der Abstand zwischen ihnen und uns, zwischen Vätern und Söhnen.

Karl Schurz war ein Achtundvierziger. Er hatte für schwarz-rot-gold
sein Leben dargeboten und hatte es noch einmal eingesetzt, als er seinen
Lehrer und Freund befreite. Dieselbe Regierung, ja dieselben Personen, die
er bekämpft hatte, schlössen nachher, so erschien es den hiesigen Deutschen,
mit ihm Frieden. Er hatte vor dem Kaiser gestanden, der als der "Kartütschen-
prinz" die "Söldnerknechte" befehligt hatte, und kraft des Oivis ainsrioWus
sum hatte ihn der eiserne Kanzler als seinesgleichen empfangen: der Bürger
und der Beamte trafen sich in menschlicher Achtung voreinander. Das erschien
dem Deutschamerikaner als das Höchste.

Karl Schurz war ein "lateinischer Ökonomiker". Im Westen, in Wisconsin
hatte er gefarmt. Büchse und Spaten ergriff er statt der Feder und des
Schwertes. Er gesellte sich zu den Trägern des nachmals viel geleugneten
und doch damals warm gehegten Traumes eines Deutschlands am Michigansee.
Den Akademiker hatte er mit dem Untertan im Meere versenkt, ehe er den
Boden des Landes der Freiheit betrat. Neu, von vorn fing er nun an,
und er hatte Erfolg -- auch darin ein rechter Einwandrer. Aber er schuf
sich nicht ein Idyll, dort seine Tage zu verträumen und ein paar Heimweh¬
lieder zu hinterlassen, sondern trat mit der selbstverständlichen Sicherheit, die
wir wohl am Genie beobachten, in die rauhe öffentliche Wirklichkeit hinaus:
er wurde Politiker, im amerikanischen Sinne des Wortes, Parteimann, der
zuerst im engern Kreise seines Heimatstaats, dann im weitern der Nation den
Grundsätzen seiner Partei und den Männern, die sie vertreten, zum Siege
verhilft. Spielend und glänzend überwand er die Schranke, die den fremd¬
sprachlichen Einwandrer von der politischen Tätigkeit trennt, das Englische,
von dem man sagen darf, daß nur Auserlesne es zum öffentlichen Gebrauche
bemeistern lernen. Für die Masse der deutschen Einwandrer bedeutet es den
holprigen, steinichten Pfad, wo die Gefahr des bekannten Schrittes vom Er-




Karl Schurz

ins Jüngere berührt der Name Karl Schurz wie ein Klang aus
vergangnen Tagen. Nie wohl hat ein Jahrhundert seine Menschen
so von den Bürgern des vorausgegangnen getrennt wie das
zwanzigste. Die, deren Leben im neunzehnten Jahrhundert ver-
Ilief, gehören für uns einer abgelebten Zeit an. Wir stehn zu
ihnen nahezu schon, wie der Historiker der Zukunft zu ihnen stehn wird; so
groß ist der Abstand zwischen ihnen und uns, zwischen Vätern und Söhnen.

Karl Schurz war ein Achtundvierziger. Er hatte für schwarz-rot-gold
sein Leben dargeboten und hatte es noch einmal eingesetzt, als er seinen
Lehrer und Freund befreite. Dieselbe Regierung, ja dieselben Personen, die
er bekämpft hatte, schlössen nachher, so erschien es den hiesigen Deutschen,
mit ihm Frieden. Er hatte vor dem Kaiser gestanden, der als der „Kartütschen-
prinz" die „Söldnerknechte" befehligt hatte, und kraft des Oivis ainsrioWus
sum hatte ihn der eiserne Kanzler als seinesgleichen empfangen: der Bürger
und der Beamte trafen sich in menschlicher Achtung voreinander. Das erschien
dem Deutschamerikaner als das Höchste.

Karl Schurz war ein „lateinischer Ökonomiker". Im Westen, in Wisconsin
hatte er gefarmt. Büchse und Spaten ergriff er statt der Feder und des
Schwertes. Er gesellte sich zu den Trägern des nachmals viel geleugneten
und doch damals warm gehegten Traumes eines Deutschlands am Michigansee.
Den Akademiker hatte er mit dem Untertan im Meere versenkt, ehe er den
Boden des Landes der Freiheit betrat. Neu, von vorn fing er nun an,
und er hatte Erfolg — auch darin ein rechter Einwandrer. Aber er schuf
sich nicht ein Idyll, dort seine Tage zu verträumen und ein paar Heimweh¬
lieder zu hinterlassen, sondern trat mit der selbstverständlichen Sicherheit, die
wir wohl am Genie beobachten, in die rauhe öffentliche Wirklichkeit hinaus:
er wurde Politiker, im amerikanischen Sinne des Wortes, Parteimann, der
zuerst im engern Kreise seines Heimatstaats, dann im weitern der Nation den
Grundsätzen seiner Partei und den Männern, die sie vertreten, zum Siege
verhilft. Spielend und glänzend überwand er die Schranke, die den fremd¬
sprachlichen Einwandrer von der politischen Tätigkeit trennt, das Englische,
von dem man sagen darf, daß nur Auserlesne es zum öffentlichen Gebrauche
bemeistern lernen. Für die Masse der deutschen Einwandrer bedeutet es den
holprigen, steinichten Pfad, wo die Gefahr des bekannten Schrittes vom Er-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/672>, abgerufen am 30.04.2024.