Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches liehen, dies nach außen wie etwas ganz Natürliches und Selbstverständliches hinzu¬ (Schluß folgt) Maßgebliches und Unmaßgebliches Reichsspiegel. (Rückblick auf die Generaldebatte zum Etat. Weitere Reichs¬ Acht Beratungstage hat die erste Lesung des Etats im Reichstage in Anspruch Vom Etat sprach man dabei möglichst wenig, obwohl die Kritik der eigen¬ Grenzboten I 1907 77
Maßgebliches und Unmaßgebliches liehen, dies nach außen wie etwas ganz Natürliches und Selbstverständliches hinzu¬ (Schluß folgt) Maßgebliches und Unmaßgebliches Reichsspiegel. (Rückblick auf die Generaldebatte zum Etat. Weitere Reichs¬ Acht Beratungstage hat die erste Lesung des Etats im Reichstage in Anspruch Vom Etat sprach man dabei möglichst wenig, obwohl die Kritik der eigen¬ Grenzboten I 1907 77
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0601" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/301855"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_2234" prev="#ID_2233"> liehen, dies nach außen wie etwas ganz Natürliches und Selbstverständliches hinzu¬<lb/> nehmen. Er, der selbst in den zärtlichsten Minuten niemals auch nur im entferntesten<lb/> ehrenhafte Absichten auf Wine gehabt, sie gar nicht zu heiraten beabsichtigt hatte,<lb/> ließ jetzt nicht den Schatten eines Erstaunens und kaum einen mäßigen Dank merken,<lb/> weil es ihn unklug gedünkt hätte, damit vielleicht zu verraten, daß ihm durch<lb/> Malwine Reichhardt ein gar nicht zu erwartendes Gnadengeschenk geworden war.<lb/> Hätte schon der Tänzelfritze niemals eine ihm vom Schicksal — und wäre sie noch<lb/> so beschämend unverdient gewesen — in den Schoß geworfne Frucht zurückgewiesen,<lb/> so tat das der „arme, zum Krüppel gemachte" — denn er bemitleidete sich selbst<lb/> so grenzenlos — gewiß noch weit weniger.</p><lb/> <p xml:id="ID_2235"> (Schluß folgt)</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Maßgebliches und Unmaßgebliches</head><lb/> <div n="2"> <head> Reichsspiegel.</head> <p xml:id="ID_2236"> (Rückblick auf die Generaldebatte zum Etat. Weitere Reichs¬<lb/> tagsverhandlungen. Fürst Bülow und Graf Posadowsky.)</p><lb/> <p xml:id="ID_2237"> Acht Beratungstage hat die erste Lesung des Etats im Reichstage in Anspruch<lb/> genommen. Es ist nun einmal das Schicksal dieser Generaldebatte, daß alle Ver¬<lb/> suche, sie in gewissen Schranken zu halten, in der Regel scheitern. Der parlamentarische<lb/> Gebrauch hat das Recht geheiligt, bet dieser Gelegenheit über alles zu sprechen,<lb/> was überhaupt den Gegenstand der Besprechung im Parlament bilden kann, und<lb/> darunter stehen die Eindrücke des soeben überstandnen Wahlkampfs meist obenan.<lb/> Es ist eine offenbare Zeitvergeudung und somit eine Unart, doppelt zu verurteilen,<lb/> wenn die vorschreitende Jahreszeit den Reichstag veranlassen sollte, mit den Stunden<lb/> zu geizen. Aber die Kampfstimmung und der Wetteifer der Parteien lassen immer<lb/> wieder neue Redner erstehen, deren Entsagungskraft selten so weit reicht, daß sie<lb/> ruhig gelten lassen oder gar als erschöpfend anerkennen, was ein andrer vor ihnen<lb/> gesagt hat. So gelangte die Debatte immer wieder zu demselben Punkt zurück,<lb/> den neuen Parteibeziehungen, die seit der Reichstagsauslösung vom 13. Dezember<lb/> hergestellt worden sind.</p><lb/> <p xml:id="ID_2238" next="#ID_2239"> Vom Etat sprach man dabei möglichst wenig, obwohl die Kritik der eigen¬<lb/> tümlichen Finanzverhältnisse des Reichs unendlich wichtiger gewesen wäre als die<lb/> Erörterung der Erfahrungen aus dem Wahlfeldzuge. Wieder tritt die Überlastung<lb/> der Einzelstaaten des Reichs mit ungedeckten Matrikularbeiträgen in starker Weise<lb/> hervor, ein Beweis, daß die Reichsfinanzreform zwar eine Besserung, aber keine<lb/> Heilung unsrer finanziellen Schäden im Reich herbeigeführt hat. Dabei haben die<lb/> Einnahmen für das Rechnungsjahr 1905 die Erwartungen weit übertroffen, und<lb/> auch für 1906 erwartete man ein günstiges Ergebnis. Aber die Anforderungen<lb/> an die finanzielle Leistungsfähigkeit des Reichs sind ebenfalls gestiegen. Ein Trost<lb/> liegt zwar darin, daß viele Unzuträglichkeiten in dem Zustande der Reichsfinanzen<lb/> noch aus der Vergangenheit stammen, und daß Aussicht auf allmähliche Besserung<lb/> besteht. Aber wir haben andrerseits die Erfahrung machen müssen, daß jeder<lb/> Reformversuch bisher immer den stärksten Widerständen begegnet ist, ja daß man<lb/> solche Versuche grundsätzlich mit Bestrebungen verquickt hat, die dem eigentlichen<lb/> Zweck der Reform direkt entgegenarbeiten. So hat das Zentrum seinerzeit die<lb/> Flottenvorlage mit jener Bestimmung beschwert, wonach zur Bestreitung der Kosten</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten I 1907 77</fw><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0601]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
liehen, dies nach außen wie etwas ganz Natürliches und Selbstverständliches hinzu¬
nehmen. Er, der selbst in den zärtlichsten Minuten niemals auch nur im entferntesten
ehrenhafte Absichten auf Wine gehabt, sie gar nicht zu heiraten beabsichtigt hatte,
ließ jetzt nicht den Schatten eines Erstaunens und kaum einen mäßigen Dank merken,
weil es ihn unklug gedünkt hätte, damit vielleicht zu verraten, daß ihm durch
Malwine Reichhardt ein gar nicht zu erwartendes Gnadengeschenk geworden war.
Hätte schon der Tänzelfritze niemals eine ihm vom Schicksal — und wäre sie noch
so beschämend unverdient gewesen — in den Schoß geworfne Frucht zurückgewiesen,
so tat das der „arme, zum Krüppel gemachte" — denn er bemitleidete sich selbst
so grenzenlos — gewiß noch weit weniger.
(Schluß folgt)
Maßgebliches und Unmaßgebliches
Reichsspiegel. (Rückblick auf die Generaldebatte zum Etat. Weitere Reichs¬
tagsverhandlungen. Fürst Bülow und Graf Posadowsky.)
Acht Beratungstage hat die erste Lesung des Etats im Reichstage in Anspruch
genommen. Es ist nun einmal das Schicksal dieser Generaldebatte, daß alle Ver¬
suche, sie in gewissen Schranken zu halten, in der Regel scheitern. Der parlamentarische
Gebrauch hat das Recht geheiligt, bet dieser Gelegenheit über alles zu sprechen,
was überhaupt den Gegenstand der Besprechung im Parlament bilden kann, und
darunter stehen die Eindrücke des soeben überstandnen Wahlkampfs meist obenan.
Es ist eine offenbare Zeitvergeudung und somit eine Unart, doppelt zu verurteilen,
wenn die vorschreitende Jahreszeit den Reichstag veranlassen sollte, mit den Stunden
zu geizen. Aber die Kampfstimmung und der Wetteifer der Parteien lassen immer
wieder neue Redner erstehen, deren Entsagungskraft selten so weit reicht, daß sie
ruhig gelten lassen oder gar als erschöpfend anerkennen, was ein andrer vor ihnen
gesagt hat. So gelangte die Debatte immer wieder zu demselben Punkt zurück,
den neuen Parteibeziehungen, die seit der Reichstagsauslösung vom 13. Dezember
hergestellt worden sind.
Vom Etat sprach man dabei möglichst wenig, obwohl die Kritik der eigen¬
tümlichen Finanzverhältnisse des Reichs unendlich wichtiger gewesen wäre als die
Erörterung der Erfahrungen aus dem Wahlfeldzuge. Wieder tritt die Überlastung
der Einzelstaaten des Reichs mit ungedeckten Matrikularbeiträgen in starker Weise
hervor, ein Beweis, daß die Reichsfinanzreform zwar eine Besserung, aber keine
Heilung unsrer finanziellen Schäden im Reich herbeigeführt hat. Dabei haben die
Einnahmen für das Rechnungsjahr 1905 die Erwartungen weit übertroffen, und
auch für 1906 erwartete man ein günstiges Ergebnis. Aber die Anforderungen
an die finanzielle Leistungsfähigkeit des Reichs sind ebenfalls gestiegen. Ein Trost
liegt zwar darin, daß viele Unzuträglichkeiten in dem Zustande der Reichsfinanzen
noch aus der Vergangenheit stammen, und daß Aussicht auf allmähliche Besserung
besteht. Aber wir haben andrerseits die Erfahrung machen müssen, daß jeder
Reformversuch bisher immer den stärksten Widerständen begegnet ist, ja daß man
solche Versuche grundsätzlich mit Bestrebungen verquickt hat, die dem eigentlichen
Zweck der Reform direkt entgegenarbeiten. So hat das Zentrum seinerzeit die
Flottenvorlage mit jener Bestimmung beschwert, wonach zur Bestreitung der Kosten
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