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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Bei den Glasbläsern von kauscha

schein und geringerm Ballastverbrauch etwa noch 2 bis 3 Stunden über den
Wolken geblieben, so hätten wir beim Niedergehn die Ostsee unter uns gehabt!
Die Fahrtlinie Bitterfeld-Osfowo betrug 470 Kilometer bei 27,65 Kilometer
mittlerer Geschwindigkeit, die Zeitdauer 17 Stunden und 40 Minuten.

So waren wir also statt zu den Magyaren nach Ungarn zu den Kassuben
in Pomerellen gekommen. Ebensoviel Lechisch als Deutsch hörten wir sprechen,
als sich die übliche Volksmenge um uns Scharte. Recht niedlich war, was der
Bauer, auf dessen Felde wir landeten, von seinem dreijährigen, geweckten
Söhnchen uns erzählte. Der Kleine hatte beim Spielen im Freien unsern gelben
Ballon entdeckt und eilte nun in die Stube: "Vater, komm schnell heraus! Es
kommt eine Leuchte vom Himmel." Gleich darauf aber kehrte er zurück: "Die
Leuchte ist weg, sie ist wieder in den Himmel gegangen"; waren wir doch über
dem See in den Wolken verschwunden. Endlich kam er zum drittenmal: "Vater,
die Leuchte ist wieder da, sie kommt gerade auf uns zu!"




Bei den Glasbläsern von Lauscha
Marthe Renate Fischer Von

LAGT/^"^>)S^"Äis mich der Bahnzug in schwerer Steigung hinauf nach Lauscha
führte, das für einige Herbstwochen mein Domizil bilden sollte, wußte
ich von dem großen Glasbläserdorf nicht viel mehr, als daß es
etwa 720 Meter über dem Meer liegt und um das Jahr 1597
! "unter Johann Casimir Hertzogk in Sachsen, Landgraff in Düringen"
! durch die Glasmacher Hans Greiner (Schwabenhans) und Christoph
Müller, die beide zur Sekte der Wiedertäufer gehörten und aus Süddeutschland
stammten, aber aus Böhmen zugewandert waren, gegründet worden ist, um eine
Zeit, wo der Naturwald schon dem forstwirtschaftlichen Betriebe hatte weichen
müssen, wo das Schwarzholz das Weißholz verdrängt, Eiche, Buche, Ulme usw.
im Bewaldungsplan der Fichte und der Tanne Platz gemacht hatten. In der
den Glasmachern über bedeutende Gerechtsame -- betreffend Rodeland, Wiesen-
und Bauland, Fischerei in der Lauscha, Hütefreiheit -- ausgestellten Urkunde ist
von Tannenholz zum Geschäftsbetrieb der Glasmacher die Rede, das mit vier
Groschen für die Klafter bezahlt werden sollte. Die Glasmacher hatten für die
ihnen gemachten sehr großen Zugeständnisse jährlich einen schmalen Erbzins zu
zahlen und ein Schock Trinkgläser, ebenfalls jährlich, an die Hofhaltung zu liefern.
Außerdem sollten sie angehalten sein, alles, was von Glaswerk zur Hofhaltung ge¬
braucht wurde, dieser um einen Pfennig für das Stück billiger als Fremden ab¬
zulassen.

"Geschehen vnd gegeben zue Coburgk am zehenden January Nach Chrisn
vnsers Erlösers vnd Seligmachers Geburtt im sunffzehen Hunderten vnd Sieben
vndt Neuntzigsten Jhare. Johann Casimir H. z. Sachssen."

Der junge Ort Lauscha ist schnell und kräftig angewachsen, die Glasindustrie
hat stetig zugenommen an Umfang und Ansehen. Heute zählt das große, zu


Bei den Glasbläsern von kauscha

schein und geringerm Ballastverbrauch etwa noch 2 bis 3 Stunden über den
Wolken geblieben, so hätten wir beim Niedergehn die Ostsee unter uns gehabt!
Die Fahrtlinie Bitterfeld-Osfowo betrug 470 Kilometer bei 27,65 Kilometer
mittlerer Geschwindigkeit, die Zeitdauer 17 Stunden und 40 Minuten.

So waren wir also statt zu den Magyaren nach Ungarn zu den Kassuben
in Pomerellen gekommen. Ebensoviel Lechisch als Deutsch hörten wir sprechen,
als sich die übliche Volksmenge um uns Scharte. Recht niedlich war, was der
Bauer, auf dessen Felde wir landeten, von seinem dreijährigen, geweckten
Söhnchen uns erzählte. Der Kleine hatte beim Spielen im Freien unsern gelben
Ballon entdeckt und eilte nun in die Stube: „Vater, komm schnell heraus! Es
kommt eine Leuchte vom Himmel." Gleich darauf aber kehrte er zurück: „Die
Leuchte ist weg, sie ist wieder in den Himmel gegangen"; waren wir doch über
dem See in den Wolken verschwunden. Endlich kam er zum drittenmal: „Vater,
die Leuchte ist wieder da, sie kommt gerade auf uns zu!"




Bei den Glasbläsern von Lauscha
Marthe Renate Fischer Von

LAGT/^«^>)S^«Äis mich der Bahnzug in schwerer Steigung hinauf nach Lauscha
führte, das für einige Herbstwochen mein Domizil bilden sollte, wußte
ich von dem großen Glasbläserdorf nicht viel mehr, als daß es
etwa 720 Meter über dem Meer liegt und um das Jahr 1597
! „unter Johann Casimir Hertzogk in Sachsen, Landgraff in Düringen"
! durch die Glasmacher Hans Greiner (Schwabenhans) und Christoph
Müller, die beide zur Sekte der Wiedertäufer gehörten und aus Süddeutschland
stammten, aber aus Böhmen zugewandert waren, gegründet worden ist, um eine
Zeit, wo der Naturwald schon dem forstwirtschaftlichen Betriebe hatte weichen
müssen, wo das Schwarzholz das Weißholz verdrängt, Eiche, Buche, Ulme usw.
im Bewaldungsplan der Fichte und der Tanne Platz gemacht hatten. In der
den Glasmachern über bedeutende Gerechtsame — betreffend Rodeland, Wiesen-
und Bauland, Fischerei in der Lauscha, Hütefreiheit — ausgestellten Urkunde ist
von Tannenholz zum Geschäftsbetrieb der Glasmacher die Rede, das mit vier
Groschen für die Klafter bezahlt werden sollte. Die Glasmacher hatten für die
ihnen gemachten sehr großen Zugeständnisse jährlich einen schmalen Erbzins zu
zahlen und ein Schock Trinkgläser, ebenfalls jährlich, an die Hofhaltung zu liefern.
Außerdem sollten sie angehalten sein, alles, was von Glaswerk zur Hofhaltung ge¬
braucht wurde, dieser um einen Pfennig für das Stück billiger als Fremden ab¬
zulassen.

„Geschehen vnd gegeben zue Coburgk am zehenden January Nach Chrisn
vnsers Erlösers vnd Seligmachers Geburtt im sunffzehen Hunderten vnd Sieben
vndt Neuntzigsten Jhare. Johann Casimir H. z. Sachssen."

Der junge Ort Lauscha ist schnell und kräftig angewachsen, die Glasindustrie
hat stetig zugenommen an Umfang und Ansehen. Heute zählt das große, zu


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[0582] Bei den Glasbläsern von kauscha schein und geringerm Ballastverbrauch etwa noch 2 bis 3 Stunden über den Wolken geblieben, so hätten wir beim Niedergehn die Ostsee unter uns gehabt! Die Fahrtlinie Bitterfeld-Osfowo betrug 470 Kilometer bei 27,65 Kilometer mittlerer Geschwindigkeit, die Zeitdauer 17 Stunden und 40 Minuten. So waren wir also statt zu den Magyaren nach Ungarn zu den Kassuben in Pomerellen gekommen. Ebensoviel Lechisch als Deutsch hörten wir sprechen, als sich die übliche Volksmenge um uns Scharte. Recht niedlich war, was der Bauer, auf dessen Felde wir landeten, von seinem dreijährigen, geweckten Söhnchen uns erzählte. Der Kleine hatte beim Spielen im Freien unsern gelben Ballon entdeckt und eilte nun in die Stube: „Vater, komm schnell heraus! Es kommt eine Leuchte vom Himmel." Gleich darauf aber kehrte er zurück: „Die Leuchte ist weg, sie ist wieder in den Himmel gegangen"; waren wir doch über dem See in den Wolken verschwunden. Endlich kam er zum drittenmal: „Vater, die Leuchte ist wieder da, sie kommt gerade auf uns zu!" Bei den Glasbläsern von Lauscha Marthe Renate Fischer Von LAGT/^«^>)S^«Äis mich der Bahnzug in schwerer Steigung hinauf nach Lauscha führte, das für einige Herbstwochen mein Domizil bilden sollte, wußte ich von dem großen Glasbläserdorf nicht viel mehr, als daß es etwa 720 Meter über dem Meer liegt und um das Jahr 1597 ! „unter Johann Casimir Hertzogk in Sachsen, Landgraff in Düringen" ! durch die Glasmacher Hans Greiner (Schwabenhans) und Christoph Müller, die beide zur Sekte der Wiedertäufer gehörten und aus Süddeutschland stammten, aber aus Böhmen zugewandert waren, gegründet worden ist, um eine Zeit, wo der Naturwald schon dem forstwirtschaftlichen Betriebe hatte weichen müssen, wo das Schwarzholz das Weißholz verdrängt, Eiche, Buche, Ulme usw. im Bewaldungsplan der Fichte und der Tanne Platz gemacht hatten. In der den Glasmachern über bedeutende Gerechtsame — betreffend Rodeland, Wiesen- und Bauland, Fischerei in der Lauscha, Hütefreiheit — ausgestellten Urkunde ist von Tannenholz zum Geschäftsbetrieb der Glasmacher die Rede, das mit vier Groschen für die Klafter bezahlt werden sollte. Die Glasmacher hatten für die ihnen gemachten sehr großen Zugeständnisse jährlich einen schmalen Erbzins zu zahlen und ein Schock Trinkgläser, ebenfalls jährlich, an die Hofhaltung zu liefern. Außerdem sollten sie angehalten sein, alles, was von Glaswerk zur Hofhaltung ge¬ braucht wurde, dieser um einen Pfennig für das Stück billiger als Fremden ab¬ zulassen. „Geschehen vnd gegeben zue Coburgk am zehenden January Nach Chrisn vnsers Erlösers vnd Seligmachers Geburtt im sunffzehen Hunderten vnd Sieben vndt Neuntzigsten Jhare. Johann Casimir H. z. Sachssen." Der junge Ort Lauscha ist schnell und kräftig angewachsen, die Glasindustrie hat stetig zugenommen an Umfang und Ansehen. Heute zählt das große, zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/582>, abgerufen am 28.04.2024.