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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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(Österreich und Rußland im sechzehnten Jahrhundert

>le Geschichte der Beziehungen der beiden östlichen Kaisermächte
beginnt an sich mit dem Augenblick, wo Österreich zum erstenmal ins
Leben tritt, das heißt mit König Albrecht dem Zweiten, der 1437
als Schwiegersohn Sigismunds zu dem habsburgisch-deutschen
! Besitz den von Böhmen und Ungarn hinzufügt und damit das
Donaureich zuerst zur Erscheinung kommen läßt. Aber schon 1439 stirbt er rasch
weg, und als auch sein und Elisabeths Sohn Ladislaus Postumus 1457 durch
frühen Tod abgerufen worden war, gelang es seinem Vetter und Nachfolger
Friedrich dem Dritten nicht, das Habsburgische Anrecht auf Böhmen und Ungarn
aufrecht zu erhalten. Die nationalen Strömungen brachen mit Macht hervor, und
in Prag erlangte ein Jagellone, Wladislaw, die Krone, in Ofen-Pest Hunyadis
tapfrer Sohn Matthias Corvinus; das ganze Heiratsgut, das Albrecht der Zweite
von seiner Gattin für sein Haus überkommen hatte, ging auf diese Weise ver¬
loren. Aus dieser Situation ergab sich, wie wir sofort sehen werden, das Be¬
streben der Habsburger, mit Rußland in nähere Beziehungen zu treten. Hans
Übersberger hat es nun auf Veranlassung des Fürsten Franz von und zu
Liechtenstein unternommen, in emsiger Archivarbeit ein mehrbändiges Werk:
"Österreich und Rußland seit dem Ende des fünfzehnten Jahrhunderts" zu
schreiben, von dem der erste Band vorliegt (Wien und Leipzig, Wilhelm Brau¬
müller, 1906; 584 Seiten, 12,50 Mary. Er behandelt den Stoff über die
Zeit von 1483 bis 1605: ziemlich breit, sodaß man öfters das Gefühl hat,
weniger wäre mehr gewesen, gelegentlich auch (S. 314 bis 317) ohne rechte
Anordnung, und Fremdwörter begegnen uns darin mehr, als wir im Reiche
heute ertragen. Aber Übersberger arbeitet doch offenbar mit Fleiß und Zu¬
verlässigkeit, sodaß man ihm wohlverdienten Dank zollen darf. Die Aufschlüsse
über die osteuropäischen Verhältnisse, die er uns gibt, haben ein vielseitiges
Interesse, und so mag einiges davon auch an dieser Stelle die Aufmerksamkeit
der Leser finden.

Österreich und Nußland hatten gemeinsame Interessen gegenüber ihren Nach¬
barn, und dadurch wurden sie ganz von selbst zusammengeführt. Friedrich der
Dritte hatte um die Aussichten seines Hauses und sogar gelegentlich um den
diesem noch verblichnen Besitzstand mit den Jagellonen als Herren von Polen,
Litauen und Böhmen und mit Matthias Corvinus von Ungarn zu kämpfen:
was war natürlicher, als daß er mit einem Fürsten Beziehungen zu knüpfen




(Österreich und Rußland im sechzehnten Jahrhundert

>le Geschichte der Beziehungen der beiden östlichen Kaisermächte
beginnt an sich mit dem Augenblick, wo Österreich zum erstenmal ins
Leben tritt, das heißt mit König Albrecht dem Zweiten, der 1437
als Schwiegersohn Sigismunds zu dem habsburgisch-deutschen
! Besitz den von Böhmen und Ungarn hinzufügt und damit das
Donaureich zuerst zur Erscheinung kommen läßt. Aber schon 1439 stirbt er rasch
weg, und als auch sein und Elisabeths Sohn Ladislaus Postumus 1457 durch
frühen Tod abgerufen worden war, gelang es seinem Vetter und Nachfolger
Friedrich dem Dritten nicht, das Habsburgische Anrecht auf Böhmen und Ungarn
aufrecht zu erhalten. Die nationalen Strömungen brachen mit Macht hervor, und
in Prag erlangte ein Jagellone, Wladislaw, die Krone, in Ofen-Pest Hunyadis
tapfrer Sohn Matthias Corvinus; das ganze Heiratsgut, das Albrecht der Zweite
von seiner Gattin für sein Haus überkommen hatte, ging auf diese Weise ver¬
loren. Aus dieser Situation ergab sich, wie wir sofort sehen werden, das Be¬
streben der Habsburger, mit Rußland in nähere Beziehungen zu treten. Hans
Übersberger hat es nun auf Veranlassung des Fürsten Franz von und zu
Liechtenstein unternommen, in emsiger Archivarbeit ein mehrbändiges Werk:
„Österreich und Rußland seit dem Ende des fünfzehnten Jahrhunderts" zu
schreiben, von dem der erste Band vorliegt (Wien und Leipzig, Wilhelm Brau¬
müller, 1906; 584 Seiten, 12,50 Mary. Er behandelt den Stoff über die
Zeit von 1483 bis 1605: ziemlich breit, sodaß man öfters das Gefühl hat,
weniger wäre mehr gewesen, gelegentlich auch (S. 314 bis 317) ohne rechte
Anordnung, und Fremdwörter begegnen uns darin mehr, als wir im Reiche
heute ertragen. Aber Übersberger arbeitet doch offenbar mit Fleiß und Zu¬
verlässigkeit, sodaß man ihm wohlverdienten Dank zollen darf. Die Aufschlüsse
über die osteuropäischen Verhältnisse, die er uns gibt, haben ein vielseitiges
Interesse, und so mag einiges davon auch an dieser Stelle die Aufmerksamkeit
der Leser finden.

Österreich und Nußland hatten gemeinsame Interessen gegenüber ihren Nach¬
barn, und dadurch wurden sie ganz von selbst zusammengeführt. Friedrich der
Dritte hatte um die Aussichten seines Hauses und sogar gelegentlich um den
diesem noch verblichnen Besitzstand mit den Jagellonen als Herren von Polen,
Litauen und Böhmen und mit Matthias Corvinus von Ungarn zu kämpfen:
was war natürlicher, als daß er mit einem Fürsten Beziehungen zu knüpfen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/294>, abgerufen am 19.05.2024.