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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Aus dem Lager der Gegner Goethes

!s ist Wohl an der Zeit, die Äußerungen der Zeitgenossen Goethes,
denen sein Wesen nicht gefiel, rein objektiv im Dienst der Wahr¬
heit, also ohne jede vorgefaßte Meinung zu prüfen. Man braucht
bei solcher Untersuchung nicht zu fürchten, deshalb selbst zu
I Goethes Gegnern gerechnet zu werden: bei dem Lichte pflegt
ja der Schatten nicht zu fehlen. Es empfiehlt sich der Versuch, die Wurzeln
der Goethefeindschaft bloßzulegen.

Aus dem literarischen Nachlaß Joh. Gottfried Grubers, der nach einer
langen segensreichen akademischen Wirksamkeit 1851 als Geheimer Hofrat und
ordentlicher Professor zu Halle gestorben ist, stehen mir, dnrch die Güte des
Herrn Direktors Gruber in Schivelbein, vereinzelte Briefe zur Verfügung, aus
denen sich einige Beiträge zur Geschichte der Goetheopposition gewinnen lassen.

I. G. Gruber, seit 1803 Privatdozent in Jena, trat dort in nahe Be¬
ziehungen zu dem Direktor der Allgemeinen Literaturzeitung, Professor
Chr. Gottfried Schütz, und zu dessen Sohne Friedrich Karl Julius, der sich,
obwohl fünf Jahre jünger, schon 1800 in derselben Fakultät als Privatdozent
habilitiert hatte. Am 19. März 1803 wagte es der junge Schütz, im Weimarer
Schauspielhaus nach der Aufführung der Braut von Messina ein Hoch auf
Schiller auszubringen. Zwei Tage später erteilte Goethe auf besondern Befehl
Serenissimi dem Herrn von Hendrich den Auftrag, "daß dieselben gedachten
Doctor Schütz vor sich kommen lassen, um von ihm zu vernehmen, wie er
als ein Eingeborner, dem die Sitten des hiesigen Schauspielhauses bekannt
sein mußten, sich eine solche Unregelmäßigkeit habe erlauben können? wobey
Sie ihm Serenissimi Mißfallen und eine bedrohliche Weisung für künftige Fälle
auf das nachdrücklichste werden zu erkennen geben". Das war eine arge De¬
mütigung für den selbstbewußten Privatdozenten, der schon auf eine Professur
hoffen mochte. Goethe beruhigte sich damit aber noch nicht, er gab in einer
Nachschrift von Hendrich den weitern Auftrag: "im Namen Serenissimi Herrn
Hofrat Schütz zu erkennen zu geben: Höchstdieselben hätten sich von ihm ver¬
sprochen, daß sein Sohn besser gezogen sein würde".

Ob das Vivat eine Vorgeschichte hatte, die das überstrenge Vorgehen
Goethes herausgefordert hat, läßt sich nicht feststellen. Jedenfalls bestimmten
die Nasen, die Vater und Sohn erhalten hatten, den Vater, einen ehrenvollen
Ruf nach Halle anzunehmen und die Allgemeine Literaturzeitung zum Schaden


Grenzboten III 1907 S2


Aus dem Lager der Gegner Goethes

!s ist Wohl an der Zeit, die Äußerungen der Zeitgenossen Goethes,
denen sein Wesen nicht gefiel, rein objektiv im Dienst der Wahr¬
heit, also ohne jede vorgefaßte Meinung zu prüfen. Man braucht
bei solcher Untersuchung nicht zu fürchten, deshalb selbst zu
I Goethes Gegnern gerechnet zu werden: bei dem Lichte pflegt
ja der Schatten nicht zu fehlen. Es empfiehlt sich der Versuch, die Wurzeln
der Goethefeindschaft bloßzulegen.

Aus dem literarischen Nachlaß Joh. Gottfried Grubers, der nach einer
langen segensreichen akademischen Wirksamkeit 1851 als Geheimer Hofrat und
ordentlicher Professor zu Halle gestorben ist, stehen mir, dnrch die Güte des
Herrn Direktors Gruber in Schivelbein, vereinzelte Briefe zur Verfügung, aus
denen sich einige Beiträge zur Geschichte der Goetheopposition gewinnen lassen.

I. G. Gruber, seit 1803 Privatdozent in Jena, trat dort in nahe Be¬
ziehungen zu dem Direktor der Allgemeinen Literaturzeitung, Professor
Chr. Gottfried Schütz, und zu dessen Sohne Friedrich Karl Julius, der sich,
obwohl fünf Jahre jünger, schon 1800 in derselben Fakultät als Privatdozent
habilitiert hatte. Am 19. März 1803 wagte es der junge Schütz, im Weimarer
Schauspielhaus nach der Aufführung der Braut von Messina ein Hoch auf
Schiller auszubringen. Zwei Tage später erteilte Goethe auf besondern Befehl
Serenissimi dem Herrn von Hendrich den Auftrag, „daß dieselben gedachten
Doctor Schütz vor sich kommen lassen, um von ihm zu vernehmen, wie er
als ein Eingeborner, dem die Sitten des hiesigen Schauspielhauses bekannt
sein mußten, sich eine solche Unregelmäßigkeit habe erlauben können? wobey
Sie ihm Serenissimi Mißfallen und eine bedrohliche Weisung für künftige Fälle
auf das nachdrücklichste werden zu erkennen geben". Das war eine arge De¬
mütigung für den selbstbewußten Privatdozenten, der schon auf eine Professur
hoffen mochte. Goethe beruhigte sich damit aber noch nicht, er gab in einer
Nachschrift von Hendrich den weitern Auftrag: „im Namen Serenissimi Herrn
Hofrat Schütz zu erkennen zu geben: Höchstdieselben hätten sich von ihm ver¬
sprochen, daß sein Sohn besser gezogen sein würde".

Ob das Vivat eine Vorgeschichte hatte, die das überstrenge Vorgehen
Goethes herausgefordert hat, läßt sich nicht feststellen. Jedenfalls bestimmten
die Nasen, die Vater und Sohn erhalten hatten, den Vater, einen ehrenvollen
Ruf nach Halle anzunehmen und die Allgemeine Literaturzeitung zum Schaden


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/401>, abgerufen am 28.04.2024.