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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Großherzog Friedrich von Baden in Versailles

Vor Paris geendet hat. Es waren harte Lehren. Aber wohl dem Herrscher¬
hause und dem Volke, die in dieser Schule der Prüfungen so viel gelernt haben
und diese Lehren gewiß für alle Zukunft beherzigen werden! Was uns 1806
fehlte, was wir 1813 hatten, und was uns hoffentlich für alle Zeit erhalten
bleiben wird, ist, daß an der höchsten Spitze des Staatswesens ebenso wie im
innersten Volkskörper "ein Herz schlägt, das seiner Sache gewiß ist".


h. I-


Großherzog Friedrich von Baden in Versailles
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it dem 3. Dezember, an welchem Tage durch den bayrischen
Königsbrief die Kaiserfrage an die Person König Wilhelms un¬
mittelbar herangetreten war, war damit nunmehr auch die Ent¬
scheidung über die höchste Frucht des Krieges ausschließlich in
seine Hand gelegt. Nicht mehr die Verfassungsfrage, sondern die
persönliche Frage, der König selbst, trat damit in den Vordergrund.

Es liegt in der Natur der Dinge, daß König Wilhelm, der sich in Versailles
doch hauptsächlich als Oberfeldherr fühlte, und zwar mit dem vollen Gefühl der
Verantwortlichkeit für die Geschicke Deutschlands, alles andre hinter die militärischen
Fragen des Augenblicks zurücktreten ließ. Diese aber hatten sich gerade um den
3. Dezember in recht ernster Weise gehäuft. Am 1. und 2. Dezember war die
große Ausfallschlacht bei Champigny geschlagen worden, fast wäre Graf Hol¬
stein mit seinem historischen Briefe von Lagny aus in die Schlacht hineingeraten.
Die taktischen Ergebnisse ließen sich am 3. Dezember in Versailles noch keineswegs
mit Sicherheit übersehen, die Franzosen hatten abermals mit drei bis vier
Armeekorps Stellung genommen und die Sorge vor einer Durchbrechung der
dünnen Einschließungslinie war noch am 4. Dezember keineswegs gehoben. An
der Loire hatte am 28. November die siegreiche Schlacht bei Beanne la Rolande
stattgefunden, unter hervorragenden Leistungen der deutschen Truppen. Ihr war
am 2. Dezember die Schlacht von Loigny gefolgt, über die dem Könige im
Laufe des Tages die erfreulichen Meldungen des von ihm zu der Armee des
Prinzen Friedrich Karl und der Armeeabteilung des Großherzogs von Mecklen¬
burg-Schwerin entsandten Flügeladjutanten Grafen Waldersee vorlagen. Aber
es standen nun die Kämpfe um die Wiederbesetzung von Orleans bevor, gegen
dus vorzugehen der König am 2. Dezember befohlen hatte, Kämpfe, die gerade
am 3. und 4. Dezember stattfanden, und deren Ausgang auch aus die Belagerung
von Paris von Einfluß sein mußte. Man begreift, daß dem Könige diese Sorgen
viel näher lagen als die Frage der Kaiserwürde, und aus seiner ernsten militärischen
Stimmung heraus ist es zu verstehn, wenn er zum Kronprinzen bemerkte, der


Grenzboten IV 1906 ^
Großherzog Friedrich von Baden in Versailles

Vor Paris geendet hat. Es waren harte Lehren. Aber wohl dem Herrscher¬
hause und dem Volke, die in dieser Schule der Prüfungen so viel gelernt haben
und diese Lehren gewiß für alle Zukunft beherzigen werden! Was uns 1806
fehlte, was wir 1813 hatten, und was uns hoffentlich für alle Zeit erhalten
bleiben wird, ist, daß an der höchsten Spitze des Staatswesens ebenso wie im
innersten Volkskörper „ein Herz schlägt, das seiner Sache gewiß ist".


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Großherzog Friedrich von Baden in Versailles
5

it dem 3. Dezember, an welchem Tage durch den bayrischen
Königsbrief die Kaiserfrage an die Person König Wilhelms un¬
mittelbar herangetreten war, war damit nunmehr auch die Ent¬
scheidung über die höchste Frucht des Krieges ausschließlich in
seine Hand gelegt. Nicht mehr die Verfassungsfrage, sondern die
persönliche Frage, der König selbst, trat damit in den Vordergrund.

Es liegt in der Natur der Dinge, daß König Wilhelm, der sich in Versailles
doch hauptsächlich als Oberfeldherr fühlte, und zwar mit dem vollen Gefühl der
Verantwortlichkeit für die Geschicke Deutschlands, alles andre hinter die militärischen
Fragen des Augenblicks zurücktreten ließ. Diese aber hatten sich gerade um den
3. Dezember in recht ernster Weise gehäuft. Am 1. und 2. Dezember war die
große Ausfallschlacht bei Champigny geschlagen worden, fast wäre Graf Hol¬
stein mit seinem historischen Briefe von Lagny aus in die Schlacht hineingeraten.
Die taktischen Ergebnisse ließen sich am 3. Dezember in Versailles noch keineswegs
mit Sicherheit übersehen, die Franzosen hatten abermals mit drei bis vier
Armeekorps Stellung genommen und die Sorge vor einer Durchbrechung der
dünnen Einschließungslinie war noch am 4. Dezember keineswegs gehoben. An
der Loire hatte am 28. November die siegreiche Schlacht bei Beanne la Rolande
stattgefunden, unter hervorragenden Leistungen der deutschen Truppen. Ihr war
am 2. Dezember die Schlacht von Loigny gefolgt, über die dem Könige im
Laufe des Tages die erfreulichen Meldungen des von ihm zu der Armee des
Prinzen Friedrich Karl und der Armeeabteilung des Großherzogs von Mecklen¬
burg-Schwerin entsandten Flügeladjutanten Grafen Waldersee vorlagen. Aber
es standen nun die Kämpfe um die Wiederbesetzung von Orleans bevor, gegen
dus vorzugehen der König am 2. Dezember befohlen hatte, Kämpfe, die gerade
am 3. und 4. Dezember stattfanden, und deren Ausgang auch aus die Belagerung
von Paris von Einfluß sein mußte. Man begreift, daß dem Könige diese Sorgen
viel näher lagen als die Frage der Kaiserwürde, und aus seiner ernsten militärischen
Stimmung heraus ist es zu verstehn, wenn er zum Kronprinzen bemerkte, der


Grenzboten IV 1906 ^
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[0153] Großherzog Friedrich von Baden in Versailles Vor Paris geendet hat. Es waren harte Lehren. Aber wohl dem Herrscher¬ hause und dem Volke, die in dieser Schule der Prüfungen so viel gelernt haben und diese Lehren gewiß für alle Zukunft beherzigen werden! Was uns 1806 fehlte, was wir 1813 hatten, und was uns hoffentlich für alle Zeit erhalten bleiben wird, ist, daß an der höchsten Spitze des Staatswesens ebenso wie im innersten Volkskörper „ein Herz schlägt, das seiner Sache gewiß ist". h. I- Großherzog Friedrich von Baden in Versailles 5 it dem 3. Dezember, an welchem Tage durch den bayrischen Königsbrief die Kaiserfrage an die Person König Wilhelms un¬ mittelbar herangetreten war, war damit nunmehr auch die Ent¬ scheidung über die höchste Frucht des Krieges ausschließlich in seine Hand gelegt. Nicht mehr die Verfassungsfrage, sondern die persönliche Frage, der König selbst, trat damit in den Vordergrund. Es liegt in der Natur der Dinge, daß König Wilhelm, der sich in Versailles doch hauptsächlich als Oberfeldherr fühlte, und zwar mit dem vollen Gefühl der Verantwortlichkeit für die Geschicke Deutschlands, alles andre hinter die militärischen Fragen des Augenblicks zurücktreten ließ. Diese aber hatten sich gerade um den 3. Dezember in recht ernster Weise gehäuft. Am 1. und 2. Dezember war die große Ausfallschlacht bei Champigny geschlagen worden, fast wäre Graf Hol¬ stein mit seinem historischen Briefe von Lagny aus in die Schlacht hineingeraten. Die taktischen Ergebnisse ließen sich am 3. Dezember in Versailles noch keineswegs mit Sicherheit übersehen, die Franzosen hatten abermals mit drei bis vier Armeekorps Stellung genommen und die Sorge vor einer Durchbrechung der dünnen Einschließungslinie war noch am 4. Dezember keineswegs gehoben. An der Loire hatte am 28. November die siegreiche Schlacht bei Beanne la Rolande stattgefunden, unter hervorragenden Leistungen der deutschen Truppen. Ihr war am 2. Dezember die Schlacht von Loigny gefolgt, über die dem Könige im Laufe des Tages die erfreulichen Meldungen des von ihm zu der Armee des Prinzen Friedrich Karl und der Armeeabteilung des Großherzogs von Mecklen¬ burg-Schwerin entsandten Flügeladjutanten Grafen Waldersee vorlagen. Aber es standen nun die Kämpfe um die Wiederbesetzung von Orleans bevor, gegen dus vorzugehen der König am 2. Dezember befohlen hatte, Kämpfe, die gerade am 3. und 4. Dezember stattfanden, und deren Ausgang auch aus die Belagerung von Paris von Einfluß sein mußte. Man begreift, daß dem Könige diese Sorgen viel näher lagen als die Frage der Kaiserwürde, und aus seiner ernsten militärischen Stimmung heraus ist es zu verstehn, wenn er zum Kronprinzen bemerkte, der Grenzboten IV 1906 ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/153>, abgerufen am 29.04.2024.