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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

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Socialdemokratie und Gericht

^vlauge i" einem Volke noch das Vertrauen zu seinen Gerichten
wohnt, die Masse des Volkes noch daran glaubt, es werde im
Staate unabhängig Recht gesprochen, so lange wird es nicht zum
gewaltsamen Umsturz kommen, denn das Gefühl der Rechtssicher¬
heit und Rechtsgleichheit ist auch für den, der wenig oder nichts
besitzt, ein zu hohes Gut, als daß er es hergeben möchte, wenn ihn auch die
Nevolutiousschnrer durch noch so glänzende Verheißungen zu ködern suchen.
In voller Erkenntnis dieser Tatsachen hat sich die Sozialdemokratie seit vielen
Jahren schon emsig und systematisch bemüht, das Vertrauen der breiten Volks¬
massen zu den Gerichten zu untergraben. Sie hat dabei die bei uns bestehenden
Garantien für die richterliche Unabhängigkeit, für eine nur nach Recht und
Gesetz fragende Rechtsprechung teilweise überhaupt verschwiegen, teilweise diese
Garantien als bloß auf dem Papier stehend hingestellt. Auf der andern Seite
hat sie einzelne ihr geeignet erscheinende Rechtsfülle aus der großen Zahl der
tagtäglich ergehenden Entscheidungen herausgegriffen und an ihnen zu beweisen
versucht, daß Willkür herrsche, daß vor Gericht die Kleinen bedrückt, die Großen
begünstigt würden. Sie hat es sich dabei ungemein leicht gemacht, indem sie
das einfache, nur freilich auch recht gewissenlose Rezept befolgte, jedem, der
sich mit Klagen über solche angebliche Bedrückung an sie wandte, sofort bei¬
zupflichten. Nun gibt es immer eine sehr große Zahl solcher Leute, die glauben,
es sei ihnen Unrecht geschehen, natürlich in jedem Staatswesen, mögen seine
Einrichtungen noch so gut sein. Der oberste Satz unsrer Rechtspflege: Niemand
kann in eigner Sache Richter sein, gründet sich auf die alte Erfahrung, daß
der Wunsch, selbst im Recht zu stehen, den Einzelnen meist unfähig macht,
unbefangen den eignen Standpunkt und den des Gegners abzuwägen. Diese
einfache Wahrheit wird von der Sozialdemokratie mit vollem Bewußtsein außer
acht gelassen, es wird jedem wirtschaftlich Schwachen, der sich durch einen
Richterspruch benachteiligt meint, ohne Prüfung des Sachverhalts Recht gegeben
und ihm gesagt, daß er nicht Recht bekomme, liege nur daran, daß wieder


Krenzvoien N 1W7 8


Socialdemokratie und Gericht

^vlauge i» einem Volke noch das Vertrauen zu seinen Gerichten
wohnt, die Masse des Volkes noch daran glaubt, es werde im
Staate unabhängig Recht gesprochen, so lange wird es nicht zum
gewaltsamen Umsturz kommen, denn das Gefühl der Rechtssicher¬
heit und Rechtsgleichheit ist auch für den, der wenig oder nichts
besitzt, ein zu hohes Gut, als daß er es hergeben möchte, wenn ihn auch die
Nevolutiousschnrer durch noch so glänzende Verheißungen zu ködern suchen.
In voller Erkenntnis dieser Tatsachen hat sich die Sozialdemokratie seit vielen
Jahren schon emsig und systematisch bemüht, das Vertrauen der breiten Volks¬
massen zu den Gerichten zu untergraben. Sie hat dabei die bei uns bestehenden
Garantien für die richterliche Unabhängigkeit, für eine nur nach Recht und
Gesetz fragende Rechtsprechung teilweise überhaupt verschwiegen, teilweise diese
Garantien als bloß auf dem Papier stehend hingestellt. Auf der andern Seite
hat sie einzelne ihr geeignet erscheinende Rechtsfülle aus der großen Zahl der
tagtäglich ergehenden Entscheidungen herausgegriffen und an ihnen zu beweisen
versucht, daß Willkür herrsche, daß vor Gericht die Kleinen bedrückt, die Großen
begünstigt würden. Sie hat es sich dabei ungemein leicht gemacht, indem sie
das einfache, nur freilich auch recht gewissenlose Rezept befolgte, jedem, der
sich mit Klagen über solche angebliche Bedrückung an sie wandte, sofort bei¬
zupflichten. Nun gibt es immer eine sehr große Zahl solcher Leute, die glauben,
es sei ihnen Unrecht geschehen, natürlich in jedem Staatswesen, mögen seine
Einrichtungen noch so gut sein. Der oberste Satz unsrer Rechtspflege: Niemand
kann in eigner Sache Richter sein, gründet sich auf die alte Erfahrung, daß
der Wunsch, selbst im Recht zu stehen, den Einzelnen meist unfähig macht,
unbefangen den eignen Standpunkt und den des Gegners abzuwägen. Diese
einfache Wahrheit wird von der Sozialdemokratie mit vollem Bewußtsein außer
acht gelassen, es wird jedem wirtschaftlich Schwachen, der sich durch einen
Richterspruch benachteiligt meint, ohne Prüfung des Sachverhalts Recht gegeben
und ihm gesagt, daß er nicht Recht bekomme, liege nur daran, daß wieder


Krenzvoien N 1W7 8
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/65>, abgerufen am 03.05.2024.