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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Aus der Zeit der "Herbstzeitlosen

ürst Bismarck ist, abgesehen von der Konfliktszeit, niemals vom ge¬
samten Liberalismus, namentlich dem deutscher Zunge, härter an¬
gelassen worden, als nach seiner Äußerung vom 14. Juni 1882 im
deutschen Reichstage über den Zusammenbruch der Herrschaft der
Deutschliberalen in Österreich. Er sagte: "Sehen Sie sich doch
weiter um, bei dem uns so eng befreundeten Österreich-Ungarn -- ist es denn da
leichter geworden, mit dem Parlamente zu regieren? Die sogenannten "Herbst¬
zeitlosen" unter den Deutschen in Österreich haben der Negierung die Möglich¬
keit, mit den Deutschen zu gehn, ruiniert, aus denselben Gründen, aus denen
ich vorgestern behauptete, daß eine Parteiregierung bei uns unmöglich ist,
einmal, weil auch dort die Partei nicht stark genug war, und dann, weil jede
Partei stets unter dem Eindrucke der Fortentwicklung ihrer Parteirichtung
steht. Diese Fortentwicklung findet notwendig in der Richtung ihres Extrems
statt, das weitere Fortschreiten erfolgt in der Richtung, der die Partei über¬
haupt angehört. . . . Der Überbotne wird immer Unrecht bekommen, und die
Neuwahlen ... werden von selbst sich schon dem, der mehr als der frühere auf
die Regierung schimpft, zuwenden, und auf diese Weise wird jede Partei
-- und so ist es auch der deutschen Partei in Österreich, in Zisleithanien,
ergangen -- durch die Maßlosigkeit doktrinärer Forderungen der extremen
Parteigenossen schließlich in die bedauerliche Lage kommen, daß sie die Dynastie
nötigt, sich mehr an andre Parteien und Elemente anzulehnen im Interesse
ihrer Erhaltung -- eine Dynastie, die in Österreich nach ihren ganzen Tra¬
ditionen, ohne irgendeine Nation zu bevorzugen, ursprünglich doch in den
Deutschen das ihr zunächst liegende Instrument zur Regulierung des gesamten
Reichs sehen mußte. Ich bitte Sie, meine Herren, sich das Beispiel der
Herbstschen Partei in Österreich -- der "Herbstzeitlosen" nenne ich sie. weil sie
nie etwas zur rechten Zeit getan -- sich doch einigermaßen zu Herzen zu


Grenzboten IV 1906 73


Aus der Zeit der „Herbstzeitlosen

ürst Bismarck ist, abgesehen von der Konfliktszeit, niemals vom ge¬
samten Liberalismus, namentlich dem deutscher Zunge, härter an¬
gelassen worden, als nach seiner Äußerung vom 14. Juni 1882 im
deutschen Reichstage über den Zusammenbruch der Herrschaft der
Deutschliberalen in Österreich. Er sagte: „Sehen Sie sich doch
weiter um, bei dem uns so eng befreundeten Österreich-Ungarn — ist es denn da
leichter geworden, mit dem Parlamente zu regieren? Die sogenannten »Herbst¬
zeitlosen« unter den Deutschen in Österreich haben der Negierung die Möglich¬
keit, mit den Deutschen zu gehn, ruiniert, aus denselben Gründen, aus denen
ich vorgestern behauptete, daß eine Parteiregierung bei uns unmöglich ist,
einmal, weil auch dort die Partei nicht stark genug war, und dann, weil jede
Partei stets unter dem Eindrucke der Fortentwicklung ihrer Parteirichtung
steht. Diese Fortentwicklung findet notwendig in der Richtung ihres Extrems
statt, das weitere Fortschreiten erfolgt in der Richtung, der die Partei über¬
haupt angehört. . . . Der Überbotne wird immer Unrecht bekommen, und die
Neuwahlen ... werden von selbst sich schon dem, der mehr als der frühere auf
die Regierung schimpft, zuwenden, und auf diese Weise wird jede Partei
— und so ist es auch der deutschen Partei in Österreich, in Zisleithanien,
ergangen — durch die Maßlosigkeit doktrinärer Forderungen der extremen
Parteigenossen schließlich in die bedauerliche Lage kommen, daß sie die Dynastie
nötigt, sich mehr an andre Parteien und Elemente anzulehnen im Interesse
ihrer Erhaltung — eine Dynastie, die in Österreich nach ihren ganzen Tra¬
ditionen, ohne irgendeine Nation zu bevorzugen, ursprünglich doch in den
Deutschen das ihr zunächst liegende Instrument zur Regulierung des gesamten
Reichs sehen mußte. Ich bitte Sie, meine Herren, sich das Beispiel der
Herbstschen Partei in Österreich — der »Herbstzeitlosen« nenne ich sie. weil sie
nie etwas zur rechten Zeit getan — sich doch einigermaßen zu Herzen zu


Grenzboten IV 1906 73
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[0573] [Abbildung] Aus der Zeit der „Herbstzeitlosen ürst Bismarck ist, abgesehen von der Konfliktszeit, niemals vom ge¬ samten Liberalismus, namentlich dem deutscher Zunge, härter an¬ gelassen worden, als nach seiner Äußerung vom 14. Juni 1882 im deutschen Reichstage über den Zusammenbruch der Herrschaft der Deutschliberalen in Österreich. Er sagte: „Sehen Sie sich doch weiter um, bei dem uns so eng befreundeten Österreich-Ungarn — ist es denn da leichter geworden, mit dem Parlamente zu regieren? Die sogenannten »Herbst¬ zeitlosen« unter den Deutschen in Österreich haben der Negierung die Möglich¬ keit, mit den Deutschen zu gehn, ruiniert, aus denselben Gründen, aus denen ich vorgestern behauptete, daß eine Parteiregierung bei uns unmöglich ist, einmal, weil auch dort die Partei nicht stark genug war, und dann, weil jede Partei stets unter dem Eindrucke der Fortentwicklung ihrer Parteirichtung steht. Diese Fortentwicklung findet notwendig in der Richtung ihres Extrems statt, das weitere Fortschreiten erfolgt in der Richtung, der die Partei über¬ haupt angehört. . . . Der Überbotne wird immer Unrecht bekommen, und die Neuwahlen ... werden von selbst sich schon dem, der mehr als der frühere auf die Regierung schimpft, zuwenden, und auf diese Weise wird jede Partei — und so ist es auch der deutschen Partei in Österreich, in Zisleithanien, ergangen — durch die Maßlosigkeit doktrinärer Forderungen der extremen Parteigenossen schließlich in die bedauerliche Lage kommen, daß sie die Dynastie nötigt, sich mehr an andre Parteien und Elemente anzulehnen im Interesse ihrer Erhaltung — eine Dynastie, die in Österreich nach ihren ganzen Tra¬ ditionen, ohne irgendeine Nation zu bevorzugen, ursprünglich doch in den Deutschen das ihr zunächst liegende Instrument zur Regulierung des gesamten Reichs sehen mußte. Ich bitte Sie, meine Herren, sich das Beispiel der Herbstschen Partei in Österreich — der »Herbstzeitlosen« nenne ich sie. weil sie nie etwas zur rechten Zeit getan — sich doch einigermaßen zu Herzen zu Grenzboten IV 1906 73

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/573>, abgerufen am 29.04.2024.