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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Dn der Residenz zu Kleinhausen
Mains Imsen von ^Fortsetzung)

räulein Minette Häberlein, die Tochter eines frühern Beamten, wohnte
>in einem Giebelhäuschen ziemlich am Ende der Stadt.

Sie war ein kleines, hageres Persönchen und schon fünfzig Jahre
!eilt. Aus dem gelben, scharfgeschnittnen Gesicht mit gebogner Nase
und dunkelschimmernden Augen blickten Klugheit und Leidenschaft.
'Schwarze Locken, wie aus Ebenholz gedrechselt, lagen um die hohe
Stirn und waren hinten in ein altmodisches Netz zusammengefaßt. Man hatte das
Gefühl, das ganze Persönchen ließe sich in einer Hand zerdrücken, und dann bliebe
nur ein Häufchen gelben Staubes darin zurück.

Die ganze Stadt kannte Fräulein Minette. Sie war darin geboren und nie
in den fünfzig Jahren über die nächste Bahnstation fortgekommen. Sie hatte die
besten Backwerk- und Kräuterrezepte, die schönsten alten Stick-, Klöppel- und Häkel¬
muster. Das kleine Vermögen, das ihre Eltern ihr hinterlassen hatten, und eine
Waisenrente, die ihr zukam, reichten knapp aus für sie, die alte Magd und ihren
Dackelhund. Mehr brauchte sie nicht. Vor allem aber kannte das ganze Städtchen
sie und bewarb sich um ihre Gunst, weil die Fürstin einen Narren an ihr gefressen
hatte. Sie war die Einzige, die zu jeder Tageszeit Zutritt ins Schloß hatte;
fast täglich sah man sie in der Abenddämmerung dort wie ein schwarzes Kätzchen
hineinhuschen.

Sie lag der Fürstin anbetend zu Füßen -- ließ sich streicheln und treten --
wies gerade kam. Keine Klatscherei, keine Neuigkeit passierte im Städtchen, die
Minette nicht sofort gewußt hätte.

Wo sie nur immer schöpft! sagte ganz ratlos die Frau Amtsrichter.

Pitane gewürzt bot sie es dann der Fürstin dar. Dieser machte es einen
Heidenspaß, die Verwirrung dann womöglich noch zu vergrößern -- selbst in die
Fäden einzugreifen und schließlich das Ganze, wenn es Tableauform bekommen
hatte, öffentlich zu behandeln. Sie befahl der Minett, ihr alles zu sagen; sie
brauche sowas zur Unterhaltung, ersticke sonst aus Luftmangel.

Nun siel die Sonne über die Nelken- und Rosmarintöpfe hinweg in ihr
Eckstübchen, wo sie auf dem erhöhten Fenstertritt saß und an ihrem Stickrahmen
arbeitete.

Gegenüber leuchtete der Pfarrgarten in hundert bunten Farben. Die alte
Magd kniete dazwischen und jätete Unkraut. Von Zeit zu Zeit hob Fräulein
Minett den Kopf, und ihre Augen schauten sinnend in das Blütengewirr hinein,
wo jedes Pflcinzlein, auch das Unkraut, nach Licht und Schönheit rang -- dann
sank der schwarze Kopf wieder auf die Arbeit herunter.


Grenzboten IV 1906 21


Dn der Residenz zu Kleinhausen
Mains Imsen von ^Fortsetzung)

räulein Minette Häberlein, die Tochter eines frühern Beamten, wohnte
>in einem Giebelhäuschen ziemlich am Ende der Stadt.

Sie war ein kleines, hageres Persönchen und schon fünfzig Jahre
!eilt. Aus dem gelben, scharfgeschnittnen Gesicht mit gebogner Nase
und dunkelschimmernden Augen blickten Klugheit und Leidenschaft.
'Schwarze Locken, wie aus Ebenholz gedrechselt, lagen um die hohe
Stirn und waren hinten in ein altmodisches Netz zusammengefaßt. Man hatte das
Gefühl, das ganze Persönchen ließe sich in einer Hand zerdrücken, und dann bliebe
nur ein Häufchen gelben Staubes darin zurück.

Die ganze Stadt kannte Fräulein Minette. Sie war darin geboren und nie
in den fünfzig Jahren über die nächste Bahnstation fortgekommen. Sie hatte die
besten Backwerk- und Kräuterrezepte, die schönsten alten Stick-, Klöppel- und Häkel¬
muster. Das kleine Vermögen, das ihre Eltern ihr hinterlassen hatten, und eine
Waisenrente, die ihr zukam, reichten knapp aus für sie, die alte Magd und ihren
Dackelhund. Mehr brauchte sie nicht. Vor allem aber kannte das ganze Städtchen
sie und bewarb sich um ihre Gunst, weil die Fürstin einen Narren an ihr gefressen
hatte. Sie war die Einzige, die zu jeder Tageszeit Zutritt ins Schloß hatte;
fast täglich sah man sie in der Abenddämmerung dort wie ein schwarzes Kätzchen
hineinhuschen.

Sie lag der Fürstin anbetend zu Füßen — ließ sich streicheln und treten —
wies gerade kam. Keine Klatscherei, keine Neuigkeit passierte im Städtchen, die
Minette nicht sofort gewußt hätte.

Wo sie nur immer schöpft! sagte ganz ratlos die Frau Amtsrichter.

Pitane gewürzt bot sie es dann der Fürstin dar. Dieser machte es einen
Heidenspaß, die Verwirrung dann womöglich noch zu vergrößern — selbst in die
Fäden einzugreifen und schließlich das Ganze, wenn es Tableauform bekommen
hatte, öffentlich zu behandeln. Sie befahl der Minett, ihr alles zu sagen; sie
brauche sowas zur Unterhaltung, ersticke sonst aus Luftmangel.

Nun siel die Sonne über die Nelken- und Rosmarintöpfe hinweg in ihr
Eckstübchen, wo sie auf dem erhöhten Fenstertritt saß und an ihrem Stickrahmen
arbeitete.

Gegenüber leuchtete der Pfarrgarten in hundert bunten Farben. Die alte
Magd kniete dazwischen und jätete Unkraut. Von Zeit zu Zeit hob Fräulein
Minett den Kopf, und ihre Augen schauten sinnend in das Blütengewirr hinein,
wo jedes Pflcinzlein, auch das Unkraut, nach Licht und Schönheit rang — dann
sank der schwarze Kopf wieder auf die Arbeit herunter.


Grenzboten IV 1906 21
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[0169] [Abbildung] Dn der Residenz zu Kleinhausen Mains Imsen von ^Fortsetzung) räulein Minette Häberlein, die Tochter eines frühern Beamten, wohnte >in einem Giebelhäuschen ziemlich am Ende der Stadt. Sie war ein kleines, hageres Persönchen und schon fünfzig Jahre !eilt. Aus dem gelben, scharfgeschnittnen Gesicht mit gebogner Nase und dunkelschimmernden Augen blickten Klugheit und Leidenschaft. 'Schwarze Locken, wie aus Ebenholz gedrechselt, lagen um die hohe Stirn und waren hinten in ein altmodisches Netz zusammengefaßt. Man hatte das Gefühl, das ganze Persönchen ließe sich in einer Hand zerdrücken, und dann bliebe nur ein Häufchen gelben Staubes darin zurück. Die ganze Stadt kannte Fräulein Minette. Sie war darin geboren und nie in den fünfzig Jahren über die nächste Bahnstation fortgekommen. Sie hatte die besten Backwerk- und Kräuterrezepte, die schönsten alten Stick-, Klöppel- und Häkel¬ muster. Das kleine Vermögen, das ihre Eltern ihr hinterlassen hatten, und eine Waisenrente, die ihr zukam, reichten knapp aus für sie, die alte Magd und ihren Dackelhund. Mehr brauchte sie nicht. Vor allem aber kannte das ganze Städtchen sie und bewarb sich um ihre Gunst, weil die Fürstin einen Narren an ihr gefressen hatte. Sie war die Einzige, die zu jeder Tageszeit Zutritt ins Schloß hatte; fast täglich sah man sie in der Abenddämmerung dort wie ein schwarzes Kätzchen hineinhuschen. Sie lag der Fürstin anbetend zu Füßen — ließ sich streicheln und treten — wies gerade kam. Keine Klatscherei, keine Neuigkeit passierte im Städtchen, die Minette nicht sofort gewußt hätte. Wo sie nur immer schöpft! sagte ganz ratlos die Frau Amtsrichter. Pitane gewürzt bot sie es dann der Fürstin dar. Dieser machte es einen Heidenspaß, die Verwirrung dann womöglich noch zu vergrößern — selbst in die Fäden einzugreifen und schließlich das Ganze, wenn es Tableauform bekommen hatte, öffentlich zu behandeln. Sie befahl der Minett, ihr alles zu sagen; sie brauche sowas zur Unterhaltung, ersticke sonst aus Luftmangel. Nun siel die Sonne über die Nelken- und Rosmarintöpfe hinweg in ihr Eckstübchen, wo sie auf dem erhöhten Fenstertritt saß und an ihrem Stickrahmen arbeitete. Gegenüber leuchtete der Pfarrgarten in hundert bunten Farben. Die alte Magd kniete dazwischen und jätete Unkraut. Von Zeit zu Zeit hob Fräulein Minett den Kopf, und ihre Augen schauten sinnend in das Blütengewirr hinein, wo jedes Pflcinzlein, auch das Unkraut, nach Licht und Schönheit rang — dann sank der schwarze Kopf wieder auf die Arbeit herunter. Grenzboten IV 1906 21

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/169>, abgerufen am 29.04.2024.