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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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England und Indien

Inwieweit dann schließlich China diese Gelegenheit benutzen wird, um durch
moralische oder materielle Unterstützung die willkommne Auflehnung gegen das
Fremdenjoch zu unterstützen und zugleich Revanche für den Einfall nach Lhasa
und andre britische Anzapfungen des chinesischen Reichsgebiets zunehmen, steht
ebenso dahin wie die Frage, inwieweit unter solchen Umständen die papiermäßig
verbriefte Unterstützung der nen gewonnenen japanischen Freunde zur Erhaltung
des indischen Besitzes in die Tat umgesetzt werden wird.

Es ist nicht abzuseyn, bis wohin sich die Gewalt der Wogen dann bemerkbar
machen würde, wenn sich eine allgemeine Revolution über das riesige indische
Reich ergösse, und welche Folgen der Sturm haben könnte, der die englische
Herrschaft mit elementarer Gewalt davonfegen würde. "Wer weiß, was in
der Zeiten Hintergrund noch schlummert!"

Nachwort.

In einem kürzlich erschienenen Artikel des "Tag" (24. August)
"Englisch-Jndien gefährdet?" aus der Feder des bekannten Militärschriftstellers
Generals v. Pelee-Narbonne, der an einen Artikel des Lros.ä ^rrov über die
Lage in Indien anknüpft, wird die im vorstehenden Aufsatz behandelte Frage
ebenfalls beleuchtet, wobei aber der genannte Verfasser zu einer abweichenden
Schlußfolgerung kommt. Er ist der Ansicht, daß sowohl Rußlands gegen¬
wärtige Machtlosigkeit im Verein mit dem jetzigen Freundschaftsverhältnis des
Emirs von Afghanistan zu England als auch das persönliche Interesse, das
die einheimischen Fürsten Indiens an dem Fortbestehn der britischen Herrschaft
hätten, sowie schließlich die unüberbrückbare nationale wie religiöse Gegnerschaft
zwischen den Hindus und den Mohammedanern die Aufrechterhaltung dieser
Herrschaft über Indien gewährleisteten, wenn man auch zugeben müsse, "daß
eine weitverbreitete tiefe Abneigung, vielfach glühender Haß gegen die englische
Herrschaft bestehe".

Dieser Optimismus des geschätzten Schriftstellers wird aber, wie auch unsre
vorstehenden Ausführungen dartun, in maßgebenden Kreisen Großbritanniens
selbst nicht überall geteilt. Den oben angeführten Beispielen ans der englischen
Presse wären noch manche andre aus letzter Zeit, so des Lroack ^rro^, der
Ilintsä Lsrvies (Z^fete usw. hinzuzufügen, die ihre ernste Besorgnis vor der
drohenden Nufstandsgefahr zum Ausdruck bringen. So schrieb unter anderen
vor kurzem das zuletzt genannte, sehr angesehene Militürblatt nnter dem Titel
Hie Imaum I>i'Mon folgendermaßen: "Einsichtsvollen Leuten, die ihr Indien
kennen und mit dem Charakter der Eingebornen vertraut sind, ist es aufgefallen,
daß sich Anzeichen bemerkbar gemacht haben, wonach wir uns am Vorabend
eines Nusbruchs befinden, der, wenngleich er eine andre Form als damals an¬
nehmen dürfte, kaum weniger schlimm sein wird als jener Sturm, der vor einem
halben Jahrhundert losbrach. Auch kann man die Ereignisse, die in der letzten
Zeit in Indien stattgefunden haben, nicht anders als höchst beunruhigend
(lülU'minA) bezeichnen, und wir dürfen uns nicht der bedeutsamen Tatsache ver¬
schließen, daß die Organisation einer tätigen und böswilligen Agitation gegen


England und Indien

Inwieweit dann schließlich China diese Gelegenheit benutzen wird, um durch
moralische oder materielle Unterstützung die willkommne Auflehnung gegen das
Fremdenjoch zu unterstützen und zugleich Revanche für den Einfall nach Lhasa
und andre britische Anzapfungen des chinesischen Reichsgebiets zunehmen, steht
ebenso dahin wie die Frage, inwieweit unter solchen Umständen die papiermäßig
verbriefte Unterstützung der nen gewonnenen japanischen Freunde zur Erhaltung
des indischen Besitzes in die Tat umgesetzt werden wird.

Es ist nicht abzuseyn, bis wohin sich die Gewalt der Wogen dann bemerkbar
machen würde, wenn sich eine allgemeine Revolution über das riesige indische
Reich ergösse, und welche Folgen der Sturm haben könnte, der die englische
Herrschaft mit elementarer Gewalt davonfegen würde. „Wer weiß, was in
der Zeiten Hintergrund noch schlummert!"

Nachwort.

In einem kürzlich erschienenen Artikel des „Tag" (24. August)
„Englisch-Jndien gefährdet?" aus der Feder des bekannten Militärschriftstellers
Generals v. Pelee-Narbonne, der an einen Artikel des Lros.ä ^rrov über die
Lage in Indien anknüpft, wird die im vorstehenden Aufsatz behandelte Frage
ebenfalls beleuchtet, wobei aber der genannte Verfasser zu einer abweichenden
Schlußfolgerung kommt. Er ist der Ansicht, daß sowohl Rußlands gegen¬
wärtige Machtlosigkeit im Verein mit dem jetzigen Freundschaftsverhältnis des
Emirs von Afghanistan zu England als auch das persönliche Interesse, das
die einheimischen Fürsten Indiens an dem Fortbestehn der britischen Herrschaft
hätten, sowie schließlich die unüberbrückbare nationale wie religiöse Gegnerschaft
zwischen den Hindus und den Mohammedanern die Aufrechterhaltung dieser
Herrschaft über Indien gewährleisteten, wenn man auch zugeben müsse, „daß
eine weitverbreitete tiefe Abneigung, vielfach glühender Haß gegen die englische
Herrschaft bestehe".

Dieser Optimismus des geschätzten Schriftstellers wird aber, wie auch unsre
vorstehenden Ausführungen dartun, in maßgebenden Kreisen Großbritanniens
selbst nicht überall geteilt. Den oben angeführten Beispielen ans der englischen
Presse wären noch manche andre aus letzter Zeit, so des Lroack ^rro^, der
Ilintsä Lsrvies (Z^fete usw. hinzuzufügen, die ihre ernste Besorgnis vor der
drohenden Nufstandsgefahr zum Ausdruck bringen. So schrieb unter anderen
vor kurzem das zuletzt genannte, sehr angesehene Militürblatt nnter dem Titel
Hie Imaum I>i'Mon folgendermaßen: „Einsichtsvollen Leuten, die ihr Indien
kennen und mit dem Charakter der Eingebornen vertraut sind, ist es aufgefallen,
daß sich Anzeichen bemerkbar gemacht haben, wonach wir uns am Vorabend
eines Nusbruchs befinden, der, wenngleich er eine andre Form als damals an¬
nehmen dürfte, kaum weniger schlimm sein wird als jener Sturm, der vor einem
halben Jahrhundert losbrach. Auch kann man die Ereignisse, die in der letzten
Zeit in Indien stattgefunden haben, nicht anders als höchst beunruhigend
(lülU'minA) bezeichnen, und wir dürfen uns nicht der bedeutsamen Tatsache ver¬
schließen, daß die Organisation einer tätigen und böswilligen Agitation gegen


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[0021] England und Indien Inwieweit dann schließlich China diese Gelegenheit benutzen wird, um durch moralische oder materielle Unterstützung die willkommne Auflehnung gegen das Fremdenjoch zu unterstützen und zugleich Revanche für den Einfall nach Lhasa und andre britische Anzapfungen des chinesischen Reichsgebiets zunehmen, steht ebenso dahin wie die Frage, inwieweit unter solchen Umständen die papiermäßig verbriefte Unterstützung der nen gewonnenen japanischen Freunde zur Erhaltung des indischen Besitzes in die Tat umgesetzt werden wird. Es ist nicht abzuseyn, bis wohin sich die Gewalt der Wogen dann bemerkbar machen würde, wenn sich eine allgemeine Revolution über das riesige indische Reich ergösse, und welche Folgen der Sturm haben könnte, der die englische Herrschaft mit elementarer Gewalt davonfegen würde. „Wer weiß, was in der Zeiten Hintergrund noch schlummert!" Nachwort. In einem kürzlich erschienenen Artikel des „Tag" (24. August) „Englisch-Jndien gefährdet?" aus der Feder des bekannten Militärschriftstellers Generals v. Pelee-Narbonne, der an einen Artikel des Lros.ä ^rrov über die Lage in Indien anknüpft, wird die im vorstehenden Aufsatz behandelte Frage ebenfalls beleuchtet, wobei aber der genannte Verfasser zu einer abweichenden Schlußfolgerung kommt. Er ist der Ansicht, daß sowohl Rußlands gegen¬ wärtige Machtlosigkeit im Verein mit dem jetzigen Freundschaftsverhältnis des Emirs von Afghanistan zu England als auch das persönliche Interesse, das die einheimischen Fürsten Indiens an dem Fortbestehn der britischen Herrschaft hätten, sowie schließlich die unüberbrückbare nationale wie religiöse Gegnerschaft zwischen den Hindus und den Mohammedanern die Aufrechterhaltung dieser Herrschaft über Indien gewährleisteten, wenn man auch zugeben müsse, „daß eine weitverbreitete tiefe Abneigung, vielfach glühender Haß gegen die englische Herrschaft bestehe". Dieser Optimismus des geschätzten Schriftstellers wird aber, wie auch unsre vorstehenden Ausführungen dartun, in maßgebenden Kreisen Großbritanniens selbst nicht überall geteilt. Den oben angeführten Beispielen ans der englischen Presse wären noch manche andre aus letzter Zeit, so des Lroack ^rro^, der Ilintsä Lsrvies (Z^fete usw. hinzuzufügen, die ihre ernste Besorgnis vor der drohenden Nufstandsgefahr zum Ausdruck bringen. So schrieb unter anderen vor kurzem das zuletzt genannte, sehr angesehene Militürblatt nnter dem Titel Hie Imaum I>i'Mon folgendermaßen: „Einsichtsvollen Leuten, die ihr Indien kennen und mit dem Charakter der Eingebornen vertraut sind, ist es aufgefallen, daß sich Anzeichen bemerkbar gemacht haben, wonach wir uns am Vorabend eines Nusbruchs befinden, der, wenngleich er eine andre Form als damals an¬ nehmen dürfte, kaum weniger schlimm sein wird als jener Sturm, der vor einem halben Jahrhundert losbrach. Auch kann man die Ereignisse, die in der letzten Zeit in Indien stattgefunden haben, nicht anders als höchst beunruhigend (lülU'minA) bezeichnen, und wir dürfen uns nicht der bedeutsamen Tatsache ver¬ schließen, daß die Organisation einer tätigen und böswilligen Agitation gegen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/21>, abgerufen am 19.05.2024.