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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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In der Residenz zu Aleinhcmsen

Viertelstunde ists bis zum nächsten Dorfe. Wie heißt es? Spichern. So
wären wir also 1 Uhr 10 Minuten nach 14 Stunden 40 Minuten, von unserm
Ausgangspunkte 530 Kilometer entfernt, glatt gelandet in unmittelbarer Nähe
der blutgetränkten Höhen vom 6. August 1870, ein würdiger Abschluß des
Fluges, der uns einen großen Teil der schönsten deutschen Lande hat schauen
lassen. Nach einem Besuch des Schlachtfeldes von Spichern gehts über Metz,
Diedenhofen, das dreisprachige Luxemburg und Trier in die Heimat zurück.
So war neben der Bereicherung geographischen Wissens und geographischer An-
schauung auch für Auffrischung und Ergänzung vaterländisch geschichtlicher, sprach¬
licher und archäologischer Kenntnisse gesorgt.

Bier Nächte, die erste im Ballon, die letzte im Schnellzug verbracht, und
drei Tage nur hatte der Ausflug gewährt, aber beim Rückblick war es, als
Hütte er ebenso viele Wochen gedauert, so zahlreich, mannigfaltig und tief waren
die gewonnenen Eindrücke. Monate wären nötig, sie nach Wunsch zu ver¬
arbeiten und all den empfangner Anregungen nachzugehn, darau aber hindert
der Schluß der Ferien und unsre neuste, an schildernswerten Erlebnissen nicht
"unter reiche Ballonfahrt nach Rußland.




In der Residenz zu Kleinhausen
Maina Imsen von 1

> rausend fuhr der Schnellzug in die kleine Residenzstadt ein. Voll
! Ungeduld arbeitete die Lokomotive, zischend, fauchend -- als wider¬
strebe es ihr, hier zu halten, denn das niedrige Bahnhofsgebäude
lag völlig menschenleer in der Mittagssonne. Zwei Kälber, die an
der Einzäunung der grünen Anlage festgebunden waren, zerrten
blökend an ihren Stricken, und zwischen einer Reihe aufgestapelter
Milchkarren schlich der mürrische Stntwnsbeamte in seinen Dienstraum zurück.

Abläuten -- fertig!

Weiter raste der Zug in die Sommerwelt hinein.

Aber da stand doch jemand, der aufgestiegen sein mußte. Ein junger Mann
war es, hoch, breitschultrig, mit weichem dunkeln Vollbart. Unter dem großen
^chlnpphnt schauten zwei Kinderaugen hell in die Welt, voll freudiger Erwartung,
-"crwundert glotzten die beiden Kälber ihn an, mit steif ausgestreckten Beinen,
w°"ß er lachend rief: Seid gegrüßt, ihr Vorboten der Heimat! Dann schritt er,
"was tiefer atmend, in das Städtchen hinein.

" O du liebes altes Nest, aber leider immer nur noch ein Nest! Kein Sturm
M über dich hingebraust, alles steht noch nach der vorgeschriebnen Linie. Die Straßen
>">d blank und leer, und gotisch verwiukelt. Wie Hoffnungsglück grünt es auf dem
-^cirltplcche. Gewaltig bin ich über die Dächer hinausgewachsen und über die in
'"einer Kindheit schon so niedrigen Bergkuppen, die so ruhvoll herübergrüßen ans


In der Residenz zu Aleinhcmsen

Viertelstunde ists bis zum nächsten Dorfe. Wie heißt es? Spichern. So
wären wir also 1 Uhr 10 Minuten nach 14 Stunden 40 Minuten, von unserm
Ausgangspunkte 530 Kilometer entfernt, glatt gelandet in unmittelbarer Nähe
der blutgetränkten Höhen vom 6. August 1870, ein würdiger Abschluß des
Fluges, der uns einen großen Teil der schönsten deutschen Lande hat schauen
lassen. Nach einem Besuch des Schlachtfeldes von Spichern gehts über Metz,
Diedenhofen, das dreisprachige Luxemburg und Trier in die Heimat zurück.
So war neben der Bereicherung geographischen Wissens und geographischer An-
schauung auch für Auffrischung und Ergänzung vaterländisch geschichtlicher, sprach¬
licher und archäologischer Kenntnisse gesorgt.

Bier Nächte, die erste im Ballon, die letzte im Schnellzug verbracht, und
drei Tage nur hatte der Ausflug gewährt, aber beim Rückblick war es, als
Hütte er ebenso viele Wochen gedauert, so zahlreich, mannigfaltig und tief waren
die gewonnenen Eindrücke. Monate wären nötig, sie nach Wunsch zu ver¬
arbeiten und all den empfangner Anregungen nachzugehn, darau aber hindert
der Schluß der Ferien und unsre neuste, an schildernswerten Erlebnissen nicht
"unter reiche Ballonfahrt nach Rußland.




In der Residenz zu Kleinhausen
Maina Imsen von 1

> rausend fuhr der Schnellzug in die kleine Residenzstadt ein. Voll
! Ungeduld arbeitete die Lokomotive, zischend, fauchend — als wider¬
strebe es ihr, hier zu halten, denn das niedrige Bahnhofsgebäude
lag völlig menschenleer in der Mittagssonne. Zwei Kälber, die an
der Einzäunung der grünen Anlage festgebunden waren, zerrten
blökend an ihren Stricken, und zwischen einer Reihe aufgestapelter
Milchkarren schlich der mürrische Stntwnsbeamte in seinen Dienstraum zurück.

Abläuten — fertig!

Weiter raste der Zug in die Sommerwelt hinein.

Aber da stand doch jemand, der aufgestiegen sein mußte. Ein junger Mann
war es, hoch, breitschultrig, mit weichem dunkeln Vollbart. Unter dem großen
^chlnpphnt schauten zwei Kinderaugen hell in die Welt, voll freudiger Erwartung,
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"was tiefer atmend, in das Städtchen hinein.

„ O du liebes altes Nest, aber leider immer nur noch ein Nest! Kein Sturm
M über dich hingebraust, alles steht noch nach der vorgeschriebnen Linie. Die Straßen
>">d blank und leer, und gotisch verwiukelt. Wie Hoffnungsglück grünt es auf dem
-^cirltplcche. Gewaltig bin ich über die Dächer hinausgewachsen und über die in
'»einer Kindheit schon so niedrigen Bergkuppen, die so ruhvoll herübergrüßen ans


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/59>, abgerufen am 29.04.2024.