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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Zur angeblichen Abrüstung

!er Gedanke des allgemeinen Friedens ist nicht neu; ganz abge¬
sehen von der religiösen Seite der Frage ist mich schon die poli¬
tische Forderung und Ausbeutung des Gedankens alt und nicht
etwa eine Schöpfung der Gegenwart und des modernen fort-
I geschrittnen Liberalismus. Schon vor mehr als zweihundert
Jahren hat William Peru vergeblich für den allgemeinen Frieden geschrieben,
ihm folgte einige Jahrzehnte später der Abbe Charles de Saint-Pierre. Gegen
Ende des achtzehnten Jahrhunderts traten Herder und Kant für den ewigen
Frieden ein, und am Schlüsse des neunzehnten Jahrhunderts hat sogar das
Buch Johann von Blochs über die Kriegsverluste den damals noch jungen
Zaren bewogen, einen praktischen Schritt zur Eindämmung der angeblichen
Kriegslust und der Rüstungen im Sinne des friedenschwnrmendcn Liberalismus
zu unternehmen. Am 19. Mai 1899, dem Geburtstage des Zaren, wurde die
erste Friedens- und Abrüstungskonferenz im Haag eröffnet, im Jahre 1907 soll
eine zweite Konferenz folgen, und die Pläne für den großen Friedenspalast,
wo später die Sitzungen abgehalten werden sollen, sind schon entworfen. Es
wird ein kostbarer Bau werden, doch die höchsten Kosten könnten nicht in Be¬
tracht kommen, wenn durch sie wirklich ein Fortschritt der Kultur erkauft werdeu
kann. Bisher sind freilich alle Kulturfortschritte nur durch Ströme von Blut
erkauft worden, die Friedens- und Abrüstungsschwürmer, unter denen allerdings
die große Anzahl von Geldmännern auffällig erscheinen muß, geben sich aber
offenbar alles Ernstes der Anschauung hin, daß in unsrer Zeit der Herrschaft
des Kapitals Kulturfortschritte durch den Geldsack allein erreicht werdeu könnten.
Das dürfte jedoch auf dieselbe Täuschung hinauslaufen wie der Traum vom
ewigen Frieden selbst.

Inzwischen hat die internationale Friedenspropaganda die Kleinigkeit von
fünfzehn Millionen Mark von dem Petroleumkönige nobel geerbt, sodaß, wie
1897 auf dem Delegiertentage der "Deutschen Friedensgesellschaft" mitgeteilt


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Zur angeblichen Abrüstung

!er Gedanke des allgemeinen Friedens ist nicht neu; ganz abge¬
sehen von der religiösen Seite der Frage ist mich schon die poli¬
tische Forderung und Ausbeutung des Gedankens alt und nicht
etwa eine Schöpfung der Gegenwart und des modernen fort-
I geschrittnen Liberalismus. Schon vor mehr als zweihundert
Jahren hat William Peru vergeblich für den allgemeinen Frieden geschrieben,
ihm folgte einige Jahrzehnte später der Abbe Charles de Saint-Pierre. Gegen
Ende des achtzehnten Jahrhunderts traten Herder und Kant für den ewigen
Frieden ein, und am Schlüsse des neunzehnten Jahrhunderts hat sogar das
Buch Johann von Blochs über die Kriegsverluste den damals noch jungen
Zaren bewogen, einen praktischen Schritt zur Eindämmung der angeblichen
Kriegslust und der Rüstungen im Sinne des friedenschwnrmendcn Liberalismus
zu unternehmen. Am 19. Mai 1899, dem Geburtstage des Zaren, wurde die
erste Friedens- und Abrüstungskonferenz im Haag eröffnet, im Jahre 1907 soll
eine zweite Konferenz folgen, und die Pläne für den großen Friedenspalast,
wo später die Sitzungen abgehalten werden sollen, sind schon entworfen. Es
wird ein kostbarer Bau werden, doch die höchsten Kosten könnten nicht in Be¬
tracht kommen, wenn durch sie wirklich ein Fortschritt der Kultur erkauft werdeu
kann. Bisher sind freilich alle Kulturfortschritte nur durch Ströme von Blut
erkauft worden, die Friedens- und Abrüstungsschwürmer, unter denen allerdings
die große Anzahl von Geldmännern auffällig erscheinen muß, geben sich aber
offenbar alles Ernstes der Anschauung hin, daß in unsrer Zeit der Herrschaft
des Kapitals Kulturfortschritte durch den Geldsack allein erreicht werdeu könnten.
Das dürfte jedoch auf dieselbe Täuschung hinauslaufen wie der Traum vom
ewigen Frieden selbst.

Inzwischen hat die internationale Friedenspropaganda die Kleinigkeit von
fünfzehn Millionen Mark von dem Petroleumkönige nobel geerbt, sodaß, wie
1897 auf dem Delegiertentage der „Deutschen Friedensgesellschaft" mitgeteilt


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[0289] [Abbildung] Zur angeblichen Abrüstung !er Gedanke des allgemeinen Friedens ist nicht neu; ganz abge¬ sehen von der religiösen Seite der Frage ist mich schon die poli¬ tische Forderung und Ausbeutung des Gedankens alt und nicht etwa eine Schöpfung der Gegenwart und des modernen fort- I geschrittnen Liberalismus. Schon vor mehr als zweihundert Jahren hat William Peru vergeblich für den allgemeinen Frieden geschrieben, ihm folgte einige Jahrzehnte später der Abbe Charles de Saint-Pierre. Gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts traten Herder und Kant für den ewigen Frieden ein, und am Schlüsse des neunzehnten Jahrhunderts hat sogar das Buch Johann von Blochs über die Kriegsverluste den damals noch jungen Zaren bewogen, einen praktischen Schritt zur Eindämmung der angeblichen Kriegslust und der Rüstungen im Sinne des friedenschwnrmendcn Liberalismus zu unternehmen. Am 19. Mai 1899, dem Geburtstage des Zaren, wurde die erste Friedens- und Abrüstungskonferenz im Haag eröffnet, im Jahre 1907 soll eine zweite Konferenz folgen, und die Pläne für den großen Friedenspalast, wo später die Sitzungen abgehalten werden sollen, sind schon entworfen. Es wird ein kostbarer Bau werden, doch die höchsten Kosten könnten nicht in Be¬ tracht kommen, wenn durch sie wirklich ein Fortschritt der Kultur erkauft werdeu kann. Bisher sind freilich alle Kulturfortschritte nur durch Ströme von Blut erkauft worden, die Friedens- und Abrüstungsschwürmer, unter denen allerdings die große Anzahl von Geldmännern auffällig erscheinen muß, geben sich aber offenbar alles Ernstes der Anschauung hin, daß in unsrer Zeit der Herrschaft des Kapitals Kulturfortschritte durch den Geldsack allein erreicht werdeu könnten. Das dürfte jedoch auf dieselbe Täuschung hinauslaufen wie der Traum vom ewigen Frieden selbst. Inzwischen hat die internationale Friedenspropaganda die Kleinigkeit von fünfzehn Millionen Mark von dem Petroleumkönige nobel geerbt, sodaß, wie 1897 auf dem Delegiertentage der „Deutschen Friedensgesellschaft" mitgeteilt Grenzboten I V 190« A>

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/289>, abgerufen am 29.04.2024.