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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Zur Iustizreform

Berlin erscheinende Russische Korrespondenz gewirkt. Der Schaden ist um so
größer, als nur ganz vereinzelte deutsche Tagesblätter genügend vorgebildete
Korrespondenten in Rußland haben. Als die Duma aufgelöst worden war,
haben viele Vertreter der Kadetten den ganzen europäischen Kontinent über¬
schwemmt und haben -- ihrer alten Taktik treu -- alle rechts von ihnen
stehenden Kreise zu diskreditieren versucht, sich selbst aber Weihrauch streuen
lassen. Gewiß haben die Kadetten dem Lande seinerzeit durch die Mobilisierung
der bürgerlichen Kreise außerordentlichen Nutzen gebracht. Der Nutzen ist viel¬
leicht so groß, daß spätere Geschichtschreiber alle ihre taktischen Verfehlungen
als gegenstandlos werden unberücksichtigt lassen dürfen. Für uns Zeitgenossen
aber malt sich die Schuld größer, weil das Verhalten der Kadetten seit dem
Oktober 1905 die friedliche Entwicklung Rußlands für Jahre vertagt hat. Ihr
Hauptvergehen liegt in der Unterstützung der Sozialisten bei den Wahlen, weil
dadurch eine Duma geschaffen worden war, von der es von vornherein feststand,
daß sie aufgelöst werden mußte.




Zur Iustizreform
Reichsgerichtsrat Henderichs Ocm1

n neuerer Zeit wird vielfach über die Abnahme des Vertrauens
in die Rechtspflege geklagt. Die Klagen werden immer lauter
und allgemeiner und haben jüngst zu Erörterungen in den par¬
lamentarischen Körperschaften geführt. Solche Klagen haben ihre
ernste Bedeutung und bedürfen einer gründlichen Prüfung, soll nicht
das Staatsleben in seineu Grundfesten erschüttert werden. Denn M-Mtig. sse
kuuclauiönwin rexuorum. In nachstehendem soll ein Beitrag zur Erörterung
dieser Frage geliefert, und es sollen einige Grundgedanken hervorgehoben werden,
die dazu dienen sollen, der Justiz wieder zu der notwendige,? und verdienten
Anerkennung zu verhelfen. Von vornherein muß zugegeben werden, daß die
Autorität der Gerichte und des Nichtcrstandes in den letzten Jahren eine Ein¬
buße erfahren hat. Die Gründe dieser bedauerlichen Erscheinung berühren
zum Glück uicht die Unparteilichkeit und die Integrität der Richter; denn sie
stehn unangefochten fest, abgesehen von den tendenziösen Angriffen einer gewissen
Partei. Auch der Fleiß und die Rechtskenntnisse der Richter werden nicht in
Zweifel gezogen; im Gegenteil haben hervorragende Theoretiker und Praktiker,
wie Dernburg und Staub, die Gründlichkeit und die Sicherheit rühmend aner¬
kannt, mit der die Gerichte die ihnen durch die Einführung des Bürgerlichen
Gesetzbuchs und der vielen Nebengesetze gestellte außergewöhnlich umfangreiche


Grenzboten IV 1906 17
Zur Iustizreform

Berlin erscheinende Russische Korrespondenz gewirkt. Der Schaden ist um so
größer, als nur ganz vereinzelte deutsche Tagesblätter genügend vorgebildete
Korrespondenten in Rußland haben. Als die Duma aufgelöst worden war,
haben viele Vertreter der Kadetten den ganzen europäischen Kontinent über¬
schwemmt und haben — ihrer alten Taktik treu — alle rechts von ihnen
stehenden Kreise zu diskreditieren versucht, sich selbst aber Weihrauch streuen
lassen. Gewiß haben die Kadetten dem Lande seinerzeit durch die Mobilisierung
der bürgerlichen Kreise außerordentlichen Nutzen gebracht. Der Nutzen ist viel¬
leicht so groß, daß spätere Geschichtschreiber alle ihre taktischen Verfehlungen
als gegenstandlos werden unberücksichtigt lassen dürfen. Für uns Zeitgenossen
aber malt sich die Schuld größer, weil das Verhalten der Kadetten seit dem
Oktober 1905 die friedliche Entwicklung Rußlands für Jahre vertagt hat. Ihr
Hauptvergehen liegt in der Unterstützung der Sozialisten bei den Wahlen, weil
dadurch eine Duma geschaffen worden war, von der es von vornherein feststand,
daß sie aufgelöst werden mußte.




Zur Iustizreform
Reichsgerichtsrat Henderichs Ocm1

n neuerer Zeit wird vielfach über die Abnahme des Vertrauens
in die Rechtspflege geklagt. Die Klagen werden immer lauter
und allgemeiner und haben jüngst zu Erörterungen in den par¬
lamentarischen Körperschaften geführt. Solche Klagen haben ihre
ernste Bedeutung und bedürfen einer gründlichen Prüfung, soll nicht
das Staatsleben in seineu Grundfesten erschüttert werden. Denn M-Mtig. sse
kuuclauiönwin rexuorum. In nachstehendem soll ein Beitrag zur Erörterung
dieser Frage geliefert, und es sollen einige Grundgedanken hervorgehoben werden,
die dazu dienen sollen, der Justiz wieder zu der notwendige,? und verdienten
Anerkennung zu verhelfen. Von vornherein muß zugegeben werden, daß die
Autorität der Gerichte und des Nichtcrstandes in den letzten Jahren eine Ein¬
buße erfahren hat. Die Gründe dieser bedauerlichen Erscheinung berühren
zum Glück uicht die Unparteilichkeit und die Integrität der Richter; denn sie
stehn unangefochten fest, abgesehen von den tendenziösen Angriffen einer gewissen
Partei. Auch der Fleiß und die Rechtskenntnisse der Richter werden nicht in
Zweifel gezogen; im Gegenteil haben hervorragende Theoretiker und Praktiker,
wie Dernburg und Staub, die Gründlichkeit und die Sicherheit rühmend aner¬
kannt, mit der die Gerichte die ihnen durch die Einführung des Bürgerlichen
Gesetzbuchs und der vielen Nebengesetze gestellte außergewöhnlich umfangreiche


Grenzboten IV 1906 17
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[0137] Zur Iustizreform Berlin erscheinende Russische Korrespondenz gewirkt. Der Schaden ist um so größer, als nur ganz vereinzelte deutsche Tagesblätter genügend vorgebildete Korrespondenten in Rußland haben. Als die Duma aufgelöst worden war, haben viele Vertreter der Kadetten den ganzen europäischen Kontinent über¬ schwemmt und haben — ihrer alten Taktik treu — alle rechts von ihnen stehenden Kreise zu diskreditieren versucht, sich selbst aber Weihrauch streuen lassen. Gewiß haben die Kadetten dem Lande seinerzeit durch die Mobilisierung der bürgerlichen Kreise außerordentlichen Nutzen gebracht. Der Nutzen ist viel¬ leicht so groß, daß spätere Geschichtschreiber alle ihre taktischen Verfehlungen als gegenstandlos werden unberücksichtigt lassen dürfen. Für uns Zeitgenossen aber malt sich die Schuld größer, weil das Verhalten der Kadetten seit dem Oktober 1905 die friedliche Entwicklung Rußlands für Jahre vertagt hat. Ihr Hauptvergehen liegt in der Unterstützung der Sozialisten bei den Wahlen, weil dadurch eine Duma geschaffen worden war, von der es von vornherein feststand, daß sie aufgelöst werden mußte. Zur Iustizreform Reichsgerichtsrat Henderichs Ocm1 n neuerer Zeit wird vielfach über die Abnahme des Vertrauens in die Rechtspflege geklagt. Die Klagen werden immer lauter und allgemeiner und haben jüngst zu Erörterungen in den par¬ lamentarischen Körperschaften geführt. Solche Klagen haben ihre ernste Bedeutung und bedürfen einer gründlichen Prüfung, soll nicht das Staatsleben in seineu Grundfesten erschüttert werden. Denn M-Mtig. sse kuuclauiönwin rexuorum. In nachstehendem soll ein Beitrag zur Erörterung dieser Frage geliefert, und es sollen einige Grundgedanken hervorgehoben werden, die dazu dienen sollen, der Justiz wieder zu der notwendige,? und verdienten Anerkennung zu verhelfen. Von vornherein muß zugegeben werden, daß die Autorität der Gerichte und des Nichtcrstandes in den letzten Jahren eine Ein¬ buße erfahren hat. Die Gründe dieser bedauerlichen Erscheinung berühren zum Glück uicht die Unparteilichkeit und die Integrität der Richter; denn sie stehn unangefochten fest, abgesehen von den tendenziösen Angriffen einer gewissen Partei. Auch der Fleiß und die Rechtskenntnisse der Richter werden nicht in Zweifel gezogen; im Gegenteil haben hervorragende Theoretiker und Praktiker, wie Dernburg und Staub, die Gründlichkeit und die Sicherheit rühmend aner¬ kannt, mit der die Gerichte die ihnen durch die Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuchs und der vielen Nebengesetze gestellte außergewöhnlich umfangreiche Grenzboten IV 1906 17

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/137>, abgerufen am 29.04.2024.