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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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Archilochos Arthur Preusz Lin Dichterleben eins dem Altertum von

Steh still und betrachte Archilochos, ihn, den alten Dichter
Erzürnter Jamben, welchem tausendfach der Ruhm
Ausging zur Nachtbegrenzung und zum Tageslicht.
Traun, ihn liebten die Musen mit Innigkeit und der Gott von Delos!
So eifrig war er und geübt, Begeisterung
In Wort gehüllt, zur Lyra wohl zu singen.

(Epigramm mis der griechischen Anthologie, übersehe von Bobi

!in wild bewegtes Leben wird an uns vorüberziehen: Kampf, heiße
Liebe, hehre Begeisterung, bitterer Haß, beleidigender Spott,
Wehmut, wieder wilder Kampf, Tod in der Schlacht, das sind die
^ Umrisse zum Lebensbild unsers Dichters. Eine unruhige, schroffe,
Natur, einsam, von niemand geliebt, verhaßt wegen
ihrer Spottsucht, in den höchsten Idealen getäuscht, alles zertrümmernd, innerlich
tiefuuglücklich, gar oft den Tag verlebend, der ihr "nicht einen Wunsch erfüllen
wird, nicht einen" -- sollte sie nicht zur Betrachtung und zum Studium reizen
und in uns das Verlangen wachrufen, ihr näher zu treten? Wenden wir
uns zum Lebensbild unsers Dichters. Als Quelle dienen seine Gedichte, wie
sie in Brocken als großer Trümmerhaufen vorliegen; sind sie doch besonders
geeignet, uns über seine Schicksale Aufschluß zu geben, da sie wie bei unserm
größten Lyriker Bruchstücke einer großen Konfession sind, denn auch Archilochos
hat, "was ihn erfreute oder quälte oder sonst beschäftigte, in ein Bild, ein
Gedicht verwandelt".

Archilochos stammte aus Paros. Über sein Geburtsjahr wissen wir nichts,
wir können aber seine Blüte um das Jahr 650 v. Chr. ansetze", da um diese
Zeit der reiche Lyderkvnig Gyges lebte, dessen Gold und Macht sich der genüg¬
same Dichter um keinen Preis wünscht, wie er wenigstens den biedern Zimmer¬
mann Charon sagen läßt, da alle solche Dinge seinen Augen fern liegen, und
er sich zum nil g-äiuirari bekennt. Auch die Erwähnung einer Sonnenfinsternis,
die von den Gelehrten auf den 5. April 648 gesetzt worden ist, kann uns An¬
halt für die Chronologie bieten.

Sein Vater hieß Telesikles, ein Mann aus altadlichem, priesterlichen
Geschlechte, das dem Dienst der Demeter Thesmophoros oblag, dem schon
früh durch Orakelspruch sein berühmter Sohn prophezeit wurde; also nämlich




Archilochos Arthur Preusz Lin Dichterleben eins dem Altertum von

Steh still und betrachte Archilochos, ihn, den alten Dichter
Erzürnter Jamben, welchem tausendfach der Ruhm
Ausging zur Nachtbegrenzung und zum Tageslicht.
Traun, ihn liebten die Musen mit Innigkeit und der Gott von Delos!
So eifrig war er und geübt, Begeisterung
In Wort gehüllt, zur Lyra wohl zu singen.

(Epigramm mis der griechischen Anthologie, übersehe von Bobi

!in wild bewegtes Leben wird an uns vorüberziehen: Kampf, heiße
Liebe, hehre Begeisterung, bitterer Haß, beleidigender Spott,
Wehmut, wieder wilder Kampf, Tod in der Schlacht, das sind die
^ Umrisse zum Lebensbild unsers Dichters. Eine unruhige, schroffe,
Natur, einsam, von niemand geliebt, verhaßt wegen
ihrer Spottsucht, in den höchsten Idealen getäuscht, alles zertrümmernd, innerlich
tiefuuglücklich, gar oft den Tag verlebend, der ihr „nicht einen Wunsch erfüllen
wird, nicht einen" — sollte sie nicht zur Betrachtung und zum Studium reizen
und in uns das Verlangen wachrufen, ihr näher zu treten? Wenden wir
uns zum Lebensbild unsers Dichters. Als Quelle dienen seine Gedichte, wie
sie in Brocken als großer Trümmerhaufen vorliegen; sind sie doch besonders
geeignet, uns über seine Schicksale Aufschluß zu geben, da sie wie bei unserm
größten Lyriker Bruchstücke einer großen Konfession sind, denn auch Archilochos
hat, „was ihn erfreute oder quälte oder sonst beschäftigte, in ein Bild, ein
Gedicht verwandelt".

Archilochos stammte aus Paros. Über sein Geburtsjahr wissen wir nichts,
wir können aber seine Blüte um das Jahr 650 v. Chr. ansetze», da um diese
Zeit der reiche Lyderkvnig Gyges lebte, dessen Gold und Macht sich der genüg¬
same Dichter um keinen Preis wünscht, wie er wenigstens den biedern Zimmer¬
mann Charon sagen läßt, da alle solche Dinge seinen Augen fern liegen, und
er sich zum nil g-äiuirari bekennt. Auch die Erwähnung einer Sonnenfinsternis,
die von den Gelehrten auf den 5. April 648 gesetzt worden ist, kann uns An¬
halt für die Chronologie bieten.

Sein Vater hieß Telesikles, ein Mann aus altadlichem, priesterlichen
Geschlechte, das dem Dienst der Demeter Thesmophoros oblag, dem schon
früh durch Orakelspruch sein berühmter Sohn prophezeit wurde; also nämlich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/360>, abgerufen am 19.05.2024.