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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Katholische Belletristik und Publizistik
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!n den kritischen Artikeln der sieben Hefte Hochland (ans den
Jahrgängen 1903, 1904 und 1905), die ich durchgelesen habe,
wird natürlich die Frage nach der Stellung der Konfession zur
Literatur oft erörtert. Eduard von Hartmann hatte im "Tag"
Igeschrieben: "Die katholische Literatur, Presse und Vereinstütig-
keit sucht die Kluft zwischen dem protestantischen und dem katholischen Kultur¬
kreise in Deutschland immer schroffer zu machen und ihre Gefolgschaft von
allem, was deutsch ist, luftdicht abzuschließen." Darauf hatte ein Katholik,
Dr. Hengesbach, in derselben Zeitung u. a, geantwortet:

Es mag Schriftsteller wie Verleger geben, die aus konfessioneller Einseitigkeit
ihren geschäftlichen Vorteil ziehen; aber mit der deutschen Literatur hat ihr Schaffen
außer dem Papier nur noch die Druckerschwärze gemeinsam. Nicht Eigennutz, aber
Kritiklosigkeit liegt dem Bestreben zugrunde, einen wirklichen Dichter, je nach seinem
Bekenntnisse, als ausschließlich zu der einen oder andern Seite gehörig hinzustellen,
ihn demgemäß über alle Vergleiche hinweg zu preisen oder mit beflissener Gleich-
giltigkeit zu ignorieren. Es ist gewiß Unrecht, wenn Katholiken Friedrich Wilhelm
Weber, den Sänger des siegreichen Christentums der Frankenzeit, den vorurteils¬
loser und unvergleichlichen Übersetzer protestantischer Ausländer, als Parteidichter
sozusagen für sich in Beschlag nehmen; größeres Unrecht noch ist es, wenn ein
zünftiger Literarhistoriker (Kirchner) diesen Mann und seine Werke von der "deutschen
Nationalliteratur des neunzehnten Jahrhunderts" ausschließt. Von den schlechthin
nationalen Dichtern, von den zu allgemeiner Schätzung gelangten Klassikern und
den einstweilen noch angefochtnen Klassikern der Zukunft möchte ich hier absehen.
Für das schöne Friedenswerk, die durch die Reformation getrennten Brüder geistig
wieder zu vereinen, kommen zunächst jene literatnrfähigen Dichter-Denker in Be¬
tracht, die, in stetem Zusammenhang mit der deutschen Kultur, die eigentümlichen
Vorzüge ihrer Heimaterde am getreuesten widerspiegeln. Mögen sie im evan¬
gelischen oder im katholischen Volkstum wurzeln, möge der eine oder der andre
Zug in ihren Werken ihr eignes Bekenntnis verraten, so sollte doch niemand bei
ihnen Tendenzen suchen, die diesen Heimatkünstlern, wie allen echten Künstlern,
fremd sind. Dem Holsteiner Storm gebührt nicht bloß am evangelischen Herde
ein Platz, sondern überall, wo man deutsche Art und Sprache schätzt, und umgekehrt
sollte man dein badischen Hansjakob nirgendwo deswegen die Tür verschließen, weil
er katholischer Pfarrer ist. Ich halte es nicht für berechtigt, bei den Katholiken
in dieser Beziehung größere Befangenheit und stärkere Vorurteile vorauszusetzen
als bei ihren andersgläubigen Mitbürgern; die Wärme, mit der man Fritz Reuters
Darbietungen in Westfalen wie am Rhein und sogar über die niederdeutsche Grenze
im Süden hinaus aufgenommen hat, widerspricht dieser Annahme.




Katholische Belletristik und Publizistik
2

!n den kritischen Artikeln der sieben Hefte Hochland (ans den
Jahrgängen 1903, 1904 und 1905), die ich durchgelesen habe,
wird natürlich die Frage nach der Stellung der Konfession zur
Literatur oft erörtert. Eduard von Hartmann hatte im „Tag"
Igeschrieben: „Die katholische Literatur, Presse und Vereinstütig-
keit sucht die Kluft zwischen dem protestantischen und dem katholischen Kultur¬
kreise in Deutschland immer schroffer zu machen und ihre Gefolgschaft von
allem, was deutsch ist, luftdicht abzuschließen." Darauf hatte ein Katholik,
Dr. Hengesbach, in derselben Zeitung u. a, geantwortet:

Es mag Schriftsteller wie Verleger geben, die aus konfessioneller Einseitigkeit
ihren geschäftlichen Vorteil ziehen; aber mit der deutschen Literatur hat ihr Schaffen
außer dem Papier nur noch die Druckerschwärze gemeinsam. Nicht Eigennutz, aber
Kritiklosigkeit liegt dem Bestreben zugrunde, einen wirklichen Dichter, je nach seinem
Bekenntnisse, als ausschließlich zu der einen oder andern Seite gehörig hinzustellen,
ihn demgemäß über alle Vergleiche hinweg zu preisen oder mit beflissener Gleich-
giltigkeit zu ignorieren. Es ist gewiß Unrecht, wenn Katholiken Friedrich Wilhelm
Weber, den Sänger des siegreichen Christentums der Frankenzeit, den vorurteils¬
loser und unvergleichlichen Übersetzer protestantischer Ausländer, als Parteidichter
sozusagen für sich in Beschlag nehmen; größeres Unrecht noch ist es, wenn ein
zünftiger Literarhistoriker (Kirchner) diesen Mann und seine Werke von der „deutschen
Nationalliteratur des neunzehnten Jahrhunderts" ausschließt. Von den schlechthin
nationalen Dichtern, von den zu allgemeiner Schätzung gelangten Klassikern und
den einstweilen noch angefochtnen Klassikern der Zukunft möchte ich hier absehen.
Für das schöne Friedenswerk, die durch die Reformation getrennten Brüder geistig
wieder zu vereinen, kommen zunächst jene literatnrfähigen Dichter-Denker in Be¬
tracht, die, in stetem Zusammenhang mit der deutschen Kultur, die eigentümlichen
Vorzüge ihrer Heimaterde am getreuesten widerspiegeln. Mögen sie im evan¬
gelischen oder im katholischen Volkstum wurzeln, möge der eine oder der andre
Zug in ihren Werken ihr eignes Bekenntnis verraten, so sollte doch niemand bei
ihnen Tendenzen suchen, die diesen Heimatkünstlern, wie allen echten Künstlern,
fremd sind. Dem Holsteiner Storm gebührt nicht bloß am evangelischen Herde
ein Platz, sondern überall, wo man deutsche Art und Sprache schätzt, und umgekehrt
sollte man dein badischen Hansjakob nirgendwo deswegen die Tür verschließen, weil
er katholischer Pfarrer ist. Ich halte es nicht für berechtigt, bei den Katholiken
in dieser Beziehung größere Befangenheit und stärkere Vorurteile vorauszusetzen
als bei ihren andersgläubigen Mitbürgern; die Wärme, mit der man Fritz Reuters
Darbietungen in Westfalen wie am Rhein und sogar über die niederdeutsche Grenze
im Süden hinaus aufgenommen hat, widerspricht dieser Annahme.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/522>, abgerufen am 02.05.2024.