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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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Die Aciffeefrage in Brasilien

Staaten, mit Ausnahme des bezwungnen Rußlands, und auch gegenüber den
Vereinigten Staaten von Amerika an dem langem Arme des Hebels, da es
dem künftigen Kriegsschauplatz am nächsten liegt.

Der Kaiser hat zuerst von allen die Gefahr der gelben Rasse offen mit
den genialen Worten ausgesprochen: Völker Europas, währet eure heiligsten
Guter. An England, das jetzt einen Herrscher auf dem Throne hat, wie ihn
das englische Volk seit den Tagen Wilhelms des Dritten nicht gesehen hat, ist
es, dem Appell dieser Kaiserworte zu folgen und ihre Umsetzung in die Tat zu
ermöglichen.




Die Kaffeefrage in Brasilien

cum in Europa der Landwirt einen recht großen Erntesegen ein¬
heimst, so freut er sich; in Brasilien aber drohte eine überreiche
Kaffeeernte das Land in eine ernste wirtschaftliche Krise zu stürzen,
weil der Weltverbrauch nicht an die Weltproduktion heranreichte
und ein Sinken der Preise eintrat, das die Kaffeepflanzer um
den Lohn ihrer Arbeit gebracht Hütte, wenn nicht der Staat Scio Paulo, der
größte Kaffeeproduzent der Welt, 8 Millionen Sack zu je 60 Kilogramm der
letzten Ernte zu Preisen aufgekauft hätte, die über den Marktpreisen standen.

Von diesem sehr begreiflichen Standpunkt aus beurteilen die Pflanzer
die Sache, während allerdings im Handel die Ansicht geltend gemacht wird,
daß gerade das spekulative Eingreifen des Staates suo Paulo in das Kaffce-
geschäft den lang andauernden Tiefstand der Marktpreise mit verschuldet habe;
denn der Staat habe sich in Operationen von einem Umfang eingelassen,
dem er auf die Dauer nicht gewachsen sei, sodaß früher oder später ein Zusammen¬
bruch zu erwarten stehe.

Doch hatte man vielleicht die Widerstandskraft und Leistungsfähigkeit
Brasiliens etwas unterschätzt, und ganz Brasilien, d, i. der Nationalkongreß,
war ja von vornherein geneigt, für den finanziellen Teil der Valorisations-
operationen gut zu stehn. Auch hat der Staat Sav Paulo seit Juni seine
Kaffeekäufe eingestellt, sodaß also das Geschüft nicht bis ins unendliche, bis
zum vollen Versagen der Kräfte fortgesetzt wird. Er hält die aufgekauften
8 Millionen Sack aus dem Markte und will abwarten, wie die nächsten
Ernten ausfallen, in der Hoffnung, daß diese unterhalb des Bedarfs bleiben
werden, und der Konsumhandel sich schließlich aus Mangel an sonstiger
disponibler Ware genötigt sehen werde, der paulistcmer Regierung den er¬
strebten Minimalpreis von 45 Franken für 50 Kilogramm Basiskaffce zu


Die Aciffeefrage in Brasilien

Staaten, mit Ausnahme des bezwungnen Rußlands, und auch gegenüber den
Vereinigten Staaten von Amerika an dem langem Arme des Hebels, da es
dem künftigen Kriegsschauplatz am nächsten liegt.

Der Kaiser hat zuerst von allen die Gefahr der gelben Rasse offen mit
den genialen Worten ausgesprochen: Völker Europas, währet eure heiligsten
Guter. An England, das jetzt einen Herrscher auf dem Throne hat, wie ihn
das englische Volk seit den Tagen Wilhelms des Dritten nicht gesehen hat, ist
es, dem Appell dieser Kaiserworte zu folgen und ihre Umsetzung in die Tat zu
ermöglichen.




Die Kaffeefrage in Brasilien

cum in Europa der Landwirt einen recht großen Erntesegen ein¬
heimst, so freut er sich; in Brasilien aber drohte eine überreiche
Kaffeeernte das Land in eine ernste wirtschaftliche Krise zu stürzen,
weil der Weltverbrauch nicht an die Weltproduktion heranreichte
und ein Sinken der Preise eintrat, das die Kaffeepflanzer um
den Lohn ihrer Arbeit gebracht Hütte, wenn nicht der Staat Scio Paulo, der
größte Kaffeeproduzent der Welt, 8 Millionen Sack zu je 60 Kilogramm der
letzten Ernte zu Preisen aufgekauft hätte, die über den Marktpreisen standen.

Von diesem sehr begreiflichen Standpunkt aus beurteilen die Pflanzer
die Sache, während allerdings im Handel die Ansicht geltend gemacht wird,
daß gerade das spekulative Eingreifen des Staates suo Paulo in das Kaffce-
geschäft den lang andauernden Tiefstand der Marktpreise mit verschuldet habe;
denn der Staat habe sich in Operationen von einem Umfang eingelassen,
dem er auf die Dauer nicht gewachsen sei, sodaß früher oder später ein Zusammen¬
bruch zu erwarten stehe.

Doch hatte man vielleicht die Widerstandskraft und Leistungsfähigkeit
Brasiliens etwas unterschätzt, und ganz Brasilien, d, i. der Nationalkongreß,
war ja von vornherein geneigt, für den finanziellen Teil der Valorisations-
operationen gut zu stehn. Auch hat der Staat Sav Paulo seit Juni seine
Kaffeekäufe eingestellt, sodaß also das Geschüft nicht bis ins unendliche, bis
zum vollen Versagen der Kräfte fortgesetzt wird. Er hält die aufgekauften
8 Millionen Sack aus dem Markte und will abwarten, wie die nächsten
Ernten ausfallen, in der Hoffnung, daß diese unterhalb des Bedarfs bleiben
werden, und der Konsumhandel sich schließlich aus Mangel an sonstiger
disponibler Ware genötigt sehen werde, der paulistcmer Regierung den er¬
strebten Minimalpreis von 45 Franken für 50 Kilogramm Basiskaffce zu


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[0343] Die Aciffeefrage in Brasilien Staaten, mit Ausnahme des bezwungnen Rußlands, und auch gegenüber den Vereinigten Staaten von Amerika an dem langem Arme des Hebels, da es dem künftigen Kriegsschauplatz am nächsten liegt. Der Kaiser hat zuerst von allen die Gefahr der gelben Rasse offen mit den genialen Worten ausgesprochen: Völker Europas, währet eure heiligsten Guter. An England, das jetzt einen Herrscher auf dem Throne hat, wie ihn das englische Volk seit den Tagen Wilhelms des Dritten nicht gesehen hat, ist es, dem Appell dieser Kaiserworte zu folgen und ihre Umsetzung in die Tat zu ermöglichen. Die Kaffeefrage in Brasilien cum in Europa der Landwirt einen recht großen Erntesegen ein¬ heimst, so freut er sich; in Brasilien aber drohte eine überreiche Kaffeeernte das Land in eine ernste wirtschaftliche Krise zu stürzen, weil der Weltverbrauch nicht an die Weltproduktion heranreichte und ein Sinken der Preise eintrat, das die Kaffeepflanzer um den Lohn ihrer Arbeit gebracht Hütte, wenn nicht der Staat Scio Paulo, der größte Kaffeeproduzent der Welt, 8 Millionen Sack zu je 60 Kilogramm der letzten Ernte zu Preisen aufgekauft hätte, die über den Marktpreisen standen. Von diesem sehr begreiflichen Standpunkt aus beurteilen die Pflanzer die Sache, während allerdings im Handel die Ansicht geltend gemacht wird, daß gerade das spekulative Eingreifen des Staates suo Paulo in das Kaffce- geschäft den lang andauernden Tiefstand der Marktpreise mit verschuldet habe; denn der Staat habe sich in Operationen von einem Umfang eingelassen, dem er auf die Dauer nicht gewachsen sei, sodaß früher oder später ein Zusammen¬ bruch zu erwarten stehe. Doch hatte man vielleicht die Widerstandskraft und Leistungsfähigkeit Brasiliens etwas unterschätzt, und ganz Brasilien, d, i. der Nationalkongreß, war ja von vornherein geneigt, für den finanziellen Teil der Valorisations- operationen gut zu stehn. Auch hat der Staat Sav Paulo seit Juni seine Kaffeekäufe eingestellt, sodaß also das Geschüft nicht bis ins unendliche, bis zum vollen Versagen der Kräfte fortgesetzt wird. Er hält die aufgekauften 8 Millionen Sack aus dem Markte und will abwarten, wie die nächsten Ernten ausfallen, in der Hoffnung, daß diese unterhalb des Bedarfs bleiben werden, und der Konsumhandel sich schließlich aus Mangel an sonstiger disponibler Ware genötigt sehen werde, der paulistcmer Regierung den er¬ strebten Minimalpreis von 45 Franken für 50 Kilogramm Basiskaffce zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/343>, abgerufen am 19.05.2024.