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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Montenegro und das dalmatische Küstenland
A. Lingke vonin

>le Bocche von Ccittarv sind eine umfängliche, in das Land hinein
sich erstreckende, vielfach geweitete Bucht, viermal so groß als der
Vierwaldstätter See, und an ihren Ufern umsäumt von zahlreichen
Ortschaften und Burgen, einstigen Zeugen gewaltiger Kriegszüge
^ und mannhafter Verteidigung, da Türken, Russen, Franzosen und
! Österreicher abwechselnd um den Besitz der Bocche kämpften. In
der ersten Bucht von Topla liegt von größern Ortschaften Castelnnovo mit alten
Mauern und Forts vor uns. Wir fahren am östlichen Ufer der Halbinsel
Lustica (I^ustioa,) hin, deren mäßig hohe Berglehnen bis zur Höhe mit frischem
Grün, aus dem hier und da auch ein Kirchlein herausschaue, bedeckt sind, während
am jenseitigen Ufer über die grünen Gelände der Monte Dobrastiza (vobrZWK)
als nackte Felsspitze emporragt. Näher treten die Küsten zusammen, und wir
gelangen durch den Kanal von Kombur in die große Bai von Tevdo. Vor
Biskuca liegt regungslos ein Geschwader von fünf österreichischen Kriegsschiffen,
in gleichmäßigen Abständen parallel zueinander verankert. Unsre Ceres steuert
wieder nördlich durch den engen Kanal, die sogenannte Catene (Ketten), da hier
früher die Einfahrt in die innere Bocche durch Ketten abgesperrt wurde.

Die Landschaft ist überreich an Naturschönheiten, und das Auge vermag
die vielen neuen und überraschenden Bilder kaum zu fassen. Zur Linken die
Bucht von Morinje und das Becken von Risano mit einer großartigen Gebirgs-
welt, der durch den Aufstand übelberüchtigten Krivoscije, im Hintergrunde,
deren kahle, von der Sonne gebleichte Vergknppen jetzt durch kleine Forts ge¬
krönt sind. Keinesfalls eine beneidenswerte Garnison, diese hundert Mann
mit einem Offizier, die im Sommer ziemlich, im Winter gänzlich von allem
Verkehr abgeschnitten sind, während die Bora den ganzen kleinen Ameisenhaufen
aus seiner Höhe von etwa tausend Metern wegzufegen droht. Vor uns liegen
zwei winzige Jnselchen: San Giorgio mit einem alten Kloster und Madonna
dello Scalpello mit einer vielbesuchten Wallfahrtskirche, dahinter Perasto mit der
alten Bergfestung Santa Croce darüber. Endlich gegen vier Uhr Nachmittags
kommt am äußersten Ende, nachdem wir in den eigentlichen herrlichen weiten
Golf von Cattaro eingelaufen sind und Stvlivo, Perzagno und Dobrota mit
ihren alten Marmorpalüsten passiert haben, unser heutiges Ziel Cattaro in
Sicht. Der erste Anblick ist überraschend. Der Reisende hat die belebte Riva
vor sich, die landeinwärts von der Stadtmauer eingefaßt ist. Während man
von der Stadt selbst fast nichts sieht, türmen sich hinter ihr gewaltige Berg¬
massen empor, die langersehnte Czernagora, die schwarzen Berge von Monte¬
negro, an deren Felsrändern die zweiundsiebzig Serpentinen der Straße Cattaro-
Cetuije emporkriechen, und -- oft über schwindelnden Abgründen -- die Be¬
festigungen des Forts S. Giovanni hängen.

Boot an Boot fliegt zu uns heran, die Riva wimmelt von Menschen,
und bald begrüßen uns die Zivil- und Militärbehörden von Cattaro an Bord.




Montenegro und das dalmatische Küstenland
A. Lingke vonin

>le Bocche von Ccittarv sind eine umfängliche, in das Land hinein
sich erstreckende, vielfach geweitete Bucht, viermal so groß als der
Vierwaldstätter See, und an ihren Ufern umsäumt von zahlreichen
Ortschaften und Burgen, einstigen Zeugen gewaltiger Kriegszüge
^ und mannhafter Verteidigung, da Türken, Russen, Franzosen und
! Österreicher abwechselnd um den Besitz der Bocche kämpften. In
der ersten Bucht von Topla liegt von größern Ortschaften Castelnnovo mit alten
Mauern und Forts vor uns. Wir fahren am östlichen Ufer der Halbinsel
Lustica (I^ustioa,) hin, deren mäßig hohe Berglehnen bis zur Höhe mit frischem
Grün, aus dem hier und da auch ein Kirchlein herausschaue, bedeckt sind, während
am jenseitigen Ufer über die grünen Gelände der Monte Dobrastiza (vobrZWK)
als nackte Felsspitze emporragt. Näher treten die Küsten zusammen, und wir
gelangen durch den Kanal von Kombur in die große Bai von Tevdo. Vor
Biskuca liegt regungslos ein Geschwader von fünf österreichischen Kriegsschiffen,
in gleichmäßigen Abständen parallel zueinander verankert. Unsre Ceres steuert
wieder nördlich durch den engen Kanal, die sogenannte Catene (Ketten), da hier
früher die Einfahrt in die innere Bocche durch Ketten abgesperrt wurde.

Die Landschaft ist überreich an Naturschönheiten, und das Auge vermag
die vielen neuen und überraschenden Bilder kaum zu fassen. Zur Linken die
Bucht von Morinje und das Becken von Risano mit einer großartigen Gebirgs-
welt, der durch den Aufstand übelberüchtigten Krivoscije, im Hintergrunde,
deren kahle, von der Sonne gebleichte Vergknppen jetzt durch kleine Forts ge¬
krönt sind. Keinesfalls eine beneidenswerte Garnison, diese hundert Mann
mit einem Offizier, die im Sommer ziemlich, im Winter gänzlich von allem
Verkehr abgeschnitten sind, während die Bora den ganzen kleinen Ameisenhaufen
aus seiner Höhe von etwa tausend Metern wegzufegen droht. Vor uns liegen
zwei winzige Jnselchen: San Giorgio mit einem alten Kloster und Madonna
dello Scalpello mit einer vielbesuchten Wallfahrtskirche, dahinter Perasto mit der
alten Bergfestung Santa Croce darüber. Endlich gegen vier Uhr Nachmittags
kommt am äußersten Ende, nachdem wir in den eigentlichen herrlichen weiten
Golf von Cattaro eingelaufen sind und Stvlivo, Perzagno und Dobrota mit
ihren alten Marmorpalüsten passiert haben, unser heutiges Ziel Cattaro in
Sicht. Der erste Anblick ist überraschend. Der Reisende hat die belebte Riva
vor sich, die landeinwärts von der Stadtmauer eingefaßt ist. Während man
von der Stadt selbst fast nichts sieht, türmen sich hinter ihr gewaltige Berg¬
massen empor, die langersehnte Czernagora, die schwarzen Berge von Monte¬
negro, an deren Felsrändern die zweiundsiebzig Serpentinen der Straße Cattaro-
Cetuije emporkriechen, und — oft über schwindelnden Abgründen — die Be¬
festigungen des Forts S. Giovanni hängen.

Boot an Boot fliegt zu uns heran, die Riva wimmelt von Menschen,
und bald begrüßen uns die Zivil- und Militärbehörden von Cattaro an Bord.


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[0039] [Abbildung] Montenegro und das dalmatische Küstenland A. Lingke vonin >le Bocche von Ccittarv sind eine umfängliche, in das Land hinein sich erstreckende, vielfach geweitete Bucht, viermal so groß als der Vierwaldstätter See, und an ihren Ufern umsäumt von zahlreichen Ortschaften und Burgen, einstigen Zeugen gewaltiger Kriegszüge ^ und mannhafter Verteidigung, da Türken, Russen, Franzosen und ! Österreicher abwechselnd um den Besitz der Bocche kämpften. In der ersten Bucht von Topla liegt von größern Ortschaften Castelnnovo mit alten Mauern und Forts vor uns. Wir fahren am östlichen Ufer der Halbinsel Lustica (I^ustioa,) hin, deren mäßig hohe Berglehnen bis zur Höhe mit frischem Grün, aus dem hier und da auch ein Kirchlein herausschaue, bedeckt sind, während am jenseitigen Ufer über die grünen Gelände der Monte Dobrastiza (vobrZWK) als nackte Felsspitze emporragt. Näher treten die Küsten zusammen, und wir gelangen durch den Kanal von Kombur in die große Bai von Tevdo. Vor Biskuca liegt regungslos ein Geschwader von fünf österreichischen Kriegsschiffen, in gleichmäßigen Abständen parallel zueinander verankert. Unsre Ceres steuert wieder nördlich durch den engen Kanal, die sogenannte Catene (Ketten), da hier früher die Einfahrt in die innere Bocche durch Ketten abgesperrt wurde. Die Landschaft ist überreich an Naturschönheiten, und das Auge vermag die vielen neuen und überraschenden Bilder kaum zu fassen. Zur Linken die Bucht von Morinje und das Becken von Risano mit einer großartigen Gebirgs- welt, der durch den Aufstand übelberüchtigten Krivoscije, im Hintergrunde, deren kahle, von der Sonne gebleichte Vergknppen jetzt durch kleine Forts ge¬ krönt sind. Keinesfalls eine beneidenswerte Garnison, diese hundert Mann mit einem Offizier, die im Sommer ziemlich, im Winter gänzlich von allem Verkehr abgeschnitten sind, während die Bora den ganzen kleinen Ameisenhaufen aus seiner Höhe von etwa tausend Metern wegzufegen droht. Vor uns liegen zwei winzige Jnselchen: San Giorgio mit einem alten Kloster und Madonna dello Scalpello mit einer vielbesuchten Wallfahrtskirche, dahinter Perasto mit der alten Bergfestung Santa Croce darüber. Endlich gegen vier Uhr Nachmittags kommt am äußersten Ende, nachdem wir in den eigentlichen herrlichen weiten Golf von Cattaro eingelaufen sind und Stvlivo, Perzagno und Dobrota mit ihren alten Marmorpalüsten passiert haben, unser heutiges Ziel Cattaro in Sicht. Der erste Anblick ist überraschend. Der Reisende hat die belebte Riva vor sich, die landeinwärts von der Stadtmauer eingefaßt ist. Während man von der Stadt selbst fast nichts sieht, türmen sich hinter ihr gewaltige Berg¬ massen empor, die langersehnte Czernagora, die schwarzen Berge von Monte¬ negro, an deren Felsrändern die zweiundsiebzig Serpentinen der Straße Cattaro- Cetuije emporkriechen, und — oft über schwindelnden Abgründen — die Be¬ festigungen des Forts S. Giovanni hängen. Boot an Boot fliegt zu uns heran, die Riva wimmelt von Menschen, und bald begrüßen uns die Zivil- und Militärbehörden von Cattaro an Bord.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/39>, abgerufen am 28.04.2024.