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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Zur Justizreform

Schuld und das schwerste Leid von 1806 gelastet hat, durch die schwersten
Opfer an Blut und Leben wieder zu Ehren und zu höhern Ehren gebracht
worden sind:

Ein Jngersleben und ein Kleist haben im Jahre 1806 die ihnen an¬
vertrauten Festungen schmachvoll übergeben und sind zum Tode verurteilt
worden. Drei Jngersleben und vier Kleist sind in den Befreiungskriegen
auf dem Felde der Ehre geblieben.


Ludwig Uemmer


Zur Justizreform
Rlnchsgerichtsrat Henderichs von

och ein wichtiger Umstand muß erwähnt werden, der das Ansehen
der Justiz sehr beeinträchtigt. In dem größten und einflußreichsten
Vundesstaate, Preußen, genießt die Justiz in den maßgebenden
Kreisen nicht das ihr nach der Wichtigkeit und Würde ihres Berufs
zukommende Maß äußerer Anerkennung, wie dies beispielsweise
auch in der Nangstellung des Oberlandesgerichtsprüsidenten in die Erscheinung
tritt. Hierin liegt meines Erachtens ein Hauptgrund, weshalb viele Assessoren
der Richterkarriere den Rücken kehren, obwohl diese doch durch die Unabhängig¬
keit der Stellung von unschätzbarem Vorteil ist und für jeden, der für die
Volksseele Sinn und Verständnis hat, auch des Interessanten genug bietet. Der
ihrer tatsächlichen Bedeutung entsprechenden äußern Anerkennung kann aber auch
die Justiz nicht entbehren, pflegt doch das Publikum gerade nach Äußerlichkeiten
den Maßstab für die Wertschätzung eines Standes anzulegen.

An alle, die berufen sind, die Autorität der Gerichte und das Ansehen des
Richterstandes als notwendige und feste Stütze der Staatsordnung hochzuhalten,
richtet sich der Mahnruf: nicht Mißtrauen gegen die Rechtspflege zu säen, sondern
das Vertrauen zum Richteramt zu stärken.

Meine Ausführungen bezwecken hauptsächlich, den Klagen über die Recht¬
sprechung zu begegnen und nachzuweisen, daß jedenfalls im wesentlichen nicht
die Gerichte daran schuld sind, daß das Ansehen des Richterstandes gesunken
ist- Zugleich will ich jedoch einige Gedanken über eine etwaige Reform der
Zivilrechtspflege anschließen. Der Grundzug der Reform, der zwar nicht in
einem bestimmten Paragraphen formuliert werden kann, aber alle Gesetzesvor¬
schriften durchzieh" muß, sollte die Umkehr von dem bisherigen System des
Mißtrauens gegen den Richter sein, das sich in der übermüßigen Zulässigkeit
von Rechtsmitteln kundgibt. Vertrauen zum Richter sei fortan die Losung.
Alle Kautelen zum Schutze der Parteirechte schlagen fehl, wenn es an der


Zur Justizreform

Schuld und das schwerste Leid von 1806 gelastet hat, durch die schwersten
Opfer an Blut und Leben wieder zu Ehren und zu höhern Ehren gebracht
worden sind:

Ein Jngersleben und ein Kleist haben im Jahre 1806 die ihnen an¬
vertrauten Festungen schmachvoll übergeben und sind zum Tode verurteilt
worden. Drei Jngersleben und vier Kleist sind in den Befreiungskriegen
auf dem Felde der Ehre geblieben.


Ludwig Uemmer


Zur Justizreform
Rlnchsgerichtsrat Henderichs von

och ein wichtiger Umstand muß erwähnt werden, der das Ansehen
der Justiz sehr beeinträchtigt. In dem größten und einflußreichsten
Vundesstaate, Preußen, genießt die Justiz in den maßgebenden
Kreisen nicht das ihr nach der Wichtigkeit und Würde ihres Berufs
zukommende Maß äußerer Anerkennung, wie dies beispielsweise
auch in der Nangstellung des Oberlandesgerichtsprüsidenten in die Erscheinung
tritt. Hierin liegt meines Erachtens ein Hauptgrund, weshalb viele Assessoren
der Richterkarriere den Rücken kehren, obwohl diese doch durch die Unabhängig¬
keit der Stellung von unschätzbarem Vorteil ist und für jeden, der für die
Volksseele Sinn und Verständnis hat, auch des Interessanten genug bietet. Der
ihrer tatsächlichen Bedeutung entsprechenden äußern Anerkennung kann aber auch
die Justiz nicht entbehren, pflegt doch das Publikum gerade nach Äußerlichkeiten
den Maßstab für die Wertschätzung eines Standes anzulegen.

An alle, die berufen sind, die Autorität der Gerichte und das Ansehen des
Richterstandes als notwendige und feste Stütze der Staatsordnung hochzuhalten,
richtet sich der Mahnruf: nicht Mißtrauen gegen die Rechtspflege zu säen, sondern
das Vertrauen zum Richteramt zu stärken.

Meine Ausführungen bezwecken hauptsächlich, den Klagen über die Recht¬
sprechung zu begegnen und nachzuweisen, daß jedenfalls im wesentlichen nicht
die Gerichte daran schuld sind, daß das Ansehen des Richterstandes gesunken
ist- Zugleich will ich jedoch einige Gedanken über eine etwaige Reform der
Zivilrechtspflege anschließen. Der Grundzug der Reform, der zwar nicht in
einem bestimmten Paragraphen formuliert werden kann, aber alle Gesetzesvor¬
schriften durchzieh« muß, sollte die Umkehr von dem bisherigen System des
Mißtrauens gegen den Richter sein, das sich in der übermüßigen Zulässigkeit
von Rechtsmitteln kundgibt. Vertrauen zum Richter sei fortan die Losung.
Alle Kautelen zum Schutze der Parteirechte schlagen fehl, wenn es an der


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[0197] Zur Justizreform Schuld und das schwerste Leid von 1806 gelastet hat, durch die schwersten Opfer an Blut und Leben wieder zu Ehren und zu höhern Ehren gebracht worden sind: Ein Jngersleben und ein Kleist haben im Jahre 1806 die ihnen an¬ vertrauten Festungen schmachvoll übergeben und sind zum Tode verurteilt worden. Drei Jngersleben und vier Kleist sind in den Befreiungskriegen auf dem Felde der Ehre geblieben. Ludwig Uemmer Zur Justizreform Rlnchsgerichtsrat Henderichs von och ein wichtiger Umstand muß erwähnt werden, der das Ansehen der Justiz sehr beeinträchtigt. In dem größten und einflußreichsten Vundesstaate, Preußen, genießt die Justiz in den maßgebenden Kreisen nicht das ihr nach der Wichtigkeit und Würde ihres Berufs zukommende Maß äußerer Anerkennung, wie dies beispielsweise auch in der Nangstellung des Oberlandesgerichtsprüsidenten in die Erscheinung tritt. Hierin liegt meines Erachtens ein Hauptgrund, weshalb viele Assessoren der Richterkarriere den Rücken kehren, obwohl diese doch durch die Unabhängig¬ keit der Stellung von unschätzbarem Vorteil ist und für jeden, der für die Volksseele Sinn und Verständnis hat, auch des Interessanten genug bietet. Der ihrer tatsächlichen Bedeutung entsprechenden äußern Anerkennung kann aber auch die Justiz nicht entbehren, pflegt doch das Publikum gerade nach Äußerlichkeiten den Maßstab für die Wertschätzung eines Standes anzulegen. An alle, die berufen sind, die Autorität der Gerichte und das Ansehen des Richterstandes als notwendige und feste Stütze der Staatsordnung hochzuhalten, richtet sich der Mahnruf: nicht Mißtrauen gegen die Rechtspflege zu säen, sondern das Vertrauen zum Richteramt zu stärken. Meine Ausführungen bezwecken hauptsächlich, den Klagen über die Recht¬ sprechung zu begegnen und nachzuweisen, daß jedenfalls im wesentlichen nicht die Gerichte daran schuld sind, daß das Ansehen des Richterstandes gesunken ist- Zugleich will ich jedoch einige Gedanken über eine etwaige Reform der Zivilrechtspflege anschließen. Der Grundzug der Reform, der zwar nicht in einem bestimmten Paragraphen formuliert werden kann, aber alle Gesetzesvor¬ schriften durchzieh« muß, sollte die Umkehr von dem bisherigen System des Mißtrauens gegen den Richter sein, das sich in der übermüßigen Zulässigkeit von Rechtsmitteln kundgibt. Vertrauen zum Richter sei fortan die Losung. Alle Kautelen zum Schutze der Parteirechte schlagen fehl, wenn es an der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/197>, abgerufen am 29.04.2024.