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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Russische Briefe
George Lleinow von

M^C-HMlie innere Politik Rußlands sitzt, von außen betrachtet, wieder
I einmal in der Sackgasse. Will man sich in dem Chaos einiger¬
maßen zurechtfinden, dann muß man die einzelnen Erscheinungen,
durch die die Lage bedingt wird, genau untersuchen. Das ist
!niber nur mit Hilfe eines Rückblicks auf das ablaufende Ne-
volutionsjahr möglich. Denn absichtlich und unabsichtlich sind Geschehnisse
in den Vordergrund gedrängt worden, die tatsächlich nur momentanes Interesse
beanspruchen durften, während wichtigere Vorgänge unbeachtet blieben, nur
weil sie mit keiner Sensation verbunden waren. Daraus ergibt sich ein schiefes
Bild, und das Ausland klagt dort an, wo es loben sollte, und lobt, wo der
schärfste Tadel am Platze wäre, dadurch die Lage noch nebelhafter gestaltend,
als sie schon ist. Ich glaube meiner Aufgabe gerecht zu werden, wenn ich
mit den Ereignissen beginne, die im Oktober 1905 stattgefunden haben. Wo
ein weiteres Zurückgreifen in die Geschichte nötig sein wird, soll es nicht
versäumt werden. Dadurch hoffe ich, die für den heutigen Zustand verant¬
wortlichen Kräfte so bloßzulegen, daß auch der ausländische Leser sie klar
erkennt. Leider steht mir keine deutsche Hilfsliteratur zur Verfügung, an die
ich den Leser erinnern könnte; ich muß darum, wo Erklärungen notwendig
sind, auf meine eignen Aufsätze und Schriften zurückgreifen. Einige wertvolle
Ergänzungen bietet wohl nur die Arbeit von Max Weber im 22. Bande des
Archivs für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik (Tübingen, 1906): "Zur Be¬
urteilung der gegenwärtigen politischen Entwicklung Rußlands." Allerdings
steht auch dieser Verfasser stark unter dem Einfluß russischer Radikaler.




Grenzboten IV 130616


Russische Briefe
George Lleinow von

M^C-HMlie innere Politik Rußlands sitzt, von außen betrachtet, wieder
I einmal in der Sackgasse. Will man sich in dem Chaos einiger¬
maßen zurechtfinden, dann muß man die einzelnen Erscheinungen,
durch die die Lage bedingt wird, genau untersuchen. Das ist
!niber nur mit Hilfe eines Rückblicks auf das ablaufende Ne-
volutionsjahr möglich. Denn absichtlich und unabsichtlich sind Geschehnisse
in den Vordergrund gedrängt worden, die tatsächlich nur momentanes Interesse
beanspruchen durften, während wichtigere Vorgänge unbeachtet blieben, nur
weil sie mit keiner Sensation verbunden waren. Daraus ergibt sich ein schiefes
Bild, und das Ausland klagt dort an, wo es loben sollte, und lobt, wo der
schärfste Tadel am Platze wäre, dadurch die Lage noch nebelhafter gestaltend,
als sie schon ist. Ich glaube meiner Aufgabe gerecht zu werden, wenn ich
mit den Ereignissen beginne, die im Oktober 1905 stattgefunden haben. Wo
ein weiteres Zurückgreifen in die Geschichte nötig sein wird, soll es nicht
versäumt werden. Dadurch hoffe ich, die für den heutigen Zustand verant¬
wortlichen Kräfte so bloßzulegen, daß auch der ausländische Leser sie klar
erkennt. Leider steht mir keine deutsche Hilfsliteratur zur Verfügung, an die
ich den Leser erinnern könnte; ich muß darum, wo Erklärungen notwendig
sind, auf meine eignen Aufsätze und Schriften zurückgreifen. Einige wertvolle
Ergänzungen bietet wohl nur die Arbeit von Max Weber im 22. Bande des
Archivs für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik (Tübingen, 1906): „Zur Be¬
urteilung der gegenwärtigen politischen Entwicklung Rußlands." Allerdings
steht auch dieser Verfasser stark unter dem Einfluß russischer Radikaler.




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[0129] [Abbildung] Russische Briefe George Lleinow von M^C-HMlie innere Politik Rußlands sitzt, von außen betrachtet, wieder I einmal in der Sackgasse. Will man sich in dem Chaos einiger¬ maßen zurechtfinden, dann muß man die einzelnen Erscheinungen, durch die die Lage bedingt wird, genau untersuchen. Das ist !niber nur mit Hilfe eines Rückblicks auf das ablaufende Ne- volutionsjahr möglich. Denn absichtlich und unabsichtlich sind Geschehnisse in den Vordergrund gedrängt worden, die tatsächlich nur momentanes Interesse beanspruchen durften, während wichtigere Vorgänge unbeachtet blieben, nur weil sie mit keiner Sensation verbunden waren. Daraus ergibt sich ein schiefes Bild, und das Ausland klagt dort an, wo es loben sollte, und lobt, wo der schärfste Tadel am Platze wäre, dadurch die Lage noch nebelhafter gestaltend, als sie schon ist. Ich glaube meiner Aufgabe gerecht zu werden, wenn ich mit den Ereignissen beginne, die im Oktober 1905 stattgefunden haben. Wo ein weiteres Zurückgreifen in die Geschichte nötig sein wird, soll es nicht versäumt werden. Dadurch hoffe ich, die für den heutigen Zustand verant¬ wortlichen Kräfte so bloßzulegen, daß auch der ausländische Leser sie klar erkennt. Leider steht mir keine deutsche Hilfsliteratur zur Verfügung, an die ich den Leser erinnern könnte; ich muß darum, wo Erklärungen notwendig sind, auf meine eignen Aufsätze und Schriften zurückgreifen. Einige wertvolle Ergänzungen bietet wohl nur die Arbeit von Max Weber im 22. Bande des Archivs für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik (Tübingen, 1906): „Zur Be¬ urteilung der gegenwärtigen politischen Entwicklung Rußlands." Allerdings steht auch dieser Verfasser stark unter dem Einfluß russischer Radikaler. Grenzboten IV 130616

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/129>, abgerufen am 29.04.2024.