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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

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Hemmungen des Fortschritts in (Lhina
Gelo Lorbach vonin

>nur alles wahr wäre, was seit Jahren, in besondrer Fülle nach
dem russisch-japanischen Kriege, über chinesische Reformen verlautet
ist, dann müßte es im Lande des Zopfes heute schon in mancher
Hinsicht europäischer zugehen und aussehen als in Europa. Wenig
! erfährt man dagegen von den Hemmungen, die es in China für
den Fortschritt an und für sich und erst recht für eine Umwälzung in unserm
Sinne gibt. Will man aber die Aussichten der chinesischen Reformbewegung
richtig beurteilen, so muß man die Schwierigkeiten kennen lernen, die überwunden
werden müssen.

Japan kann nicht als Beispiel dafür gelten, wie rasch auch China um¬
zugestalten sei. In hurtiger Form finden wir die Gründe hierfür in Richt-
hofens Werk über China zusammengefaßt: "Gänzlich unfähig, wie es scheint,
aus sich selbst eine eigne Kultur zu schaffen, heißt es dort, sogen die Japaner
mit vollen Zügen ein, was China ihnen bot, als sie zuerst mit dem große"
Nachbarn bekannt wurden. Aber ihr Charakter machte sie zu ungeeigneten Trägern
dessen, was sie aufnahmen. Die chinesische Kultur war für sie ein Gewand, das
ihnen nicht paßte, und nach dein sie nur in Ermangelung eines bessern griffen.
Nie verwuchsen sie harmonisch mit ihr-- Als daher den Japanern zum ersten¬
mal die europäische Kultur mit ihrer Freiheit und Mannigfaltigkeit dargeboten
wurde, erkannten sie sofort ihren höhern Standpunkt an, warfen ohne weiteres
ein Gewand ab, das ihnen nicht paßte, und stürzten sich mit Lebhaftigkeit einer
Zivilisation in die Arme, deren sittliche Höhe sie zwar noch nicht fassen konnten,
die aber ihrem Charakter und ihren Fähigkeiten viel besser entspricht als die
chinesische. Eine radikale Umgestaltung ähnlicher Art kann sich bei den Chinesen,
wenn sie überhaupt möglich sein sollte, nur im Verlaufe langer Zeiten vollziehen."

Die Lobredner Chinas, und dazu gehören die meisten Sinologen, wollen
es freilich nicht einsehen, daß die chinesische Kulturform schwerlich mit europäischen
Reformen in Einklang zu bringen ist. Sie hegen für diese Zivilisation eine


Grenzboten II 1907 1


Hemmungen des Fortschritts in (Lhina
Gelo Lorbach vonin

>nur alles wahr wäre, was seit Jahren, in besondrer Fülle nach
dem russisch-japanischen Kriege, über chinesische Reformen verlautet
ist, dann müßte es im Lande des Zopfes heute schon in mancher
Hinsicht europäischer zugehen und aussehen als in Europa. Wenig
! erfährt man dagegen von den Hemmungen, die es in China für
den Fortschritt an und für sich und erst recht für eine Umwälzung in unserm
Sinne gibt. Will man aber die Aussichten der chinesischen Reformbewegung
richtig beurteilen, so muß man die Schwierigkeiten kennen lernen, die überwunden
werden müssen.

Japan kann nicht als Beispiel dafür gelten, wie rasch auch China um¬
zugestalten sei. In hurtiger Form finden wir die Gründe hierfür in Richt-
hofens Werk über China zusammengefaßt: „Gänzlich unfähig, wie es scheint,
aus sich selbst eine eigne Kultur zu schaffen, heißt es dort, sogen die Japaner
mit vollen Zügen ein, was China ihnen bot, als sie zuerst mit dem große»
Nachbarn bekannt wurden. Aber ihr Charakter machte sie zu ungeeigneten Trägern
dessen, was sie aufnahmen. Die chinesische Kultur war für sie ein Gewand, das
ihnen nicht paßte, und nach dein sie nur in Ermangelung eines bessern griffen.
Nie verwuchsen sie harmonisch mit ihr— Als daher den Japanern zum ersten¬
mal die europäische Kultur mit ihrer Freiheit und Mannigfaltigkeit dargeboten
wurde, erkannten sie sofort ihren höhern Standpunkt an, warfen ohne weiteres
ein Gewand ab, das ihnen nicht paßte, und stürzten sich mit Lebhaftigkeit einer
Zivilisation in die Arme, deren sittliche Höhe sie zwar noch nicht fassen konnten,
die aber ihrem Charakter und ihren Fähigkeiten viel besser entspricht als die
chinesische. Eine radikale Umgestaltung ähnlicher Art kann sich bei den Chinesen,
wenn sie überhaupt möglich sein sollte, nur im Verlaufe langer Zeiten vollziehen."

Die Lobredner Chinas, und dazu gehören die meisten Sinologen, wollen
es freilich nicht einsehen, daß die chinesische Kulturform schwerlich mit europäischen
Reformen in Einklang zu bringen ist. Sie hegen für diese Zivilisation eine


Grenzboten II 1907 1
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[0009] [Abbildung] Hemmungen des Fortschritts in (Lhina Gelo Lorbach vonin >nur alles wahr wäre, was seit Jahren, in besondrer Fülle nach dem russisch-japanischen Kriege, über chinesische Reformen verlautet ist, dann müßte es im Lande des Zopfes heute schon in mancher Hinsicht europäischer zugehen und aussehen als in Europa. Wenig ! erfährt man dagegen von den Hemmungen, die es in China für den Fortschritt an und für sich und erst recht für eine Umwälzung in unserm Sinne gibt. Will man aber die Aussichten der chinesischen Reformbewegung richtig beurteilen, so muß man die Schwierigkeiten kennen lernen, die überwunden werden müssen. Japan kann nicht als Beispiel dafür gelten, wie rasch auch China um¬ zugestalten sei. In hurtiger Form finden wir die Gründe hierfür in Richt- hofens Werk über China zusammengefaßt: „Gänzlich unfähig, wie es scheint, aus sich selbst eine eigne Kultur zu schaffen, heißt es dort, sogen die Japaner mit vollen Zügen ein, was China ihnen bot, als sie zuerst mit dem große» Nachbarn bekannt wurden. Aber ihr Charakter machte sie zu ungeeigneten Trägern dessen, was sie aufnahmen. Die chinesische Kultur war für sie ein Gewand, das ihnen nicht paßte, und nach dein sie nur in Ermangelung eines bessern griffen. Nie verwuchsen sie harmonisch mit ihr— Als daher den Japanern zum ersten¬ mal die europäische Kultur mit ihrer Freiheit und Mannigfaltigkeit dargeboten wurde, erkannten sie sofort ihren höhern Standpunkt an, warfen ohne weiteres ein Gewand ab, das ihnen nicht paßte, und stürzten sich mit Lebhaftigkeit einer Zivilisation in die Arme, deren sittliche Höhe sie zwar noch nicht fassen konnten, die aber ihrem Charakter und ihren Fähigkeiten viel besser entspricht als die chinesische. Eine radikale Umgestaltung ähnlicher Art kann sich bei den Chinesen, wenn sie überhaupt möglich sein sollte, nur im Verlaufe langer Zeiten vollziehen." Die Lobredner Chinas, und dazu gehören die meisten Sinologen, wollen es freilich nicht einsehen, daß die chinesische Kulturform schwerlich mit europäischen Reformen in Einklang zu bringen ist. Sie hegen für diese Zivilisation eine Grenzboten II 1907 1

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/9>, abgerufen am 02.05.2024.