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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Die Kaiserrede in Münster

user Kaiser hat das innere Bedürfnis, zuweilen seinen Gedanken
und Empfindungen einen starken, rückhaltlosen Ausdruck zu geben.
Er macht damit nur von dem natürlichen Rechte jeder selbständigen
Persönlichkeit Gebrauch, das man ihm nicht verkümmern soll. Er
verlangt ja auch gar nicht, daß jedes seiner Worte als ein für
alle verbindliches Gesetz, jede seiner Empfindungen als etwas für alle Zeit
Giltiges aufgefaßt werde. Sie sind, so eigentümlich und beachtenswert sie sind,
Ergebnisse der Stimmung, oft des Augenblicks, sie beanspruchen nicht eigentlich
Politische Bedeutung. Aber die Rede, die der Kaiser am 31. August in Münster
beim Festmahle der Provinz Westfalen gehalten hat, geht doch weit über die
Bedeutung einer flüchtigen Kundgebung und einer Gelegenheitsrede hinaus. Sie
enthält zugleich ein Programm und ein ganz persönliches Bekenntnis. Des Kaisers
Blick umfaßt, von seiner unmittelbaren Umgebung ausgehend, zugleich die Ver¬
gangenheit und die Gegenwart der Provinz, als eines Teils des preußischen
Staats; über diese Zeitgrenze noch weiter rückwärts geht er nicht, auf die mittel¬
alterliche Geschichte dieser Landschaften läßt er sich nicht ein, denn er spricht als
Landesherr, als König. Was ihm zunächst in die Augen fällt, das ist die
historisch ungewöhnlich bunte Zusammensetzung der Provinz aus ältern und
neuern Bestandteilen, aus den althohenzollernschen Gebieten, die der eben im
Rathaussaale von Münster geschlossene Westfälische Friede (1648) und die Teilung
der jülich-klevischen Erbschaft (1666) an sein Haus gebracht hat, dort das Bistum
Minden, hier Mark und Navensberg, und aus deuen, die erst 1815 dauernd
erworben worden sind, wie die Bistümer Münster und Paderborn, das alt¬
kölnische Herzogtum Westfalen, der Anteil des Erzstifts an der ausgebreiteten
Herrschaft Heinrichs des Löwen nach der Achtung des großen Welsen. "Sie wett¬
eifern aber alle miteinander in der Zugehörigkeit zu unserm Hause." Dieser
politischen Zusammensetzung entspricht die Mannigfaltigkeit der konfessionellen
Verhältnisse. Nebeneinander stehn heute die alten katholischen Bistumslande


Grenzboten III 1907 ^


Die Kaiserrede in Münster

user Kaiser hat das innere Bedürfnis, zuweilen seinen Gedanken
und Empfindungen einen starken, rückhaltlosen Ausdruck zu geben.
Er macht damit nur von dem natürlichen Rechte jeder selbständigen
Persönlichkeit Gebrauch, das man ihm nicht verkümmern soll. Er
verlangt ja auch gar nicht, daß jedes seiner Worte als ein für
alle verbindliches Gesetz, jede seiner Empfindungen als etwas für alle Zeit
Giltiges aufgefaßt werde. Sie sind, so eigentümlich und beachtenswert sie sind,
Ergebnisse der Stimmung, oft des Augenblicks, sie beanspruchen nicht eigentlich
Politische Bedeutung. Aber die Rede, die der Kaiser am 31. August in Münster
beim Festmahle der Provinz Westfalen gehalten hat, geht doch weit über die
Bedeutung einer flüchtigen Kundgebung und einer Gelegenheitsrede hinaus. Sie
enthält zugleich ein Programm und ein ganz persönliches Bekenntnis. Des Kaisers
Blick umfaßt, von seiner unmittelbaren Umgebung ausgehend, zugleich die Ver¬
gangenheit und die Gegenwart der Provinz, als eines Teils des preußischen
Staats; über diese Zeitgrenze noch weiter rückwärts geht er nicht, auf die mittel¬
alterliche Geschichte dieser Landschaften läßt er sich nicht ein, denn er spricht als
Landesherr, als König. Was ihm zunächst in die Augen fällt, das ist die
historisch ungewöhnlich bunte Zusammensetzung der Provinz aus ältern und
neuern Bestandteilen, aus den althohenzollernschen Gebieten, die der eben im
Rathaussaale von Münster geschlossene Westfälische Friede (1648) und die Teilung
der jülich-klevischen Erbschaft (1666) an sein Haus gebracht hat, dort das Bistum
Minden, hier Mark und Navensberg, und aus deuen, die erst 1815 dauernd
erworben worden sind, wie die Bistümer Münster und Paderborn, das alt¬
kölnische Herzogtum Westfalen, der Anteil des Erzstifts an der ausgebreiteten
Herrschaft Heinrichs des Löwen nach der Achtung des großen Welsen. „Sie wett¬
eifern aber alle miteinander in der Zugehörigkeit zu unserm Hause." Dieser
politischen Zusammensetzung entspricht die Mannigfaltigkeit der konfessionellen
Verhältnisse. Nebeneinander stehn heute die alten katholischen Bistumslande


Grenzboten III 1907 ^
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[0549] [Abbildung] Die Kaiserrede in Münster user Kaiser hat das innere Bedürfnis, zuweilen seinen Gedanken und Empfindungen einen starken, rückhaltlosen Ausdruck zu geben. Er macht damit nur von dem natürlichen Rechte jeder selbständigen Persönlichkeit Gebrauch, das man ihm nicht verkümmern soll. Er verlangt ja auch gar nicht, daß jedes seiner Worte als ein für alle verbindliches Gesetz, jede seiner Empfindungen als etwas für alle Zeit Giltiges aufgefaßt werde. Sie sind, so eigentümlich und beachtenswert sie sind, Ergebnisse der Stimmung, oft des Augenblicks, sie beanspruchen nicht eigentlich Politische Bedeutung. Aber die Rede, die der Kaiser am 31. August in Münster beim Festmahle der Provinz Westfalen gehalten hat, geht doch weit über die Bedeutung einer flüchtigen Kundgebung und einer Gelegenheitsrede hinaus. Sie enthält zugleich ein Programm und ein ganz persönliches Bekenntnis. Des Kaisers Blick umfaßt, von seiner unmittelbaren Umgebung ausgehend, zugleich die Ver¬ gangenheit und die Gegenwart der Provinz, als eines Teils des preußischen Staats; über diese Zeitgrenze noch weiter rückwärts geht er nicht, auf die mittel¬ alterliche Geschichte dieser Landschaften läßt er sich nicht ein, denn er spricht als Landesherr, als König. Was ihm zunächst in die Augen fällt, das ist die historisch ungewöhnlich bunte Zusammensetzung der Provinz aus ältern und neuern Bestandteilen, aus den althohenzollernschen Gebieten, die der eben im Rathaussaale von Münster geschlossene Westfälische Friede (1648) und die Teilung der jülich-klevischen Erbschaft (1666) an sein Haus gebracht hat, dort das Bistum Minden, hier Mark und Navensberg, und aus deuen, die erst 1815 dauernd erworben worden sind, wie die Bistümer Münster und Paderborn, das alt¬ kölnische Herzogtum Westfalen, der Anteil des Erzstifts an der ausgebreiteten Herrschaft Heinrichs des Löwen nach der Achtung des großen Welsen. „Sie wett¬ eifern aber alle miteinander in der Zugehörigkeit zu unserm Hause." Dieser politischen Zusammensetzung entspricht die Mannigfaltigkeit der konfessionellen Verhältnisse. Nebeneinander stehn heute die alten katholischen Bistumslande Grenzboten III 1907 ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/549>, abgerufen am 29.04.2024.