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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Aulturbilder aus den Balkanstaaten

schichte zu unbedeutend und ihr politisches Schicksal zu wechselvoll, als daß
hier Künste des Friedens hätten gedeihen können. Bukarest und Belgrad
haben, obwohl die ältesten Städte der Halbinsel -- jenes war schon im sieb¬
zehnten Jahrhundert eine große Stadt --, nur verschwindende Reste älterer
Bauwerke bewahrt, und in Belgrad ist gerade das interessanteste davon, der
Prinz Eugenpalast nur in ganz kümmerlichen Spuren erhalten. In Bukarest
deutet eigentlich nur das labyrinthische Netz seiner krummen Straßen auf ein
höheres Alter, das sonst nur noch Athen in seinen ältern Vierteln um die
Akropolis zeigt, während Belgrad und Sofia ganz nach einem künstlichen Plan
angelegte Städte sind und darum schnurgerade, meist sich rechtwinklig kreuzende
Straßenzüge und weite viereckige Plätze zeigen, für deren Anlage teils Wiener,
teils Pariser Vorbilder maßgebend gewesen sind.

Will man sich überzeugen, daß alle diese Städte nur Kulturoasen sind,
so braucht man nur ein paar Stationen mit der Eisenbahn zu fahren oder
eine Tagespartie in die Umgegend zu machen; dann muß man sich schon ver¬
proviantieren, wenn man nicht in einem der ländlichen Kramläden (Batate)
mit den charakteristischen drei Bogentüren mit Brot, Kühe und Landwein
vorlieb nehmen will. Die ländliche Kultur ist wohl in die Stadt, nicht aber
die städtische auf das Land gedrungen; hier ist alles noch primitive Balkan¬
kultur, unberührt von der Zivilisation der nahen Stadt, von deren Herrlich¬
keiten der biedere Wirt, wenn er sie überhaupt geschaut hat, dem Gaste
staunend erzählt wie von einem Märchenschloß und dabei wohl einen tiefen
Griff mit der Hand in das Salzfaß tut, das auf dem Tische steht, um sich
sein trocknes Brot und sein tristes Dasein zu würzen.....So füllt man hier
von der Kultur plötzlich in die Unkultur. Aber man braucht nicht einmal
soweit zu gehn, sondern kann getrost in den Städten bleiben und in deren
Leben und Treiben lehrreiche Studien machen über die eigentümliche Mischung
von städtischem und bäurischen Wesen, die wir bisher nur in ihrer äußern
Erscheinung festgestellt haben.


2. Die Balkanstädte von der volkstümlichen Leite

Schon auf dem Bahnhof in Budapest kann man sich davon überzeugen,
daß man in die orientalische Kultursphüre eingetreten ist. Kaum hat der Zug
angehalten, so ertönt von allen Waggons der Ruf: Hordü! (Gepäckträger.)
In Bukarest braucht man schon nicht mehr zu rufen, da ist der Gepäckträger,
ehe man sichs versieht, im Wagen und bemächtigt sich fast von selbst des Ge¬
päcks. So will es der Orientale. Er würde es nicht über sich gewinnen,
auch nur zehn Schritte weit seinen Koffer selbst zu tragen; er würde es als
eine Demütigung empfinden, als eine Verletzung seiner Würde.

Wir erfassen hier eine der am stärksten hervortretenden Seiten im Charakter
des Balkanmenschen: sein Herrenmenschentum -- offenbar ein Rest seiner
orientalischen Vergangenheit. Wie es im Orient üblich ist, Waren, die man


Aulturbilder aus den Balkanstaaten

schichte zu unbedeutend und ihr politisches Schicksal zu wechselvoll, als daß
hier Künste des Friedens hätten gedeihen können. Bukarest und Belgrad
haben, obwohl die ältesten Städte der Halbinsel — jenes war schon im sieb¬
zehnten Jahrhundert eine große Stadt —, nur verschwindende Reste älterer
Bauwerke bewahrt, und in Belgrad ist gerade das interessanteste davon, der
Prinz Eugenpalast nur in ganz kümmerlichen Spuren erhalten. In Bukarest
deutet eigentlich nur das labyrinthische Netz seiner krummen Straßen auf ein
höheres Alter, das sonst nur noch Athen in seinen ältern Vierteln um die
Akropolis zeigt, während Belgrad und Sofia ganz nach einem künstlichen Plan
angelegte Städte sind und darum schnurgerade, meist sich rechtwinklig kreuzende
Straßenzüge und weite viereckige Plätze zeigen, für deren Anlage teils Wiener,
teils Pariser Vorbilder maßgebend gewesen sind.

Will man sich überzeugen, daß alle diese Städte nur Kulturoasen sind,
so braucht man nur ein paar Stationen mit der Eisenbahn zu fahren oder
eine Tagespartie in die Umgegend zu machen; dann muß man sich schon ver¬
proviantieren, wenn man nicht in einem der ländlichen Kramläden (Batate)
mit den charakteristischen drei Bogentüren mit Brot, Kühe und Landwein
vorlieb nehmen will. Die ländliche Kultur ist wohl in die Stadt, nicht aber
die städtische auf das Land gedrungen; hier ist alles noch primitive Balkan¬
kultur, unberührt von der Zivilisation der nahen Stadt, von deren Herrlich¬
keiten der biedere Wirt, wenn er sie überhaupt geschaut hat, dem Gaste
staunend erzählt wie von einem Märchenschloß und dabei wohl einen tiefen
Griff mit der Hand in das Salzfaß tut, das auf dem Tische steht, um sich
sein trocknes Brot und sein tristes Dasein zu würzen.....So füllt man hier
von der Kultur plötzlich in die Unkultur. Aber man braucht nicht einmal
soweit zu gehn, sondern kann getrost in den Städten bleiben und in deren
Leben und Treiben lehrreiche Studien machen über die eigentümliche Mischung
von städtischem und bäurischen Wesen, die wir bisher nur in ihrer äußern
Erscheinung festgestellt haben.


2. Die Balkanstädte von der volkstümlichen Leite

Schon auf dem Bahnhof in Budapest kann man sich davon überzeugen,
daß man in die orientalische Kultursphüre eingetreten ist. Kaum hat der Zug
angehalten, so ertönt von allen Waggons der Ruf: Hordü! (Gepäckträger.)
In Bukarest braucht man schon nicht mehr zu rufen, da ist der Gepäckträger,
ehe man sichs versieht, im Wagen und bemächtigt sich fast von selbst des Ge¬
päcks. So will es der Orientale. Er würde es nicht über sich gewinnen,
auch nur zehn Schritte weit seinen Koffer selbst zu tragen; er würde es als
eine Demütigung empfinden, als eine Verletzung seiner Würde.

Wir erfassen hier eine der am stärksten hervortretenden Seiten im Charakter
des Balkanmenschen: sein Herrenmenschentum — offenbar ein Rest seiner
orientalischen Vergangenheit. Wie es im Orient üblich ist, Waren, die man


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[0098] Aulturbilder aus den Balkanstaaten schichte zu unbedeutend und ihr politisches Schicksal zu wechselvoll, als daß hier Künste des Friedens hätten gedeihen können. Bukarest und Belgrad haben, obwohl die ältesten Städte der Halbinsel — jenes war schon im sieb¬ zehnten Jahrhundert eine große Stadt —, nur verschwindende Reste älterer Bauwerke bewahrt, und in Belgrad ist gerade das interessanteste davon, der Prinz Eugenpalast nur in ganz kümmerlichen Spuren erhalten. In Bukarest deutet eigentlich nur das labyrinthische Netz seiner krummen Straßen auf ein höheres Alter, das sonst nur noch Athen in seinen ältern Vierteln um die Akropolis zeigt, während Belgrad und Sofia ganz nach einem künstlichen Plan angelegte Städte sind und darum schnurgerade, meist sich rechtwinklig kreuzende Straßenzüge und weite viereckige Plätze zeigen, für deren Anlage teils Wiener, teils Pariser Vorbilder maßgebend gewesen sind. Will man sich überzeugen, daß alle diese Städte nur Kulturoasen sind, so braucht man nur ein paar Stationen mit der Eisenbahn zu fahren oder eine Tagespartie in die Umgegend zu machen; dann muß man sich schon ver¬ proviantieren, wenn man nicht in einem der ländlichen Kramläden (Batate) mit den charakteristischen drei Bogentüren mit Brot, Kühe und Landwein vorlieb nehmen will. Die ländliche Kultur ist wohl in die Stadt, nicht aber die städtische auf das Land gedrungen; hier ist alles noch primitive Balkan¬ kultur, unberührt von der Zivilisation der nahen Stadt, von deren Herrlich¬ keiten der biedere Wirt, wenn er sie überhaupt geschaut hat, dem Gaste staunend erzählt wie von einem Märchenschloß und dabei wohl einen tiefen Griff mit der Hand in das Salzfaß tut, das auf dem Tische steht, um sich sein trocknes Brot und sein tristes Dasein zu würzen.....So füllt man hier von der Kultur plötzlich in die Unkultur. Aber man braucht nicht einmal soweit zu gehn, sondern kann getrost in den Städten bleiben und in deren Leben und Treiben lehrreiche Studien machen über die eigentümliche Mischung von städtischem und bäurischen Wesen, die wir bisher nur in ihrer äußern Erscheinung festgestellt haben. 2. Die Balkanstädte von der volkstümlichen Leite Schon auf dem Bahnhof in Budapest kann man sich davon überzeugen, daß man in die orientalische Kultursphüre eingetreten ist. Kaum hat der Zug angehalten, so ertönt von allen Waggons der Ruf: Hordü! (Gepäckträger.) In Bukarest braucht man schon nicht mehr zu rufen, da ist der Gepäckträger, ehe man sichs versieht, im Wagen und bemächtigt sich fast von selbst des Ge¬ päcks. So will es der Orientale. Er würde es nicht über sich gewinnen, auch nur zehn Schritte weit seinen Koffer selbst zu tragen; er würde es als eine Demütigung empfinden, als eine Verletzung seiner Würde. Wir erfassen hier eine der am stärksten hervortretenden Seiten im Charakter des Balkanmenschen: sein Herrenmenschentum — offenbar ein Rest seiner orientalischen Vergangenheit. Wie es im Orient üblich ist, Waren, die man

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/98>, abgerufen am 29.04.2024.