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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

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Die Beschießung von Paris

fallenden Granaten" (3. Januar) hat. Und weil der Glaube an den Erfolg eines
solchen Unternehmens trotz des Mißverhältnisses zwischen Mittel und Zweck nur
einem noch ganz unerfahrnen, aber seiner Kräfte sich schou bewußten Fähnrich,
nicht aber einem erfahrnen Führer zu verzeihen wäre, kurz, weil das Ganze
für ihn nur die Bedeutung eines "Fähnrichstreiches" hat (4. Januar), bezeichnet
er es eben als eine "kindische" Einzelnschießerei. Mithin deckt sich Blumeu-
thals "kindische Einzelnschießerei" mit Hindersins "Bombardcmentskitzel", insofern
beide Ausdrücke die von Roon gewünschte Kanonade zeichnen und verurteilen,
weil "ein vereinzeltes Auftreten von Geschützen nur von zweifelhafter Wirkung
sein könne und dazu beitragen dürfte, das moralische Element der Verteidigers
zu erhöhen".*)

Es ergibt sich demnach, daß aus dem Blumenthalschen Wort nichts mit
weniger Recht herausinterpretiert werden kann als eine Verdunkelung der Ver¬
dienste des Königs. Im Gegenteil! Blumenthal hebt, frei von Eigennutz und
Ruhmsucht, des Königs bestimmtes, zielbewußtes, allen Versuchungen trotzendes
Festhalten an dem Ergebnis der Konferenz vom 17. Dezember im Gegensatz zum
allgemeinen Wanken rühmend hervor. Nur der König bietet ihm noch die
Gewähr, daß ein fühnrichsmäßiges Verfahren verhindert wird. Darum der
tröstende Ausruf: "Es ist ein wahrer Segen, daß der König fest bleibt
und von der kindischen Einzelnschießerei und dem zwecklosen Knallen nichts
wissen will."


2

In seinem Berichte zu Poschinger, Kaiser Friedrich, Band III, Seite 23,
schreibt Blumenthal: "Um aber doch in etwas nachzugeben, befahl Seine Majestät
der König zum 17. Dezember eine Konferenz der betreffenden höhern Militärs,
um über die Bombardementsfrage zu entscheiden. Diese Konferenz, oder besser
gesagt, dieser Kriegsrat fand in der Präfektur im Arbeitszimmer Seiner Majestät
statt. Alle Offiziere sprachen sich mehr oder weniger gegen eine unzureichende
Beschießung aus, nur der Kriegsminister war dafür. Als auch ich aufgefordert
wurde, meine Ansicht auszusprechen, entwickelte ich sie so, wie sie in einem
Schreiben an General Moltke am Schluß dieser Aufzeichnungen enthalten ist,
und bemerkte dabei, daß die durchaus notwendige Munition erst in vierzehn
Tagen herangeschafft sein könnte. Als nun auch General von Moltke seine
Meinung aussprechen sollte, sagte er nur kurz: "Ich schließe mich ganz dem
an, was der General von Blumenthal soeben gesagt hat!" -- Damit war die
Konferenz beendigt, und nach einer spannenden Pause sagte Seine Majestät
ganz ruhig: "Wir brauchen uns ja heute noch nicht zu entschließen und können
es auch erst dann tun, wenn die Munition wirklich da ist."" In dem Schreiben
an Moltke, auf das Blumenthal Bezug nimmt -- bei Poschinger irrtümlich
vom 19. Dezember statt vom 21. November datiert --, gibt Blumenthal in der



*) Hindersin bei v. Müller, S. W.
Die Beschießung von Paris

fallenden Granaten" (3. Januar) hat. Und weil der Glaube an den Erfolg eines
solchen Unternehmens trotz des Mißverhältnisses zwischen Mittel und Zweck nur
einem noch ganz unerfahrnen, aber seiner Kräfte sich schou bewußten Fähnrich,
nicht aber einem erfahrnen Führer zu verzeihen wäre, kurz, weil das Ganze
für ihn nur die Bedeutung eines „Fähnrichstreiches" hat (4. Januar), bezeichnet
er es eben als eine „kindische" Einzelnschießerei. Mithin deckt sich Blumeu-
thals „kindische Einzelnschießerei" mit Hindersins „Bombardcmentskitzel", insofern
beide Ausdrücke die von Roon gewünschte Kanonade zeichnen und verurteilen,
weil „ein vereinzeltes Auftreten von Geschützen nur von zweifelhafter Wirkung
sein könne und dazu beitragen dürfte, das moralische Element der Verteidigers
zu erhöhen".*)

Es ergibt sich demnach, daß aus dem Blumenthalschen Wort nichts mit
weniger Recht herausinterpretiert werden kann als eine Verdunkelung der Ver¬
dienste des Königs. Im Gegenteil! Blumenthal hebt, frei von Eigennutz und
Ruhmsucht, des Königs bestimmtes, zielbewußtes, allen Versuchungen trotzendes
Festhalten an dem Ergebnis der Konferenz vom 17. Dezember im Gegensatz zum
allgemeinen Wanken rühmend hervor. Nur der König bietet ihm noch die
Gewähr, daß ein fühnrichsmäßiges Verfahren verhindert wird. Darum der
tröstende Ausruf: „Es ist ein wahrer Segen, daß der König fest bleibt
und von der kindischen Einzelnschießerei und dem zwecklosen Knallen nichts
wissen will."


2

In seinem Berichte zu Poschinger, Kaiser Friedrich, Band III, Seite 23,
schreibt Blumenthal: „Um aber doch in etwas nachzugeben, befahl Seine Majestät
der König zum 17. Dezember eine Konferenz der betreffenden höhern Militärs,
um über die Bombardementsfrage zu entscheiden. Diese Konferenz, oder besser
gesagt, dieser Kriegsrat fand in der Präfektur im Arbeitszimmer Seiner Majestät
statt. Alle Offiziere sprachen sich mehr oder weniger gegen eine unzureichende
Beschießung aus, nur der Kriegsminister war dafür. Als auch ich aufgefordert
wurde, meine Ansicht auszusprechen, entwickelte ich sie so, wie sie in einem
Schreiben an General Moltke am Schluß dieser Aufzeichnungen enthalten ist,
und bemerkte dabei, daß die durchaus notwendige Munition erst in vierzehn
Tagen herangeschafft sein könnte. Als nun auch General von Moltke seine
Meinung aussprechen sollte, sagte er nur kurz: »Ich schließe mich ganz dem
an, was der General von Blumenthal soeben gesagt hat!« — Damit war die
Konferenz beendigt, und nach einer spannenden Pause sagte Seine Majestät
ganz ruhig: »Wir brauchen uns ja heute noch nicht zu entschließen und können
es auch erst dann tun, wenn die Munition wirklich da ist.«" In dem Schreiben
an Moltke, auf das Blumenthal Bezug nimmt — bei Poschinger irrtümlich
vom 19. Dezember statt vom 21. November datiert —, gibt Blumenthal in der



*) Hindersin bei v. Müller, S. W.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/618>, abgerufen am 02.05.2024.