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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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Die kleine graue Katze
Ingeborg Maria Sick von (Fortsetzung)

Ekenäs. 16. August


Liebste Wenda!

! es habe deinen lieben Brief wiederholt gelesen. Mir ist, als fühlte
ich deine Arme um meinen Hals -- so liebevoll ist dein Verstehen!
Du hast in Wirklichkeit teil an meinem Glück genommen.

M^H
M^Z^An meinem Glück -- ja, seit mein letzter Brief geschrieben worden
!ist, habe ich an die Worte denken müssen, die ich einmal irgendwo
! gelesen habe: "Es ist etwas Ernstes um das Glück!" Wir lieben ja
alle das Glück, das nicht etwas Ernstes ist, das Glück, in das man sich hinein¬
wirft wie in eine blühende sonnenglänzende Wiese -- erinnerst du dich an die Wald¬
wiese, wo wir in Blumen und Sonnenschein förmlich wateten?

Mein Glück ist weniger sorglos geworden, Wand"! Ich betrachte dies als
einen Fortschritt, wenn ich es auch nicht sogleich als einen solchen empfinden konnte.

Ich habe meinen lieben Herzliebsten seit mehreren Tagen nicht gesehen.
Siehst du, in seiner jubelnden Stimmung von jenem Abend ist ein Rückschlag ein¬
getreten. Die Erinnerung an seine frühere traurige Verbindung, all das, worüber
ich keine Macht habe, und worüber er sich manche Vorwürfe zu machen hat,
drückte ihn aufs neue. Es ist ja nur natürlich; gerade in dem Augenblick, wo
er vor dem neuen, dem wirklichen Glück stand, da mußte sich die Vergangenheit
wieder vor ihm aufrichten, darauf mußte er gefaßt sein. Aber wir überlegten
das nicht an jenem Abend, da waren wir nur auf der sonnigen Wiese und tauchten
unter in Licht und Blumen. Und wir meinten wie die Kinder, daß das, vor dem
wir die Augen schließen, nicht mehr da sei.

Onkel Fritz, der am nächsten Tage statt Axel herüberkam -- ich kann den
Gedanken um jenen Augenblick, wo ich seine etwas dürren Beine unter einem
großen Sonnenschirm daherschreiten sah, noch nicht recht ertragen --, teilte mir
mit, Axel sei von einer plötzlichen Schwermut überfallen worden, infolge eines
Traumes oder einer Halluzinatton von einer armen kleinen Katze, die der ver¬
storbnen Freifrau gehört hatte, und die von Ajax im vorigen Jahre todgebissen
Worden war. (Aus dieser Veranlassung war damals zwischen Axel und seiner
Gattin ein heftiger Streit entstanden, der ihren Tod zur Folge gehabt hatte.)

Axel schrieb nichts davon, er sagte nur, der Schatten vom letzten Jahre sei
wieder über ihm, und er wage es nicht, mich in ihn hineinzuziehen, sondern er
müsse sich allein mit ihm herumschlagen.

Mein Herz flog zu ihm, das kannst du dir denken ... Und doch ließ ich
den Onkel allein zurückfahren.

Verstehst du, warum ich ihn nicht begleitete?

Ich selbst verstand es im ersten Augenblick, aber am Abend, als ich zu Bett
gehn wollte, da verstand ich es plötzlich nicht mehr. Ich verstand nur, es war




Die kleine graue Katze
Ingeborg Maria Sick von (Fortsetzung)

Ekenäs. 16. August


Liebste Wenda!

! es habe deinen lieben Brief wiederholt gelesen. Mir ist, als fühlte
ich deine Arme um meinen Hals — so liebevoll ist dein Verstehen!
Du hast in Wirklichkeit teil an meinem Glück genommen.

M^H
M^Z^An meinem Glück — ja, seit mein letzter Brief geschrieben worden
!ist, habe ich an die Worte denken müssen, die ich einmal irgendwo
! gelesen habe: „Es ist etwas Ernstes um das Glück!" Wir lieben ja
alle das Glück, das nicht etwas Ernstes ist, das Glück, in das man sich hinein¬
wirft wie in eine blühende sonnenglänzende Wiese — erinnerst du dich an die Wald¬
wiese, wo wir in Blumen und Sonnenschein förmlich wateten?

Mein Glück ist weniger sorglos geworden, Wand«! Ich betrachte dies als
einen Fortschritt, wenn ich es auch nicht sogleich als einen solchen empfinden konnte.

Ich habe meinen lieben Herzliebsten seit mehreren Tagen nicht gesehen.
Siehst du, in seiner jubelnden Stimmung von jenem Abend ist ein Rückschlag ein¬
getreten. Die Erinnerung an seine frühere traurige Verbindung, all das, worüber
ich keine Macht habe, und worüber er sich manche Vorwürfe zu machen hat,
drückte ihn aufs neue. Es ist ja nur natürlich; gerade in dem Augenblick, wo
er vor dem neuen, dem wirklichen Glück stand, da mußte sich die Vergangenheit
wieder vor ihm aufrichten, darauf mußte er gefaßt sein. Aber wir überlegten
das nicht an jenem Abend, da waren wir nur auf der sonnigen Wiese und tauchten
unter in Licht und Blumen. Und wir meinten wie die Kinder, daß das, vor dem
wir die Augen schließen, nicht mehr da sei.

Onkel Fritz, der am nächsten Tage statt Axel herüberkam — ich kann den
Gedanken um jenen Augenblick, wo ich seine etwas dürren Beine unter einem
großen Sonnenschirm daherschreiten sah, noch nicht recht ertragen —, teilte mir
mit, Axel sei von einer plötzlichen Schwermut überfallen worden, infolge eines
Traumes oder einer Halluzinatton von einer armen kleinen Katze, die der ver¬
storbnen Freifrau gehört hatte, und die von Ajax im vorigen Jahre todgebissen
Worden war. (Aus dieser Veranlassung war damals zwischen Axel und seiner
Gattin ein heftiger Streit entstanden, der ihren Tod zur Folge gehabt hatte.)

Axel schrieb nichts davon, er sagte nur, der Schatten vom letzten Jahre sei
wieder über ihm, und er wage es nicht, mich in ihn hineinzuziehen, sondern er
müsse sich allein mit ihm herumschlagen.

Mein Herz flog zu ihm, das kannst du dir denken ... Und doch ließ ich
den Onkel allein zurückfahren.

Verstehst du, warum ich ihn nicht begleitete?

Ich selbst verstand es im ersten Augenblick, aber am Abend, als ich zu Bett
gehn wollte, da verstand ich es plötzlich nicht mehr. Ich verstand nur, es war


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[0429] [Abbildung] Die kleine graue Katze Ingeborg Maria Sick von (Fortsetzung) Ekenäs. 16. August Liebste Wenda! ! es habe deinen lieben Brief wiederholt gelesen. Mir ist, als fühlte ich deine Arme um meinen Hals — so liebevoll ist dein Verstehen! Du hast in Wirklichkeit teil an meinem Glück genommen. M^H M^Z^An meinem Glück — ja, seit mein letzter Brief geschrieben worden !ist, habe ich an die Worte denken müssen, die ich einmal irgendwo ! gelesen habe: „Es ist etwas Ernstes um das Glück!" Wir lieben ja alle das Glück, das nicht etwas Ernstes ist, das Glück, in das man sich hinein¬ wirft wie in eine blühende sonnenglänzende Wiese — erinnerst du dich an die Wald¬ wiese, wo wir in Blumen und Sonnenschein förmlich wateten? Mein Glück ist weniger sorglos geworden, Wand«! Ich betrachte dies als einen Fortschritt, wenn ich es auch nicht sogleich als einen solchen empfinden konnte. Ich habe meinen lieben Herzliebsten seit mehreren Tagen nicht gesehen. Siehst du, in seiner jubelnden Stimmung von jenem Abend ist ein Rückschlag ein¬ getreten. Die Erinnerung an seine frühere traurige Verbindung, all das, worüber ich keine Macht habe, und worüber er sich manche Vorwürfe zu machen hat, drückte ihn aufs neue. Es ist ja nur natürlich; gerade in dem Augenblick, wo er vor dem neuen, dem wirklichen Glück stand, da mußte sich die Vergangenheit wieder vor ihm aufrichten, darauf mußte er gefaßt sein. Aber wir überlegten das nicht an jenem Abend, da waren wir nur auf der sonnigen Wiese und tauchten unter in Licht und Blumen. Und wir meinten wie die Kinder, daß das, vor dem wir die Augen schließen, nicht mehr da sei. Onkel Fritz, der am nächsten Tage statt Axel herüberkam — ich kann den Gedanken um jenen Augenblick, wo ich seine etwas dürren Beine unter einem großen Sonnenschirm daherschreiten sah, noch nicht recht ertragen —, teilte mir mit, Axel sei von einer plötzlichen Schwermut überfallen worden, infolge eines Traumes oder einer Halluzinatton von einer armen kleinen Katze, die der ver¬ storbnen Freifrau gehört hatte, und die von Ajax im vorigen Jahre todgebissen Worden war. (Aus dieser Veranlassung war damals zwischen Axel und seiner Gattin ein heftiger Streit entstanden, der ihren Tod zur Folge gehabt hatte.) Axel schrieb nichts davon, er sagte nur, der Schatten vom letzten Jahre sei wieder über ihm, und er wage es nicht, mich in ihn hineinzuziehen, sondern er müsse sich allein mit ihm herumschlagen. Mein Herz flog zu ihm, das kannst du dir denken ... Und doch ließ ich den Onkel allein zurückfahren. Verstehst du, warum ich ihn nicht begleitete? Ich selbst verstand es im ersten Augenblick, aber am Abend, als ich zu Bett gehn wollte, da verstand ich es plötzlich nicht mehr. Ich verstand nur, es war

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/429>, abgerufen am 18.05.2024.