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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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Die kleine graue Katze

ohne Erfolg. Nasr-Eddin fiel schließlich vierundvierzig Jahre später doch dem
Dolche eines Bab zum Opfer. Gegenwärtig rechnet man etwa 20 Prozent der
Bevölkerung zu den Babs. Sie werden zwar nicht mehr so hart verfolgt wie
früher, müssen aber eine ähnliche Behandlung über sich ergehen lassen wie
etwa die Raskolniks in Nußland. Ihre Hauptfeinde sind die Mollahs, die für
ihre Herrschaft bangen, und ab und zu ist immer wieder, bald hier, bald dort,
so 1878 und 1888 in Jsfcchan, 1391 in Jesd, ferner in Schiras mit Feuer
und Schwert gegen sie vorgegangen worden; stärkere Verfolgungen haben auch
vor drei Jahren in einer ganzen Anzahl von Städten stattgefunden, da man
versucht hatte, die allgemeine Unzufriedenheit über die Mißwirtschaft auf sie
abzulenken.




Die kleine graue Katze
Ingeborg Maria Sick von (Fortsetzung)

W)! or ein paar Tagen machte ich meinen Besuch in Ekenäs. Es war
mir ganz peinlich, von hier aus dorthin zu gehn. Da ich dich durch
meine Mitteilungen in all den vergangnen Jahren mit den Ver¬
hältnissen hier so ziemlich auf dem laufenden erhalten habe, wirst
du dir denken können, warum, selbst wenn ich in diesem Punkt aufs
! äußerste diskret gewesen bin.

Siehst du, liebste Petrea, ein Gedanke ist mir schon öfters gekommen. Alle die
grausamen Eltern, die sich seit der Erschaffung der Welt der Vereinigung ihrer
Kinder mit dem von diesen selbsterwählten Gegenstand ihrer Liebe widersetzten,
haben diesen jungen Leuten einen unschätzbaren Dienst geleistet; denn je heftiger
die beiden darauf bestehn müssen, sich zu bekommen, desto besser verstehn sie es,
die gegenseitige Neigung zu entflammen -- und schließlich müssen die Alten ja doch
nachgeben.

Wo sich dagegen zwei nicht allein lieben, sondern auch sonst in allem für¬
einander geschaffen zu sein scheinen, und wo es den Eltern nicht einfällt, ihnen
auch nur einen Strohhalm in den Weg zu legen, sondern die im Gegenteil die
Verbindung begünstigen, da geben die jungen Leute -- das habe ich öfters be¬
obachtet -- selbst keine Ruhe, bis sie durch eine sonderbar irreführende Haltung
gegeneinander einen Haufen Mißverständnisse zwischen sich aufgerichtet haben, die
dann schließlich das vereiteln, wonach sich die beiden Menschenkinder doch so
brennend sehnen.

Deshalb möchte ich allen Eltern den guten Rat geben, doch ja der Verbindung
ihrer Kinder einige Schwierigkeiten in den Weg zu legen -- natürlich nur, wenn
sie die Verbindung wünschen. Die jungen Leute werden diese Klippen schon zu
umschiffen wissen. Ist dies nicht der Fall, dann richten sie selbst andre auf, und
an diesen scheitern sie oft vollständig.

Noch niemals habe ich jedoch diese Ansicht so beklagenswert deutlich bestätigt
gesehen, wie bei Axel Sparre und Edda Gyllenkrans. Als Edda vor sieben bis
acht Jahren von einem längern Aufenthalt nach der Konfirmation, aus der Pension in
der Schweiz zurückkehrte, und sich die beiden prächtigen Menschenkinder, die sich


Die kleine graue Katze

ohne Erfolg. Nasr-Eddin fiel schließlich vierundvierzig Jahre später doch dem
Dolche eines Bab zum Opfer. Gegenwärtig rechnet man etwa 20 Prozent der
Bevölkerung zu den Babs. Sie werden zwar nicht mehr so hart verfolgt wie
früher, müssen aber eine ähnliche Behandlung über sich ergehen lassen wie
etwa die Raskolniks in Nußland. Ihre Hauptfeinde sind die Mollahs, die für
ihre Herrschaft bangen, und ab und zu ist immer wieder, bald hier, bald dort,
so 1878 und 1888 in Jsfcchan, 1391 in Jesd, ferner in Schiras mit Feuer
und Schwert gegen sie vorgegangen worden; stärkere Verfolgungen haben auch
vor drei Jahren in einer ganzen Anzahl von Städten stattgefunden, da man
versucht hatte, die allgemeine Unzufriedenheit über die Mißwirtschaft auf sie
abzulenken.




Die kleine graue Katze
Ingeborg Maria Sick von (Fortsetzung)

W)! or ein paar Tagen machte ich meinen Besuch in Ekenäs. Es war
mir ganz peinlich, von hier aus dorthin zu gehn. Da ich dich durch
meine Mitteilungen in all den vergangnen Jahren mit den Ver¬
hältnissen hier so ziemlich auf dem laufenden erhalten habe, wirst
du dir denken können, warum, selbst wenn ich in diesem Punkt aufs
! äußerste diskret gewesen bin.

Siehst du, liebste Petrea, ein Gedanke ist mir schon öfters gekommen. Alle die
grausamen Eltern, die sich seit der Erschaffung der Welt der Vereinigung ihrer
Kinder mit dem von diesen selbsterwählten Gegenstand ihrer Liebe widersetzten,
haben diesen jungen Leuten einen unschätzbaren Dienst geleistet; denn je heftiger
die beiden darauf bestehn müssen, sich zu bekommen, desto besser verstehn sie es,
die gegenseitige Neigung zu entflammen — und schließlich müssen die Alten ja doch
nachgeben.

Wo sich dagegen zwei nicht allein lieben, sondern auch sonst in allem für¬
einander geschaffen zu sein scheinen, und wo es den Eltern nicht einfällt, ihnen
auch nur einen Strohhalm in den Weg zu legen, sondern die im Gegenteil die
Verbindung begünstigen, da geben die jungen Leute — das habe ich öfters be¬
obachtet — selbst keine Ruhe, bis sie durch eine sonderbar irreführende Haltung
gegeneinander einen Haufen Mißverständnisse zwischen sich aufgerichtet haben, die
dann schließlich das vereiteln, wonach sich die beiden Menschenkinder doch so
brennend sehnen.

Deshalb möchte ich allen Eltern den guten Rat geben, doch ja der Verbindung
ihrer Kinder einige Schwierigkeiten in den Weg zu legen — natürlich nur, wenn
sie die Verbindung wünschen. Die jungen Leute werden diese Klippen schon zu
umschiffen wissen. Ist dies nicht der Fall, dann richten sie selbst andre auf, und
an diesen scheitern sie oft vollständig.

Noch niemals habe ich jedoch diese Ansicht so beklagenswert deutlich bestätigt
gesehen, wie bei Axel Sparre und Edda Gyllenkrans. Als Edda vor sieben bis
acht Jahren von einem längern Aufenthalt nach der Konfirmation, aus der Pension in
der Schweiz zurückkehrte, und sich die beiden prächtigen Menschenkinder, die sich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/106>, abgerufen am 19.05.2024.