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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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die höchste Geburtsziffer und weiß nichts von Selbstmord. Aber diese drei Dinge
sind nach Aussage der Nationalökonomen ein untrügliches Zeichen des Rück¬
schritts in der Kultur. Wenig Todesfälle, wenig Geburten und viele Selbst¬
morde, dann erst wird Sevilla der europäischen Kultur teilhaftig sein.

Am höchsten steht die Stadt auch in der Anzahl der Unehelichgebornen,
17,4 Prozent gegen Barcelona 2,6. Das deutet auf verderbte Sitten, sagen
die Priester. Nur nicht Sevillas eigne Priester; sie behaupten energisch, die
Stadt sei die erste Spaniens. Sind die Frauen etwa nicht die anerkannt
schönsten des Landes? Hat die Stadt nicht eine Domkirche, die an macht¬
voller Pracht mit den ersten Kirchen der Welt wetteifert und von manchen
Sachkundigen sogar über die Peterskirche in Rom gestellt wird? Gibt es eine
Bevölkerung, die so vertrauensvoll wie die sevillanische das Himmlische ganz
und gar in die Hand der Priester legt? Oder eine, die ehrlicher die Kirchen¬
feiertage hält? Und das alles ist wahr. Sevilla hat dreißig Feiertage im
Jahre, und die übrigen sind nicht allzusehr Arbeitstage. Dennoch reichen sie
nicht hin, der Freude Ausdruck zu geben, und die ganze Nacht widerhallen
die Straßen von Gesang und Geklimper und heißblütigen Rufen.

Die Nacht in Sevilla ist aber auch unbeschreiblich schön.




Einquartierung
Georg Stellanus von (Fortsetzung)

!le Bauersfrau hatte ihren Mann geweckt. siech nur einen runger
in'n Hof, sagte sie, wenn nur nich gar etwan eens von den Kälbern
ins Jauchenloch geschterzt is: se schtiehn alle mit brennenden Laternen
!drum rum.

Das Ding sah in der Tat bedenklich aus. Es gibt zwar auf
!so einem Bauerngute bis in die frühen Morgenstunden immer ein
gewisses hin und her, aber ein hin und her, bet dem Laternen grundsätzlich ver¬
mieden werden, und um das sich ein Bauer, der in gewissen Punkten fünf gerade
sein läßt, grundsätzlich nicht kümmert: wenn aber die Knechte mit Laternen hin
und her laufen, ist es eine andre Sache. Da ist etwas los, wonach man sehen
muß, um sich vor weiteren Schaden zu bewahren und bei rechter Zeit Abhilfe
zu schaffen.

Der Bauer hatte sich kaum Zeit genommen, mit den Beinen in eine Hose,
mit den Füßen in ein Paar Pantoffeln zu fahren und war hinunter in den Hof
geeilt. Sie umstanden die Grube mit Laternen, schrien und gestikulierten wild
durcheinander, und in dem dunkeln Element der geöffneten Grube schürfte der
Großkuccht mit einer langstieligen Schöpfkelle herum, einem unheimlichen Suppen¬
löffel, der im Nu alle achtzehnhundertundsechzig Zimmer des Eskorials samt dessen


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die höchste Geburtsziffer und weiß nichts von Selbstmord. Aber diese drei Dinge
sind nach Aussage der Nationalökonomen ein untrügliches Zeichen des Rück¬
schritts in der Kultur. Wenig Todesfälle, wenig Geburten und viele Selbst¬
morde, dann erst wird Sevilla der europäischen Kultur teilhaftig sein.

Am höchsten steht die Stadt auch in der Anzahl der Unehelichgebornen,
17,4 Prozent gegen Barcelona 2,6. Das deutet auf verderbte Sitten, sagen
die Priester. Nur nicht Sevillas eigne Priester; sie behaupten energisch, die
Stadt sei die erste Spaniens. Sind die Frauen etwa nicht die anerkannt
schönsten des Landes? Hat die Stadt nicht eine Domkirche, die an macht¬
voller Pracht mit den ersten Kirchen der Welt wetteifert und von manchen
Sachkundigen sogar über die Peterskirche in Rom gestellt wird? Gibt es eine
Bevölkerung, die so vertrauensvoll wie die sevillanische das Himmlische ganz
und gar in die Hand der Priester legt? Oder eine, die ehrlicher die Kirchen¬
feiertage hält? Und das alles ist wahr. Sevilla hat dreißig Feiertage im
Jahre, und die übrigen sind nicht allzusehr Arbeitstage. Dennoch reichen sie
nicht hin, der Freude Ausdruck zu geben, und die ganze Nacht widerhallen
die Straßen von Gesang und Geklimper und heißblütigen Rufen.

Die Nacht in Sevilla ist aber auch unbeschreiblich schön.




Einquartierung
Georg Stellanus von (Fortsetzung)

!le Bauersfrau hatte ihren Mann geweckt. siech nur einen runger
in'n Hof, sagte sie, wenn nur nich gar etwan eens von den Kälbern
ins Jauchenloch geschterzt is: se schtiehn alle mit brennenden Laternen
!drum rum.

Das Ding sah in der Tat bedenklich aus. Es gibt zwar auf
!so einem Bauerngute bis in die frühen Morgenstunden immer ein
gewisses hin und her, aber ein hin und her, bet dem Laternen grundsätzlich ver¬
mieden werden, und um das sich ein Bauer, der in gewissen Punkten fünf gerade
sein läßt, grundsätzlich nicht kümmert: wenn aber die Knechte mit Laternen hin
und her laufen, ist es eine andre Sache. Da ist etwas los, wonach man sehen
muß, um sich vor weiteren Schaden zu bewahren und bei rechter Zeit Abhilfe
zu schaffen.

Der Bauer hatte sich kaum Zeit genommen, mit den Beinen in eine Hose,
mit den Füßen in ein Paar Pantoffeln zu fahren und war hinunter in den Hof
geeilt. Sie umstanden die Grube mit Laternen, schrien und gestikulierten wild
durcheinander, und in dem dunkeln Element der geöffneten Grube schürfte der
Großkuccht mit einer langstieligen Schöpfkelle herum, einem unheimlichen Suppen¬
löffel, der im Nu alle achtzehnhundertundsechzig Zimmer des Eskorials samt dessen


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[0639] Einquartierung die höchste Geburtsziffer und weiß nichts von Selbstmord. Aber diese drei Dinge sind nach Aussage der Nationalökonomen ein untrügliches Zeichen des Rück¬ schritts in der Kultur. Wenig Todesfälle, wenig Geburten und viele Selbst¬ morde, dann erst wird Sevilla der europäischen Kultur teilhaftig sein. Am höchsten steht die Stadt auch in der Anzahl der Unehelichgebornen, 17,4 Prozent gegen Barcelona 2,6. Das deutet auf verderbte Sitten, sagen die Priester. Nur nicht Sevillas eigne Priester; sie behaupten energisch, die Stadt sei die erste Spaniens. Sind die Frauen etwa nicht die anerkannt schönsten des Landes? Hat die Stadt nicht eine Domkirche, die an macht¬ voller Pracht mit den ersten Kirchen der Welt wetteifert und von manchen Sachkundigen sogar über die Peterskirche in Rom gestellt wird? Gibt es eine Bevölkerung, die so vertrauensvoll wie die sevillanische das Himmlische ganz und gar in die Hand der Priester legt? Oder eine, die ehrlicher die Kirchen¬ feiertage hält? Und das alles ist wahr. Sevilla hat dreißig Feiertage im Jahre, und die übrigen sind nicht allzusehr Arbeitstage. Dennoch reichen sie nicht hin, der Freude Ausdruck zu geben, und die ganze Nacht widerhallen die Straßen von Gesang und Geklimper und heißblütigen Rufen. Die Nacht in Sevilla ist aber auch unbeschreiblich schön. Einquartierung Georg Stellanus von (Fortsetzung) !le Bauersfrau hatte ihren Mann geweckt. siech nur einen runger in'n Hof, sagte sie, wenn nur nich gar etwan eens von den Kälbern ins Jauchenloch geschterzt is: se schtiehn alle mit brennenden Laternen !drum rum. Das Ding sah in der Tat bedenklich aus. Es gibt zwar auf !so einem Bauerngute bis in die frühen Morgenstunden immer ein gewisses hin und her, aber ein hin und her, bet dem Laternen grundsätzlich ver¬ mieden werden, und um das sich ein Bauer, der in gewissen Punkten fünf gerade sein läßt, grundsätzlich nicht kümmert: wenn aber die Knechte mit Laternen hin und her laufen, ist es eine andre Sache. Da ist etwas los, wonach man sehen muß, um sich vor weiteren Schaden zu bewahren und bei rechter Zeit Abhilfe zu schaffen. Der Bauer hatte sich kaum Zeit genommen, mit den Beinen in eine Hose, mit den Füßen in ein Paar Pantoffeln zu fahren und war hinunter in den Hof geeilt. Sie umstanden die Grube mit Laternen, schrien und gestikulierten wild durcheinander, und in dem dunkeln Element der geöffneten Grube schürfte der Großkuccht mit einer langstieligen Schöpfkelle herum, einem unheimlichen Suppen¬ löffel, der im Nu alle achtzehnhundertundsechzig Zimmer des Eskorials samt dessen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/639>, abgerufen am 28.04.2024.