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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Einquartierung

ihre Zustimmung kein zweites Weib nehmen. Nur höchst ungern und nach
heftigem Sträuben geben sie diese Erlaubnis zu einer zweiten Heirat, wenn
es sich um ein Nebenweib aus anstündiger Familie handelt. Hört sie aber,
daß das Nebenweib eine Sängerin aus einer öffentlichen Singspielhalle sein
soll, so kommt es zu einem erbitterten häuslichen Kriege, der nicht selten
damit endet, daß der Gatte der Sängerin einen Damen irgendwo in der
Stadt mietet und ganz zu ihr zieht. Sein eheliches Heim betritt er nun nicht
mehr, indem er zu dem echt chinesischen Mittel greift, die Sache hinzuziehen
und den Gegner zu ermatten. Gewöhnlich kommt es denn auch so, daß die
rechtmüßige Frau im Kampfe zuerst erlahmt und nachgibt. Doch kenne ich
verschiedne Fülle, wo die Frauen es vorzogen, lieber auf jede fernere ehe¬
liche Gemeinschaft zu verzichten, als ihre Einwilligung zu dem Nebeneinander¬
wohnen mit einer Demimondäncn zu geben.

Man wird unter diesen Umstünden begreifen, daß das Los, als Neben¬
frau ihr Leben zu beschließen, nur eine verhältnismäßig kleine Zahl der Tee-
haussängerinnen trifft. Gewöhnlich ist der Lebenslauf eines "weiblichen
Invaliden der Liebesarmee" der auch bei uns übliche. Mit zunehmendem
Alter und mit dem Verlust ihrer Reize sinkt sie im Marktwerte. Ihr Aus¬
beuter entledigt sich ihrer wie eines abgetragnen Kleidungsstücks, indem er sie
an Freudenhäuser niedriger Gattung weiterverkauft, wo sie entweder ganz
verkommt oder als Dienerin oder Haussklavin ihr Leben fristet. Hier erlebt
sie dann mit grauen Haaren und zahnlosem Munde jahrein jahraus ihr eignes
Schicksal von neuem an den jungen kaum erblühten Mädchen, die wie sie dem
unersättlichen Moloch "Prostitution" in den Rachen geworfen werden. Die
chinesische Sängerin kann wirklich von sich sagen: I^asoiats oZni sxsrAn^Ä.




Einquartierung
Georg Stellanus von(Schluß)

/^FV>S_^N^""> ugust hatte Suschen ihr kleines Paket wieder eingehändigt und dafür
den mit Emil verabredeten Grund angegeben. Sie hatte die Sieben¬
meilenstiefel ohne viel Umstände bis auf weiteres in die Ecke gestellt
und sich gesagt: daß ein Soldat schon eine habe, sei ja nicht weiter
zu verwundern, und daß er die Hosenträger nicht trotzdem als gute
--I Prise habe angehn heißen, sei ein Beweis, wie recht sie gehabt habe,
ihn für einen braven Kerl zu halten. Wäre der Mißerfolg ihrer Hosenträger
Hannchen bekannt geworden, würde er ihr ungleich peinlicher gewesen sein, und
hätte sie gar gewußt, daß Hannchen die eine war, die der nette Gefreite "schon
hatte", so würde die Sache kaum ohne einige Tränen und ohne längeres Schmollen
abgegangen sein.

So saßen die drei Frauen einträchtiglich beieinander im Hofe vor der Tür.
mit Nähen beschäftigt, und besprachen, was sie nach der Kirche von Bekannten über
das und jenes gehört hatten. Der Hof war wie ausgestorben: wer abkommen
konnte, war ins Dorf zu Tanze gegangen, wer wegen der Kälber und der Milch


Grenzboten III 1907 90
Einquartierung

ihre Zustimmung kein zweites Weib nehmen. Nur höchst ungern und nach
heftigem Sträuben geben sie diese Erlaubnis zu einer zweiten Heirat, wenn
es sich um ein Nebenweib aus anstündiger Familie handelt. Hört sie aber,
daß das Nebenweib eine Sängerin aus einer öffentlichen Singspielhalle sein
soll, so kommt es zu einem erbitterten häuslichen Kriege, der nicht selten
damit endet, daß der Gatte der Sängerin einen Damen irgendwo in der
Stadt mietet und ganz zu ihr zieht. Sein eheliches Heim betritt er nun nicht
mehr, indem er zu dem echt chinesischen Mittel greift, die Sache hinzuziehen
und den Gegner zu ermatten. Gewöhnlich kommt es denn auch so, daß die
rechtmüßige Frau im Kampfe zuerst erlahmt und nachgibt. Doch kenne ich
verschiedne Fülle, wo die Frauen es vorzogen, lieber auf jede fernere ehe¬
liche Gemeinschaft zu verzichten, als ihre Einwilligung zu dem Nebeneinander¬
wohnen mit einer Demimondäncn zu geben.

Man wird unter diesen Umstünden begreifen, daß das Los, als Neben¬
frau ihr Leben zu beschließen, nur eine verhältnismäßig kleine Zahl der Tee-
haussängerinnen trifft. Gewöhnlich ist der Lebenslauf eines „weiblichen
Invaliden der Liebesarmee" der auch bei uns übliche. Mit zunehmendem
Alter und mit dem Verlust ihrer Reize sinkt sie im Marktwerte. Ihr Aus¬
beuter entledigt sich ihrer wie eines abgetragnen Kleidungsstücks, indem er sie
an Freudenhäuser niedriger Gattung weiterverkauft, wo sie entweder ganz
verkommt oder als Dienerin oder Haussklavin ihr Leben fristet. Hier erlebt
sie dann mit grauen Haaren und zahnlosem Munde jahrein jahraus ihr eignes
Schicksal von neuem an den jungen kaum erblühten Mädchen, die wie sie dem
unersättlichen Moloch „Prostitution" in den Rachen geworfen werden. Die
chinesische Sängerin kann wirklich von sich sagen: I^asoiats oZni sxsrAn^Ä.




Einquartierung
Georg Stellanus von(Schluß)

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den mit Emil verabredeten Grund angegeben. Sie hatte die Sieben¬
meilenstiefel ohne viel Umstände bis auf weiteres in die Ecke gestellt
und sich gesagt: daß ein Soldat schon eine habe, sei ja nicht weiter
zu verwundern, und daß er die Hosenträger nicht trotzdem als gute
—I Prise habe angehn heißen, sei ein Beweis, wie recht sie gehabt habe,
ihn für einen braven Kerl zu halten. Wäre der Mißerfolg ihrer Hosenträger
Hannchen bekannt geworden, würde er ihr ungleich peinlicher gewesen sein, und
hätte sie gar gewußt, daß Hannchen die eine war, die der nette Gefreite „schon
hatte", so würde die Sache kaum ohne einige Tränen und ohne längeres Schmollen
abgegangen sein.

So saßen die drei Frauen einträchtiglich beieinander im Hofe vor der Tür.
mit Nähen beschäftigt, und besprachen, was sie nach der Kirche von Bekannten über
das und jenes gehört hatten. Der Hof war wie ausgestorben: wer abkommen
konnte, war ins Dorf zu Tanze gegangen, wer wegen der Kälber und der Milch


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[0693] Einquartierung ihre Zustimmung kein zweites Weib nehmen. Nur höchst ungern und nach heftigem Sträuben geben sie diese Erlaubnis zu einer zweiten Heirat, wenn es sich um ein Nebenweib aus anstündiger Familie handelt. Hört sie aber, daß das Nebenweib eine Sängerin aus einer öffentlichen Singspielhalle sein soll, so kommt es zu einem erbitterten häuslichen Kriege, der nicht selten damit endet, daß der Gatte der Sängerin einen Damen irgendwo in der Stadt mietet und ganz zu ihr zieht. Sein eheliches Heim betritt er nun nicht mehr, indem er zu dem echt chinesischen Mittel greift, die Sache hinzuziehen und den Gegner zu ermatten. Gewöhnlich kommt es denn auch so, daß die rechtmüßige Frau im Kampfe zuerst erlahmt und nachgibt. Doch kenne ich verschiedne Fülle, wo die Frauen es vorzogen, lieber auf jede fernere ehe¬ liche Gemeinschaft zu verzichten, als ihre Einwilligung zu dem Nebeneinander¬ wohnen mit einer Demimondäncn zu geben. Man wird unter diesen Umstünden begreifen, daß das Los, als Neben¬ frau ihr Leben zu beschließen, nur eine verhältnismäßig kleine Zahl der Tee- haussängerinnen trifft. Gewöhnlich ist der Lebenslauf eines „weiblichen Invaliden der Liebesarmee" der auch bei uns übliche. Mit zunehmendem Alter und mit dem Verlust ihrer Reize sinkt sie im Marktwerte. Ihr Aus¬ beuter entledigt sich ihrer wie eines abgetragnen Kleidungsstücks, indem er sie an Freudenhäuser niedriger Gattung weiterverkauft, wo sie entweder ganz verkommt oder als Dienerin oder Haussklavin ihr Leben fristet. Hier erlebt sie dann mit grauen Haaren und zahnlosem Munde jahrein jahraus ihr eignes Schicksal von neuem an den jungen kaum erblühten Mädchen, die wie sie dem unersättlichen Moloch „Prostitution" in den Rachen geworfen werden. Die chinesische Sängerin kann wirklich von sich sagen: I^asoiats oZni sxsrAn^Ä. Einquartierung Georg Stellanus von(Schluß) /^FV>S_^N^«»> ugust hatte Suschen ihr kleines Paket wieder eingehändigt und dafür den mit Emil verabredeten Grund angegeben. Sie hatte die Sieben¬ meilenstiefel ohne viel Umstände bis auf weiteres in die Ecke gestellt und sich gesagt: daß ein Soldat schon eine habe, sei ja nicht weiter zu verwundern, und daß er die Hosenträger nicht trotzdem als gute —I Prise habe angehn heißen, sei ein Beweis, wie recht sie gehabt habe, ihn für einen braven Kerl zu halten. Wäre der Mißerfolg ihrer Hosenträger Hannchen bekannt geworden, würde er ihr ungleich peinlicher gewesen sein, und hätte sie gar gewußt, daß Hannchen die eine war, die der nette Gefreite „schon hatte", so würde die Sache kaum ohne einige Tränen und ohne längeres Schmollen abgegangen sein. So saßen die drei Frauen einträchtiglich beieinander im Hofe vor der Tür. mit Nähen beschäftigt, und besprachen, was sie nach der Kirche von Bekannten über das und jenes gehört hatten. Der Hof war wie ausgestorben: wer abkommen konnte, war ins Dorf zu Tanze gegangen, wer wegen der Kälber und der Milch Grenzboten III 1907 90

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/693>, abgerufen am 29.04.2024.