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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Konfession und Wirtschaftsleben

Alexander der Erste gab die dem Adel durch seinen Vorgänger genommnen
Rechte wieder, der Adel aber blieb dennoch, was er war, kein Stand, sondern
eine bunt zusammengewürfelte Gesellschaft von Stellenjägern im Staatsdienst.

Die Entwicklung des Adels unter Nikolaus dem Ersten bot keine Ab¬
weichungen von der frühern. Alle Versuche des Monarchen, den Adel boden¬
ständig zu machen, scheiterten an dessen Indolenz. Das Beamtentum spielte
die erste Rolle im Staate und wurde allmächtig.

In den sechziger Jahren gab es tatsächlich keinen russischen Adelsstand,
sondern nur ein als Adel bezeichnetes bureaukratisches Gefüge, in dem drei
einander feindlich gesinnte Gruppen der Gesellschaft mechanisch vereinigt waren:
das Beamtentum, der Großgrundbesitz und die Intelligenz, alle drei durchsetzt,
ergänzt, beeinflußt von starken Elementen, die aus der Bauern- und Kaufmann--
schaft zu thuen übergetreten waren.




Konfession und Wirtschaftsleben
2

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W-MMK^protestantische Autoren pflegen Thomas zu beschuldige", daß er
den Kommunismus für naturrechtlich geboten erkläre. In Wirk¬
lichkeit tut er gerade das Gegenteil. Im Anschluß an Aristoteles
erklärt er das Privateigentum aus drei Gründen für notwendig.
I I. Weil ohne solches ein wichtiger Antrieb zur Arbeit fehlen
würde. "Ein jeder ist mehr besorgt um das, was in seinen ausschließlichen
Wirkungskreis gehört, als um die gemeinsamen Angelegenheiten vieler, weil
sich die meisten der Arbeit gern entziehen, und jeder seiue Aufgabe dem
andern zuschiebt, wie wir dies in einem Hause sehen, das viele Dienstboten
hat." 2. Weil die Geschäfte ordentlicher erledigt werden, wenn einem jeden
die Besorgung eines bestimmten einzelnen obliegt; wenn jedermann jedes
beliebige Geschäft zu besorgen hätte, würde Verwirrung entstehen. 3. "Weil
der Friede unter den Menschen besser erhalten bleibt, wenn sich ein jeder mit
dem Seinen begnügt. Unter solchen, die ein Gut gemeinsam und ungeschieden
besitzen, zum Beispiel unter Geschwistern, sehen wir häufig Streit entstehn."
Während sich die ersten beiden Gründe nur auf die Verwaltung des Besitzes
und die Verrichtung der Arbeiten beziehen, die auch bei Kollektiveigentum ge¬
schieden werden können, indem eine Obrigkeit jedem seine besondre Aufgabe
meent, fordert der dritte ausdrücklich die Scheidung des Besitzes. Allerdings
finden sich auch Aussprüche, die, wenn man die übrigen außer acht läßt, kom¬
munistisch gedeutet werde" können (im Zusammenhang und systematisch hat ja


Konfession und Wirtschaftsleben

Alexander der Erste gab die dem Adel durch seinen Vorgänger genommnen
Rechte wieder, der Adel aber blieb dennoch, was er war, kein Stand, sondern
eine bunt zusammengewürfelte Gesellschaft von Stellenjägern im Staatsdienst.

Die Entwicklung des Adels unter Nikolaus dem Ersten bot keine Ab¬
weichungen von der frühern. Alle Versuche des Monarchen, den Adel boden¬
ständig zu machen, scheiterten an dessen Indolenz. Das Beamtentum spielte
die erste Rolle im Staate und wurde allmächtig.

In den sechziger Jahren gab es tatsächlich keinen russischen Adelsstand,
sondern nur ein als Adel bezeichnetes bureaukratisches Gefüge, in dem drei
einander feindlich gesinnte Gruppen der Gesellschaft mechanisch vereinigt waren:
das Beamtentum, der Großgrundbesitz und die Intelligenz, alle drei durchsetzt,
ergänzt, beeinflußt von starken Elementen, die aus der Bauern- und Kaufmann--
schaft zu thuen übergetreten waren.




Konfession und Wirtschaftsleben
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W-MMK^protestantische Autoren pflegen Thomas zu beschuldige«, daß er
den Kommunismus für naturrechtlich geboten erkläre. In Wirk¬
lichkeit tut er gerade das Gegenteil. Im Anschluß an Aristoteles
erklärt er das Privateigentum aus drei Gründen für notwendig.
I I. Weil ohne solches ein wichtiger Antrieb zur Arbeit fehlen
würde. „Ein jeder ist mehr besorgt um das, was in seinen ausschließlichen
Wirkungskreis gehört, als um die gemeinsamen Angelegenheiten vieler, weil
sich die meisten der Arbeit gern entziehen, und jeder seiue Aufgabe dem
andern zuschiebt, wie wir dies in einem Hause sehen, das viele Dienstboten
hat." 2. Weil die Geschäfte ordentlicher erledigt werden, wenn einem jeden
die Besorgung eines bestimmten einzelnen obliegt; wenn jedermann jedes
beliebige Geschäft zu besorgen hätte, würde Verwirrung entstehen. 3. „Weil
der Friede unter den Menschen besser erhalten bleibt, wenn sich ein jeder mit
dem Seinen begnügt. Unter solchen, die ein Gut gemeinsam und ungeschieden
besitzen, zum Beispiel unter Geschwistern, sehen wir häufig Streit entstehn."
Während sich die ersten beiden Gründe nur auf die Verwaltung des Besitzes
und die Verrichtung der Arbeiten beziehen, die auch bei Kollektiveigentum ge¬
schieden werden können, indem eine Obrigkeit jedem seine besondre Aufgabe
meent, fordert der dritte ausdrücklich die Scheidung des Besitzes. Allerdings
finden sich auch Aussprüche, die, wenn man die übrigen außer acht läßt, kom¬
munistisch gedeutet werde» können (im Zusammenhang und systematisch hat ja


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[0510] Konfession und Wirtschaftsleben Alexander der Erste gab die dem Adel durch seinen Vorgänger genommnen Rechte wieder, der Adel aber blieb dennoch, was er war, kein Stand, sondern eine bunt zusammengewürfelte Gesellschaft von Stellenjägern im Staatsdienst. Die Entwicklung des Adels unter Nikolaus dem Ersten bot keine Ab¬ weichungen von der frühern. Alle Versuche des Monarchen, den Adel boden¬ ständig zu machen, scheiterten an dessen Indolenz. Das Beamtentum spielte die erste Rolle im Staate und wurde allmächtig. In den sechziger Jahren gab es tatsächlich keinen russischen Adelsstand, sondern nur ein als Adel bezeichnetes bureaukratisches Gefüge, in dem drei einander feindlich gesinnte Gruppen der Gesellschaft mechanisch vereinigt waren: das Beamtentum, der Großgrundbesitz und die Intelligenz, alle drei durchsetzt, ergänzt, beeinflußt von starken Elementen, die aus der Bauern- und Kaufmann-- schaft zu thuen übergetreten waren. Konfession und Wirtschaftsleben 2 I:MVMHK«zx> V>'AW^ wMH W-MMK^protestantische Autoren pflegen Thomas zu beschuldige«, daß er den Kommunismus für naturrechtlich geboten erkläre. In Wirk¬ lichkeit tut er gerade das Gegenteil. Im Anschluß an Aristoteles erklärt er das Privateigentum aus drei Gründen für notwendig. I I. Weil ohne solches ein wichtiger Antrieb zur Arbeit fehlen würde. „Ein jeder ist mehr besorgt um das, was in seinen ausschließlichen Wirkungskreis gehört, als um die gemeinsamen Angelegenheiten vieler, weil sich die meisten der Arbeit gern entziehen, und jeder seiue Aufgabe dem andern zuschiebt, wie wir dies in einem Hause sehen, das viele Dienstboten hat." 2. Weil die Geschäfte ordentlicher erledigt werden, wenn einem jeden die Besorgung eines bestimmten einzelnen obliegt; wenn jedermann jedes beliebige Geschäft zu besorgen hätte, würde Verwirrung entstehen. 3. „Weil der Friede unter den Menschen besser erhalten bleibt, wenn sich ein jeder mit dem Seinen begnügt. Unter solchen, die ein Gut gemeinsam und ungeschieden besitzen, zum Beispiel unter Geschwistern, sehen wir häufig Streit entstehn." Während sich die ersten beiden Gründe nur auf die Verwaltung des Besitzes und die Verrichtung der Arbeiten beziehen, die auch bei Kollektiveigentum ge¬ schieden werden können, indem eine Obrigkeit jedem seine besondre Aufgabe meent, fordert der dritte ausdrücklich die Scheidung des Besitzes. Allerdings finden sich auch Aussprüche, die, wenn man die übrigen außer acht läßt, kom¬ munistisch gedeutet werde» können (im Zusammenhang und systematisch hat ja

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/510>, abgerufen am 28.04.2024.