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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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MH't egen das Manifest wie überhaupt gegen den übereilten Ausbruch
eines weder diplomatisch noch militärisch hinreichend vorbereiteten
Krieges, den man eigentlich seit zwei Jahren wollte, aber vor der
Ausführung immer wieder zurückschreckte, sind gleich bei der Ver-
I öffentlichung sehr viele Vorwürfe erhoben worden. Lombard
scheint das vorausgesehen zu haben, er sprach sich am nächsten Tage sehr ein¬
gehend zu Gentz darüber aus. Als dieser ihm die Frage stellte: "Wenn Sie
von der Unmöglichkeit, den Krieg zu vermeiden, so fest überzeugt waren, so
begreife ich nicht, warum Sie so manchen entscheidenden Zeitpunkt versäumten,
in dem sich der König unter den vorteilhaftester Aussichten darauf ein¬
lassen konnte?" -- gestand Lombard in seiner Erwiderung, er habe sich im
Jahre 1803 bei seiner Sendung nach Brüssel*) durch Napoleon täuschen lassen,
aber noch vor Ablauf des Jahres sei seine Täuschung entschwunden gewesen,
da er den Charakter und die Absichten Napoleons durchschaut habe. Unter
dieser Voraussetzung, bemerkt Hüffer, wäre Lombards Verhalten in den Jahren
1804 und 1806 in der Tat nicht zu entschuldigen gewesen. In Wirklichkeit
seien ihm die Augen erst im Frühling 1806 aufgegangen, da erst habe er er¬
kannt, daß er in Brüssel vou Napoleon getäuscht worden sei, und von da ab
datiere seine Erbitterung. Auf die weitern Bemerkungen von Gentz erwiderte
Lombard: "Sie wundern sich, daß ich bei so vielen dringenden Beweggründen
nicht auf einem Wechsel des Systems bestanden habe. Kennen Sie den König?
Meine Rechtfertigung liegt ganz und gar in dieser Frage. Was hätten Sie
getan, einen Herrscher zum Kriege zu bewegen, der schon den Gedanken daran
verabscheut, und der, was das schlimmste ist, sich außerstande glaubt, ihn



Lombard war im Juli 1803 vom Könige mit einen: Schreiben an den damaligen
Ersten Konsul, General Bonaparte, nach Brüssel geschickt worden, um der Belästigung der
Hansestädte durch die Franzosen sowie der Störung des Handels auf der Elbe und der Weser
und der französischen Besetzung von Cuxhaven und Ritzebüttel ein Ende zu machen. Lombard
wurde von Napoleon nicht ernst genommen, um so mehr als der neue französische Gesandte
Laforest aus Berlin berichtet hatte, "der König ist furchtsam und von furchtsamen Leuten um¬
geben". Lombard erreichte seinen Zweck nicht, kam aber enthusiasmiert über Bonapartes Per¬
sönlichkeit und dessen gute Absichten über Preußen und seinen König nach Berlin zurück. Napoleon
hatte ihn düpiert und -- es ist wohl nicht zu viel gesagt -- als einen Narren behandelt, der
Vergötterung entsprechend, in der sich Lombard ihm gegenüber gefiel.
Grenzboten IV 1906 Is


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MH't egen das Manifest wie überhaupt gegen den übereilten Ausbruch
eines weder diplomatisch noch militärisch hinreichend vorbereiteten
Krieges, den man eigentlich seit zwei Jahren wollte, aber vor der
Ausführung immer wieder zurückschreckte, sind gleich bei der Ver-
I öffentlichung sehr viele Vorwürfe erhoben worden. Lombard
scheint das vorausgesehen zu haben, er sprach sich am nächsten Tage sehr ein¬
gehend zu Gentz darüber aus. Als dieser ihm die Frage stellte: „Wenn Sie
von der Unmöglichkeit, den Krieg zu vermeiden, so fest überzeugt waren, so
begreife ich nicht, warum Sie so manchen entscheidenden Zeitpunkt versäumten,
in dem sich der König unter den vorteilhaftester Aussichten darauf ein¬
lassen konnte?" — gestand Lombard in seiner Erwiderung, er habe sich im
Jahre 1803 bei seiner Sendung nach Brüssel*) durch Napoleon täuschen lassen,
aber noch vor Ablauf des Jahres sei seine Täuschung entschwunden gewesen,
da er den Charakter und die Absichten Napoleons durchschaut habe. Unter
dieser Voraussetzung, bemerkt Hüffer, wäre Lombards Verhalten in den Jahren
1804 und 1806 in der Tat nicht zu entschuldigen gewesen. In Wirklichkeit
seien ihm die Augen erst im Frühling 1806 aufgegangen, da erst habe er er¬
kannt, daß er in Brüssel vou Napoleon getäuscht worden sei, und von da ab
datiere seine Erbitterung. Auf die weitern Bemerkungen von Gentz erwiderte
Lombard: „Sie wundern sich, daß ich bei so vielen dringenden Beweggründen
nicht auf einem Wechsel des Systems bestanden habe. Kennen Sie den König?
Meine Rechtfertigung liegt ganz und gar in dieser Frage. Was hätten Sie
getan, einen Herrscher zum Kriege zu bewegen, der schon den Gedanken daran
verabscheut, und der, was das schlimmste ist, sich außerstande glaubt, ihn



Lombard war im Juli 1803 vom Könige mit einen: Schreiben an den damaligen
Ersten Konsul, General Bonaparte, nach Brüssel geschickt worden, um der Belästigung der
Hansestädte durch die Franzosen sowie der Störung des Handels auf der Elbe und der Weser
und der französischen Besetzung von Cuxhaven und Ritzebüttel ein Ende zu machen. Lombard
wurde von Napoleon nicht ernst genommen, um so mehr als der neue französische Gesandte
Laforest aus Berlin berichtet hatte, „der König ist furchtsam und von furchtsamen Leuten um¬
geben". Lombard erreichte seinen Zweck nicht, kam aber enthusiasmiert über Bonapartes Per¬
sönlichkeit und dessen gute Absichten über Preußen und seinen König nach Berlin zurück. Napoleon
hatte ihn düpiert und — es ist wohl nicht zu viel gesagt — als einen Narren behandelt, der
Vergötterung entsprechend, in der sich Lombard ihm gegenüber gefiel.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/145>, abgerufen am 29.04.2024.