Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Aschabad und Umgegend

beiden Literaturen aber ist die unerschöpfliche Fülle der Bilder, in denen sich
endlos bald die jubelnde Lust am Sein, bald die Sehnsucht nach dem ernsten
Hintergründe der gleißenden Erscheinungswelt ausströmt.

Näher steht unserm Empfinden die griechische Metaphorik. Statt der
Groteske des Ausdrucks, der berauschenden Fülle der Bilder entzückt uns hier die
treffende Prägnanz und doch originelle Feinheit. Eine Menge uns geläufiger
Bilder begegnen uns hier zum erstenmal; so ist die Redensart "auf des
Messers Schneide stehn" zuerst von Homer (Ilias K 173) gebraucht; "den
Rahm von der Milch zu schöpfen" wirft Solon in einem Epigramm den
schlechten Staatslenkern vor; "die Schlange am Busen gehegt" zu haben be¬
klagt der Misanthrop Theognis von Megara; vom "Kolorit der Töne" spricht
schon Antiphanes. Doch ist einzelnes auszupflücken ohne besondern Wert, der
eben in dem Überblick über das Ganze und in dem organischen, jahrhunderte¬
lang fortentwickelten Zusammenhang liegt.




Aschabad und Umgegend
R H. Toepfer eiseerinnerungen von
2

in von Aschabad selber etwas kennen zu lernen, mußten wir
während unsrer Kreuz- und Querfahrten durch die Stadt nach
diesem oder jenem Ziele die Augen dauernd offenhalten, da wir
anderweitig zu sehr in Anspruch genommen waren. Aschabad,
zu deutsch "Lieblingsort", ist typische Russenstadt in Zentral¬
en. Aus einem befestigten Turkmenenaul entstanden, der zur Zeit der
kobeljefsexpedition Vorort der Achat-Teke-Oase geworden war, hat es sich
uach Unterwerfung der Merw-Oase als Gebietshauptstadt und Handelsplatz sehr
^teilhaft entwickelt. Es ist dies zum großen Teil das Verdienst Kuropatkins,
^ sich hier in fast zehnjähriger Tätigkeit als Gebietschcf einen berechtigten
. ^uf als Organisator erworben und in der Stadt selber eine verdiente Ehrung
ur der Bezeichnung einer der schönsten Straßen mit seinem Namen gefunden
)at. Wenn man sich, von dem Anblick des' einförmigen Steppenlandes und der
^uls einigermaßen gelangweilt, der Stadt nähert, machen die Gartenanlagen
und die sich in ihnen erhebenden Kuppeln und Kupferdächer schon einen höchst
erfreulichen Eindruck. Und dieser Eindruck wird uur verstärkt, wenn man die
breite, nach dem genialen Erbauer der Eisenbahn benannte Annenkoffstraße,
zwei Kilometer lang, vom Bahnhof in das persisch-armenische Handels-
blertel hineinführt, entlang rollt. Der hier liegende städtische Garten zeugt
bon dem Erfolge des Bestrebens, das Bild der Straßen durch Baumschmuck zu


Aschabad und Umgegend

beiden Literaturen aber ist die unerschöpfliche Fülle der Bilder, in denen sich
endlos bald die jubelnde Lust am Sein, bald die Sehnsucht nach dem ernsten
Hintergründe der gleißenden Erscheinungswelt ausströmt.

Näher steht unserm Empfinden die griechische Metaphorik. Statt der
Groteske des Ausdrucks, der berauschenden Fülle der Bilder entzückt uns hier die
treffende Prägnanz und doch originelle Feinheit. Eine Menge uns geläufiger
Bilder begegnen uns hier zum erstenmal; so ist die Redensart „auf des
Messers Schneide stehn" zuerst von Homer (Ilias K 173) gebraucht; „den
Rahm von der Milch zu schöpfen" wirft Solon in einem Epigramm den
schlechten Staatslenkern vor; „die Schlange am Busen gehegt" zu haben be¬
klagt der Misanthrop Theognis von Megara; vom „Kolorit der Töne" spricht
schon Antiphanes. Doch ist einzelnes auszupflücken ohne besondern Wert, der
eben in dem Überblick über das Ganze und in dem organischen, jahrhunderte¬
lang fortentwickelten Zusammenhang liegt.




Aschabad und Umgegend
R H. Toepfer eiseerinnerungen von
2

in von Aschabad selber etwas kennen zu lernen, mußten wir
während unsrer Kreuz- und Querfahrten durch die Stadt nach
diesem oder jenem Ziele die Augen dauernd offenhalten, da wir
anderweitig zu sehr in Anspruch genommen waren. Aschabad,
zu deutsch „Lieblingsort", ist typische Russenstadt in Zentral¬
en. Aus einem befestigten Turkmenenaul entstanden, der zur Zeit der
kobeljefsexpedition Vorort der Achat-Teke-Oase geworden war, hat es sich
uach Unterwerfung der Merw-Oase als Gebietshauptstadt und Handelsplatz sehr
^teilhaft entwickelt. Es ist dies zum großen Teil das Verdienst Kuropatkins,
^ sich hier in fast zehnjähriger Tätigkeit als Gebietschcf einen berechtigten
. ^uf als Organisator erworben und in der Stadt selber eine verdiente Ehrung
ur der Bezeichnung einer der schönsten Straßen mit seinem Namen gefunden
)at. Wenn man sich, von dem Anblick des' einförmigen Steppenlandes und der
^uls einigermaßen gelangweilt, der Stadt nähert, machen die Gartenanlagen
und die sich in ihnen erhebenden Kuppeln und Kupferdächer schon einen höchst
erfreulichen Eindruck. Und dieser Eindruck wird uur verstärkt, wenn man die
breite, nach dem genialen Erbauer der Eisenbahn benannte Annenkoffstraße,
zwei Kilometer lang, vom Bahnhof in das persisch-armenische Handels-
blertel hineinführt, entlang rollt. Der hier liegende städtische Garten zeugt
bon dem Erfolge des Bestrebens, das Bild der Straßen durch Baumschmuck zu


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0665" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/301164"/>
          <fw type="header" place="top"> Aschabad und Umgegend</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2688" prev="#ID_2687"> beiden Literaturen aber ist die unerschöpfliche Fülle der Bilder, in denen sich<lb/>
endlos bald die jubelnde Lust am Sein, bald die Sehnsucht nach dem ernsten<lb/>
Hintergründe der gleißenden Erscheinungswelt ausströmt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2689"> Näher steht unserm Empfinden die griechische Metaphorik. Statt der<lb/>
Groteske des Ausdrucks, der berauschenden Fülle der Bilder entzückt uns hier die<lb/>
treffende Prägnanz und doch originelle Feinheit. Eine Menge uns geläufiger<lb/>
Bilder begegnen uns hier zum erstenmal; so ist die Redensart &#x201E;auf des<lb/>
Messers Schneide stehn" zuerst von Homer (Ilias K 173) gebraucht; &#x201E;den<lb/>
Rahm von der Milch zu schöpfen" wirft Solon in einem Epigramm den<lb/>
schlechten Staatslenkern vor; &#x201E;die Schlange am Busen gehegt" zu haben be¬<lb/>
klagt der Misanthrop Theognis von Megara; vom &#x201E;Kolorit der Töne" spricht<lb/>
schon Antiphanes. Doch ist einzelnes auszupflücken ohne besondern Wert, der<lb/>
eben in dem Überblick über das Ganze und in dem organischen, jahrhunderte¬<lb/>
lang fortentwickelten Zusammenhang liegt.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Aschabad und Umgegend<lb/>
R<note type="byline"> H. Toepfer</note> eiseerinnerungen von<lb/>
2</head><lb/>
          <p xml:id="ID_2690" next="#ID_2691"> in von Aschabad selber etwas kennen zu lernen, mußten wir<lb/>
während unsrer Kreuz- und Querfahrten durch die Stadt nach<lb/>
diesem oder jenem Ziele die Augen dauernd offenhalten, da wir<lb/>
anderweitig zu sehr in Anspruch genommen waren. Aschabad,<lb/>
zu deutsch &#x201E;Lieblingsort", ist typische Russenstadt in Zentral¬<lb/>
en. Aus einem befestigten Turkmenenaul entstanden, der zur Zeit der<lb/>
kobeljefsexpedition Vorort der Achat-Teke-Oase geworden war, hat es sich<lb/>
uach Unterwerfung der Merw-Oase als Gebietshauptstadt und Handelsplatz sehr<lb/>
^teilhaft entwickelt. Es ist dies zum großen Teil das Verdienst Kuropatkins,<lb/>
^ sich hier in fast zehnjähriger Tätigkeit als Gebietschcf einen berechtigten<lb/>
. ^uf als Organisator erworben und in der Stadt selber eine verdiente Ehrung<lb/>
ur der Bezeichnung einer der schönsten Straßen mit seinem Namen gefunden<lb/>
)at. Wenn man sich, von dem Anblick des' einförmigen Steppenlandes und der<lb/>
^uls einigermaßen gelangweilt, der Stadt nähert, machen die Gartenanlagen<lb/>
und die sich in ihnen erhebenden Kuppeln und Kupferdächer schon einen höchst<lb/>
erfreulichen Eindruck. Und dieser Eindruck wird uur verstärkt, wenn man die<lb/>
breite, nach dem genialen Erbauer der Eisenbahn benannte Annenkoffstraße,<lb/>
zwei Kilometer lang, vom Bahnhof in das persisch-armenische Handels-<lb/>
blertel hineinführt, entlang rollt. Der hier liegende städtische Garten zeugt<lb/>
bon dem Erfolge des Bestrebens, das Bild der Straßen durch Baumschmuck zu</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0665] Aschabad und Umgegend beiden Literaturen aber ist die unerschöpfliche Fülle der Bilder, in denen sich endlos bald die jubelnde Lust am Sein, bald die Sehnsucht nach dem ernsten Hintergründe der gleißenden Erscheinungswelt ausströmt. Näher steht unserm Empfinden die griechische Metaphorik. Statt der Groteske des Ausdrucks, der berauschenden Fülle der Bilder entzückt uns hier die treffende Prägnanz und doch originelle Feinheit. Eine Menge uns geläufiger Bilder begegnen uns hier zum erstenmal; so ist die Redensart „auf des Messers Schneide stehn" zuerst von Homer (Ilias K 173) gebraucht; „den Rahm von der Milch zu schöpfen" wirft Solon in einem Epigramm den schlechten Staatslenkern vor; „die Schlange am Busen gehegt" zu haben be¬ klagt der Misanthrop Theognis von Megara; vom „Kolorit der Töne" spricht schon Antiphanes. Doch ist einzelnes auszupflücken ohne besondern Wert, der eben in dem Überblick über das Ganze und in dem organischen, jahrhunderte¬ lang fortentwickelten Zusammenhang liegt. Aschabad und Umgegend R H. Toepfer eiseerinnerungen von 2 in von Aschabad selber etwas kennen zu lernen, mußten wir während unsrer Kreuz- und Querfahrten durch die Stadt nach diesem oder jenem Ziele die Augen dauernd offenhalten, da wir anderweitig zu sehr in Anspruch genommen waren. Aschabad, zu deutsch „Lieblingsort", ist typische Russenstadt in Zentral¬ en. Aus einem befestigten Turkmenenaul entstanden, der zur Zeit der kobeljefsexpedition Vorort der Achat-Teke-Oase geworden war, hat es sich uach Unterwerfung der Merw-Oase als Gebietshauptstadt und Handelsplatz sehr ^teilhaft entwickelt. Es ist dies zum großen Teil das Verdienst Kuropatkins, ^ sich hier in fast zehnjähriger Tätigkeit als Gebietschcf einen berechtigten . ^uf als Organisator erworben und in der Stadt selber eine verdiente Ehrung ur der Bezeichnung einer der schönsten Straßen mit seinem Namen gefunden )at. Wenn man sich, von dem Anblick des' einförmigen Steppenlandes und der ^uls einigermaßen gelangweilt, der Stadt nähert, machen die Gartenanlagen und die sich in ihnen erhebenden Kuppeln und Kupferdächer schon einen höchst erfreulichen Eindruck. Und dieser Eindruck wird uur verstärkt, wenn man die breite, nach dem genialen Erbauer der Eisenbahn benannte Annenkoffstraße, zwei Kilometer lang, vom Bahnhof in das persisch-armenische Handels- blertel hineinführt, entlang rollt. Der hier liegende städtische Garten zeugt bon dem Erfolge des Bestrebens, das Bild der Straßen durch Baumschmuck zu

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/665
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/665>, abgerufen am 29.04.2024.