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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Luftreisen

Schablonenhaft gemachte, nicht wirklich geschaute Figuren treten auf und ab.
spärlich quillt in dem sachte sickernden Strome hier und da, bescheiden genug,
Humor herauf. Nirgends schöpft -- das fühlt man -- Karrillon aus dem
vollen. In "Michael Hely" führten ihm gute Geister die Hand, die über
seiner Kindheit wachten; in der "Mühle zu Husterloh" fehlen sie fast immer,
und jener Jugendduft, dessen ich oben erwähnte, verfliegt rasch.

So ist Karrillon, der im "Michael Hely" fast als ein Fertiger erschien,
offenbar noch durchaus im Ringen. Es wird interessant sein, ihn weiter zu
beobachten. Daß er den Weg in die Niederungen der "Mühle zu Husterloh"
wieder einschlägt, glaub ich nicht. Aber haben wir von ihm noch poetische
Gaben hohen Stils zu erwarten? Oder wird er, was wir nicht gering schätzen
wollen, ein feiner und ernster Unterhaltungsschriftsteller werden? Einstweilen
steht nach meinem Gefühl fest, daß er zu beidem Gaben und Einschlag hat.
Warten wir also ab, was er uns mit seinem nächsten Buche zu sagen haben
wird. Ein guter Gruß, ich glaub, in Tirol heißt: "Zeit lassen!" Man kann
ihn in künstlerischen Dingen nicht oft genug brauchen. Und so sei er auch
diesem Schriftsteller und -- uns, seinen Lesern, mit aller Absicht zugerufen!


Heinrich Spiero


Luftreisen
Johannes poeschel von
3. Von Bitterfeld nach Spichern

s ist zwar der reine Aberglaube, dem Mondwechsel Einfluß auf
die Witterung zuzuschreiben, aber merkwürdig bleibts doch, daß
sich das Wetter in der Regel dann ändert. In dieser höchsten
Weisheit eines bekannten praktischen Meteorologen wird wohl
mancher seine eignen Gedanken über diese viel erörterte Frage
wiederfinden. Unser Vertrauen auf den Vollmond wurde jedenfalls glänzend
belohnt. Was waren das für trübe Pfingsttage in diesem Jahre, Niederschläge
über Niederschläge, selten ein Sonnenstrahl. Auch die europäische Wetterlage
war ungünstig: eine große Depression im Norden entfernte sich zwar auf der
gewohnten Zugstraße immer weiter nach Osten, und im Westen machte sich ein
starkes Ansteigen des Luftdruckes bemerkbar, aber ein neues Tief entwickelte
sich in Oberitalien und beeinflußte die Wettergestaltung in Deutschland unter
vorherrschend westlichen Winden. Gleichwohl stieg das Barometer auch bei uns
langsam, aber stetig. Noch am Dienstag nach Pfingsten, dem 5. Juni, gingen
mehrere Regenschauer nieder, von denen bei dem Mangel einer Ballonhalle in
Bitterfeld jeder einzelne genügt hätte, die Fahrt in Frage zu stellen. Am
nächsten Tage aber, dem sogenannten vierten Feiertage, war Vollmond, und


Luftreisen

Schablonenhaft gemachte, nicht wirklich geschaute Figuren treten auf und ab.
spärlich quillt in dem sachte sickernden Strome hier und da, bescheiden genug,
Humor herauf. Nirgends schöpft — das fühlt man — Karrillon aus dem
vollen. In „Michael Hely" führten ihm gute Geister die Hand, die über
seiner Kindheit wachten; in der „Mühle zu Husterloh" fehlen sie fast immer,
und jener Jugendduft, dessen ich oben erwähnte, verfliegt rasch.

So ist Karrillon, der im „Michael Hely" fast als ein Fertiger erschien,
offenbar noch durchaus im Ringen. Es wird interessant sein, ihn weiter zu
beobachten. Daß er den Weg in die Niederungen der „Mühle zu Husterloh"
wieder einschlägt, glaub ich nicht. Aber haben wir von ihm noch poetische
Gaben hohen Stils zu erwarten? Oder wird er, was wir nicht gering schätzen
wollen, ein feiner und ernster Unterhaltungsschriftsteller werden? Einstweilen
steht nach meinem Gefühl fest, daß er zu beidem Gaben und Einschlag hat.
Warten wir also ab, was er uns mit seinem nächsten Buche zu sagen haben
wird. Ein guter Gruß, ich glaub, in Tirol heißt: „Zeit lassen!" Man kann
ihn in künstlerischen Dingen nicht oft genug brauchen. Und so sei er auch
diesem Schriftsteller und — uns, seinen Lesern, mit aller Absicht zugerufen!


Heinrich Spiero


Luftreisen
Johannes poeschel von
3. Von Bitterfeld nach Spichern

s ist zwar der reine Aberglaube, dem Mondwechsel Einfluß auf
die Witterung zuzuschreiben, aber merkwürdig bleibts doch, daß
sich das Wetter in der Regel dann ändert. In dieser höchsten
Weisheit eines bekannten praktischen Meteorologen wird wohl
mancher seine eignen Gedanken über diese viel erörterte Frage
wiederfinden. Unser Vertrauen auf den Vollmond wurde jedenfalls glänzend
belohnt. Was waren das für trübe Pfingsttage in diesem Jahre, Niederschläge
über Niederschläge, selten ein Sonnenstrahl. Auch die europäische Wetterlage
war ungünstig: eine große Depression im Norden entfernte sich zwar auf der
gewohnten Zugstraße immer weiter nach Osten, und im Westen machte sich ein
starkes Ansteigen des Luftdruckes bemerkbar, aber ein neues Tief entwickelte
sich in Oberitalien und beeinflußte die Wettergestaltung in Deutschland unter
vorherrschend westlichen Winden. Gleichwohl stieg das Barometer auch bei uns
langsam, aber stetig. Noch am Dienstag nach Pfingsten, dem 5. Juni, gingen
mehrere Regenschauer nieder, von denen bei dem Mangel einer Ballonhalle in
Bitterfeld jeder einzelne genügt hätte, die Fahrt in Frage zu stellen. Am
nächsten Tage aber, dem sogenannten vierten Feiertage, war Vollmond, und


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[0049] Luftreisen Schablonenhaft gemachte, nicht wirklich geschaute Figuren treten auf und ab. spärlich quillt in dem sachte sickernden Strome hier und da, bescheiden genug, Humor herauf. Nirgends schöpft — das fühlt man — Karrillon aus dem vollen. In „Michael Hely" führten ihm gute Geister die Hand, die über seiner Kindheit wachten; in der „Mühle zu Husterloh" fehlen sie fast immer, und jener Jugendduft, dessen ich oben erwähnte, verfliegt rasch. So ist Karrillon, der im „Michael Hely" fast als ein Fertiger erschien, offenbar noch durchaus im Ringen. Es wird interessant sein, ihn weiter zu beobachten. Daß er den Weg in die Niederungen der „Mühle zu Husterloh" wieder einschlägt, glaub ich nicht. Aber haben wir von ihm noch poetische Gaben hohen Stils zu erwarten? Oder wird er, was wir nicht gering schätzen wollen, ein feiner und ernster Unterhaltungsschriftsteller werden? Einstweilen steht nach meinem Gefühl fest, daß er zu beidem Gaben und Einschlag hat. Warten wir also ab, was er uns mit seinem nächsten Buche zu sagen haben wird. Ein guter Gruß, ich glaub, in Tirol heißt: „Zeit lassen!" Man kann ihn in künstlerischen Dingen nicht oft genug brauchen. Und so sei er auch diesem Schriftsteller und — uns, seinen Lesern, mit aller Absicht zugerufen! Heinrich Spiero Luftreisen Johannes poeschel von 3. Von Bitterfeld nach Spichern s ist zwar der reine Aberglaube, dem Mondwechsel Einfluß auf die Witterung zuzuschreiben, aber merkwürdig bleibts doch, daß sich das Wetter in der Regel dann ändert. In dieser höchsten Weisheit eines bekannten praktischen Meteorologen wird wohl mancher seine eignen Gedanken über diese viel erörterte Frage wiederfinden. Unser Vertrauen auf den Vollmond wurde jedenfalls glänzend belohnt. Was waren das für trübe Pfingsttage in diesem Jahre, Niederschläge über Niederschläge, selten ein Sonnenstrahl. Auch die europäische Wetterlage war ungünstig: eine große Depression im Norden entfernte sich zwar auf der gewohnten Zugstraße immer weiter nach Osten, und im Westen machte sich ein starkes Ansteigen des Luftdruckes bemerkbar, aber ein neues Tief entwickelte sich in Oberitalien und beeinflußte die Wettergestaltung in Deutschland unter vorherrschend westlichen Winden. Gleichwohl stieg das Barometer auch bei uns langsam, aber stetig. Noch am Dienstag nach Pfingsten, dem 5. Juni, gingen mehrere Regenschauer nieder, von denen bei dem Mangel einer Ballonhalle in Bitterfeld jeder einzelne genügt hätte, die Fahrt in Frage zu stellen. Am nächsten Tage aber, dem sogenannten vierten Feiertage, war Vollmond, und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/49>, abgerufen am 29.04.2024.