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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Der Prediger in Nöten

Der Welt zu trotzen hätte das Deutschtum aber weder früher noch jetzt
in der Gegenwart vermocht, wenn es als Gesamtheit in der Rüstkammer
seiner Qualitäten nicht doch immer alle die Fähigkeiten vereint hätte, die sich
im einzelnen auszuschließen scheinen und befehden. Aber mögen sie sich auch
feindlich zueinander stellen, ein Glück ist es, daß sie da sind. Auch als
Gegner werden sie ihr Gutes stiften nach dem Heraklitischen Satz: Der Kampf
ist der Vater von allem. Wer weiß, wieviel wir diesem Kampfe schon ver¬
danken. Aber der Kampf selber gehört nicht mehr zur Aufgabe dieser Aus¬
einandersetzungen. Also schließen sie hiermit.




Der Prediger in Nöten
Thomas Hardy von(Schluß)
7. Wie sie zum Warm'elk Areuz gingen, und was sich später ereignete

> ni die Waren noch an demselben Abend nach Budmouth gebracht
werden mußten, war der Zollbeamten nächste Aufgabe, Pferde und
Wagen für den Transport zu finden; zu diesem Zweck gingen sie im
I Dorf auf die Suche. Latiner stelzte mit einem Stück Kreide in der
Hand hin und her und malte mit solchem Eifer Pfeilspitzen auf jedes
Fuhrwerk oder Geschirr, das ihm in die Quere kam, daß es schien,
als wenn er sogar die Zäune und Straßen antreiben wollte. Der Eigentümer jedes
so gezeichneten Gefährtes war verpflichtet, es zu Regierungszwecken abzutreten.

Stockdale, des Treibens überdrüssig, ging nachdenklich und niedergeschlagen
ins Haus. Er fand Lizzy, die zur Hintertür hineingekommen war, schon vor, ob¬
gleich sie noch nicht den Hut abgenommen hatte. Sie sah müde aus, und ihre
Stimmung war nicht viel froher als die seine. Sie hatten sich nur wenig zu
sagen. Der Prediger ging davon und versuchte zu lesen; da ihm dies aber nicht
gelingen wollte, klingelte er nach Tee.

Lizzy brachte selbst das Tablett hinein, denn das Kind war am Nachmittag
ins Dorf gelaufen, zu aufgeregt über die letzten Vorfälle, als daß es an seine
Pflichten hätte denken können. Ehe jedoch die betrübten Liebenden ein Wörtchen
miteinander gesprochen hatten, kam Mnrtha überhitzt herein.

O, solch ein Lärm! Frau Newberry und Herr Stockdale! Die königliche Zoll¬
wache kann mit den Wagen gnr nicht zurechtkommen! Sie haben Thomas Ballams
und Wilhelm Rogers und Stephen Sprakes Wagen auf die Straße geschoben, und
da sind die Räder abgegangen und die Wagen zusammengefallen. Und da waren
keine Vorstecker an den Achsen! Dann versuchten sich mit Samuel Shcmes Wagen,
aber von dem waren die Schrauben weg, und als sie dem Milchmann seinen
Wagen holten, hatte der auch keine! Nun sind sie hin nach der Schmiede, um
welche machen zu lassen, aber der Schmied ist nirgends zu finden!

Stockdale sah Lizzy an, die ein klein wenig rot wurde und das Zimmer
verließ. Martha Sara folgte ihr. Ehe sie aber bis an das Ende des Ganges
gekommen waren, klopfte es an der Vordertür, und Stockdale erkannte Latimers
Stimme. Er sprach zu Frau Newberry, die umgekehrt war.


Der Prediger in Nöten

Der Welt zu trotzen hätte das Deutschtum aber weder früher noch jetzt
in der Gegenwart vermocht, wenn es als Gesamtheit in der Rüstkammer
seiner Qualitäten nicht doch immer alle die Fähigkeiten vereint hätte, die sich
im einzelnen auszuschließen scheinen und befehden. Aber mögen sie sich auch
feindlich zueinander stellen, ein Glück ist es, daß sie da sind. Auch als
Gegner werden sie ihr Gutes stiften nach dem Heraklitischen Satz: Der Kampf
ist der Vater von allem. Wer weiß, wieviel wir diesem Kampfe schon ver¬
danken. Aber der Kampf selber gehört nicht mehr zur Aufgabe dieser Aus¬
einandersetzungen. Also schließen sie hiermit.




Der Prediger in Nöten
Thomas Hardy von(Schluß)
7. Wie sie zum Warm'elk Areuz gingen, und was sich später ereignete

> ni die Waren noch an demselben Abend nach Budmouth gebracht
werden mußten, war der Zollbeamten nächste Aufgabe, Pferde und
Wagen für den Transport zu finden; zu diesem Zweck gingen sie im
I Dorf auf die Suche. Latiner stelzte mit einem Stück Kreide in der
Hand hin und her und malte mit solchem Eifer Pfeilspitzen auf jedes
Fuhrwerk oder Geschirr, das ihm in die Quere kam, daß es schien,
als wenn er sogar die Zäune und Straßen antreiben wollte. Der Eigentümer jedes
so gezeichneten Gefährtes war verpflichtet, es zu Regierungszwecken abzutreten.

Stockdale, des Treibens überdrüssig, ging nachdenklich und niedergeschlagen
ins Haus. Er fand Lizzy, die zur Hintertür hineingekommen war, schon vor, ob¬
gleich sie noch nicht den Hut abgenommen hatte. Sie sah müde aus, und ihre
Stimmung war nicht viel froher als die seine. Sie hatten sich nur wenig zu
sagen. Der Prediger ging davon und versuchte zu lesen; da ihm dies aber nicht
gelingen wollte, klingelte er nach Tee.

Lizzy brachte selbst das Tablett hinein, denn das Kind war am Nachmittag
ins Dorf gelaufen, zu aufgeregt über die letzten Vorfälle, als daß es an seine
Pflichten hätte denken können. Ehe jedoch die betrübten Liebenden ein Wörtchen
miteinander gesprochen hatten, kam Mnrtha überhitzt herein.

O, solch ein Lärm! Frau Newberry und Herr Stockdale! Die königliche Zoll¬
wache kann mit den Wagen gnr nicht zurechtkommen! Sie haben Thomas Ballams
und Wilhelm Rogers und Stephen Sprakes Wagen auf die Straße geschoben, und
da sind die Räder abgegangen und die Wagen zusammengefallen. Und da waren
keine Vorstecker an den Achsen! Dann versuchten sich mit Samuel Shcmes Wagen,
aber von dem waren die Schrauben weg, und als sie dem Milchmann seinen
Wagen holten, hatte der auch keine! Nun sind sie hin nach der Schmiede, um
welche machen zu lassen, aber der Schmied ist nirgends zu finden!

Stockdale sah Lizzy an, die ein klein wenig rot wurde und das Zimmer
verließ. Martha Sara folgte ihr. Ehe sie aber bis an das Ende des Ganges
gekommen waren, klopfte es an der Vordertür, und Stockdale erkannte Latimers
Stimme. Er sprach zu Frau Newberry, die umgekehrt war.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/266>, abgerufen am 29.04.2024.