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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Großherzog Friedrich von Baden in Versailles
6

> in Gegensatz zu der Haltung des bayrischen Landtags hatten sich
die Landtage von Baden, Württemberg und Hessen beeilt, den
auf sie gesetzten patriotischen Erwartungen zu entsprechen. Der
badische Landtag hatte am 16. Dezember, also schon vor Empfang
!der Neichstagsdeputation in Versailles, die Verträge mit dem
Norddeutschen Bunde und die Militärkvnvention mit Preußen angenommen
und eine Adresse an den Großherzog beschlossen, die Lorenz mit Recht als
eines der schönsten Denkmale der großen Zeit bezeichnet. Es heißt darin:
"Und als es galt, das Einigungswerk Deutschlands zu vollenden, da waren
Eure Königliche Hoheit der erste, um das Wort der Treue gegen Deutschland
mit Verleugnung jedes Sonderinteresses einzulösen, in der Überzeugung, daß
das, was Deutschland stark und frei zu machen berufen ist, mich dem Teil des
Ganzen, dem geliebten Heimatlande, zum Segen und Heil gereicht." Der
württembergische Landtag nahm die Verträge am 23. an, der hessische in
beiden Kammern am 20. und 29. Dezember, sodaß für ganz Deutschland
mit Ausnahme von Bayern die Reichsverfassung mit Antritt des neuen Jahres
Giltigkeit hatte.

In München lagen die Sachen so, daß es der Ministerpräsident Graf Bray
nach seiner Rückkehr nicht hatte durchsetzen können, vom Könige zum mündlichen
Vortrag zugelassen zu werden, und da der Abgeordnete Jörg erklärte, der Aus¬
schuß werde mehrere Wochen zur Abstattung eines Berichtes an die Kammer
nötig haben, so war der bayrische Ministerpräsident in die beschämende Notwendig¬
keit versetzt worden, dem Bundeskanzler anzuzeigen, daß er den für den 1. Januar
festgestellten Ratifikationstermin nicht innehalten könne.

Die in Versailles anwesenden deutschen Fürsten waren jedoch darüber einig,
daß der Neujahrstag nicht vorübergehn dürfe, ohne der Nation ein Zeichen
zu geben, daß der Kaiser nicht wieder in den Kyffhäuser entwichen sei. Sehr
entschieden trat der Kronprinz auf, der am 28. Dezember den Entwurf zu einer
Proklamation niedergeschrieben hatte, in der der Entschluß des Königs verkündigt
werden sollte, nach dem Wunsch und Antrag der Fürsten das Reich und das
Kaisertum der Deutschen wiederherzustellen. Der in diesem Entwurf enthaltne
Hinweis auf das alte Kaisertum fand jedoch keinen Beifall, und auch Bismarck
vermochte sich nicht damit zu befreunden. Der König bestimmte überdies aus¬
drücklich, daß mit einer feierlichen Verkündung gewartet werden solle, bis die




Großherzog Friedrich von Baden in Versailles
6

> in Gegensatz zu der Haltung des bayrischen Landtags hatten sich
die Landtage von Baden, Württemberg und Hessen beeilt, den
auf sie gesetzten patriotischen Erwartungen zu entsprechen. Der
badische Landtag hatte am 16. Dezember, also schon vor Empfang
!der Neichstagsdeputation in Versailles, die Verträge mit dem
Norddeutschen Bunde und die Militärkvnvention mit Preußen angenommen
und eine Adresse an den Großherzog beschlossen, die Lorenz mit Recht als
eines der schönsten Denkmale der großen Zeit bezeichnet. Es heißt darin:
„Und als es galt, das Einigungswerk Deutschlands zu vollenden, da waren
Eure Königliche Hoheit der erste, um das Wort der Treue gegen Deutschland
mit Verleugnung jedes Sonderinteresses einzulösen, in der Überzeugung, daß
das, was Deutschland stark und frei zu machen berufen ist, mich dem Teil des
Ganzen, dem geliebten Heimatlande, zum Segen und Heil gereicht." Der
württembergische Landtag nahm die Verträge am 23. an, der hessische in
beiden Kammern am 20. und 29. Dezember, sodaß für ganz Deutschland
mit Ausnahme von Bayern die Reichsverfassung mit Antritt des neuen Jahres
Giltigkeit hatte.

In München lagen die Sachen so, daß es der Ministerpräsident Graf Bray
nach seiner Rückkehr nicht hatte durchsetzen können, vom Könige zum mündlichen
Vortrag zugelassen zu werden, und da der Abgeordnete Jörg erklärte, der Aus¬
schuß werde mehrere Wochen zur Abstattung eines Berichtes an die Kammer
nötig haben, so war der bayrische Ministerpräsident in die beschämende Notwendig¬
keit versetzt worden, dem Bundeskanzler anzuzeigen, daß er den für den 1. Januar
festgestellten Ratifikationstermin nicht innehalten könne.

Die in Versailles anwesenden deutschen Fürsten waren jedoch darüber einig,
daß der Neujahrstag nicht vorübergehn dürfe, ohne der Nation ein Zeichen
zu geben, daß der Kaiser nicht wieder in den Kyffhäuser entwichen sei. Sehr
entschieden trat der Kronprinz auf, der am 28. Dezember den Entwurf zu einer
Proklamation niedergeschrieben hatte, in der der Entschluß des Königs verkündigt
werden sollte, nach dem Wunsch und Antrag der Fürsten das Reich und das
Kaisertum der Deutschen wiederherzustellen. Der in diesem Entwurf enthaltne
Hinweis auf das alte Kaisertum fand jedoch keinen Beifall, und auch Bismarck
vermochte sich nicht damit zu befreunden. Der König bestimmte überdies aus¬
drücklich, daß mit einer feierlichen Verkündung gewartet werden solle, bis die


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[0204] [Abbildung] Großherzog Friedrich von Baden in Versailles 6 > in Gegensatz zu der Haltung des bayrischen Landtags hatten sich die Landtage von Baden, Württemberg und Hessen beeilt, den auf sie gesetzten patriotischen Erwartungen zu entsprechen. Der badische Landtag hatte am 16. Dezember, also schon vor Empfang !der Neichstagsdeputation in Versailles, die Verträge mit dem Norddeutschen Bunde und die Militärkvnvention mit Preußen angenommen und eine Adresse an den Großherzog beschlossen, die Lorenz mit Recht als eines der schönsten Denkmale der großen Zeit bezeichnet. Es heißt darin: „Und als es galt, das Einigungswerk Deutschlands zu vollenden, da waren Eure Königliche Hoheit der erste, um das Wort der Treue gegen Deutschland mit Verleugnung jedes Sonderinteresses einzulösen, in der Überzeugung, daß das, was Deutschland stark und frei zu machen berufen ist, mich dem Teil des Ganzen, dem geliebten Heimatlande, zum Segen und Heil gereicht." Der württembergische Landtag nahm die Verträge am 23. an, der hessische in beiden Kammern am 20. und 29. Dezember, sodaß für ganz Deutschland mit Ausnahme von Bayern die Reichsverfassung mit Antritt des neuen Jahres Giltigkeit hatte. In München lagen die Sachen so, daß es der Ministerpräsident Graf Bray nach seiner Rückkehr nicht hatte durchsetzen können, vom Könige zum mündlichen Vortrag zugelassen zu werden, und da der Abgeordnete Jörg erklärte, der Aus¬ schuß werde mehrere Wochen zur Abstattung eines Berichtes an die Kammer nötig haben, so war der bayrische Ministerpräsident in die beschämende Notwendig¬ keit versetzt worden, dem Bundeskanzler anzuzeigen, daß er den für den 1. Januar festgestellten Ratifikationstermin nicht innehalten könne. Die in Versailles anwesenden deutschen Fürsten waren jedoch darüber einig, daß der Neujahrstag nicht vorübergehn dürfe, ohne der Nation ein Zeichen zu geben, daß der Kaiser nicht wieder in den Kyffhäuser entwichen sei. Sehr entschieden trat der Kronprinz auf, der am 28. Dezember den Entwurf zu einer Proklamation niedergeschrieben hatte, in der der Entschluß des Königs verkündigt werden sollte, nach dem Wunsch und Antrag der Fürsten das Reich und das Kaisertum der Deutschen wiederherzustellen. Der in diesem Entwurf enthaltne Hinweis auf das alte Kaisertum fand jedoch keinen Beifall, und auch Bismarck vermochte sich nicht damit zu befreunden. Der König bestimmte überdies aus¬ drücklich, daß mit einer feierlichen Verkündung gewartet werden solle, bis die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/204>, abgerufen am 29.04.2024.