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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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Die kleine graue Katze
Ingeborg Maria Sick von

Skogstarp^ 18. September


Meine liebe Petrea!

> it echt weiblicher Neugierde hast du mich bei meiner Abreise gebeten,
dir sobald wie möglich eine ausführliche Beschreibung der Verhältnisse
hier zu geben, und in deinem gestrigen Briefe, den du offenbar
gleich nach Empfang meiner Karte, die dir meine glückliche Ankunft
hier gemeldet hat, geschrieben hast, wiederholst du deine Bitte.

Ohne mich ungalanterweise hinter den wenig höflichen Ausspruch
zu verschanzen, daß ein Narr mehr fragen könne, als zehn Weise zu beantworten
imstande seien, muß ich dir doch gleich sagen, daß du deinen alten Bruder in nicht
geringe Verlegenheit setzest. Überhaupt überrascht mich dein anhaltendes Fragen
recht sehr, denn ich hatte doch früher nie bemerkt, daß du dich für Axel Sparre
in besondern! Grade interessiert hättest, wenn er bei seinen Besuchen in Kopen¬
hagen ab und zu einmal mit uns frühstückte oder bei uns zu Mittag aß. Aber
ich erkenne eben jetzt die Wahrheit eines gewissen Ausspruchs, daß nämlich ein
Mann erst dann eine Frau interessiere, wenn man irgendeine Liebesgeschichte über
ihn munkle.

Die Verhältnisse hier sind natürlich sehr verändert. Du weißt, ich habe mich
Heuer so recht von Herzen darauf gefreut, diesen meinen Herbsturlaub vom Ministerium
auf dem herrlichen Skogstarp zuzubringen, ja mich doppelt gefreut in dem Ge¬
danken, selbst sehen zu können, wie glücklich mein lieber "Jung" an der Seite
seiner schönen jungen Gattin sei.

Wenn ich dir aber jetzt von dem hiesigen Leben einige Bilder aufzeichnen
will, zu deren Beschreibung ich nach den Aussprüchen meiner lieben Petrea Talent
haben soll, dann müßte ich eigentlich nicht mit einer von den beiden obengenannten
Personen beginnen, sondern vielmehr mit -- ja, mit der kleinen grauen Katze.

Wie -- höre ich dich ausrufen -- mit einer Katze? -- Jawohl mit einer Katze.

So eine Katze hast du noch nie gesehen.

Sie ist hübsch und so leichtfüßig wie ein schwebendes Flöckchen, sie ist weich,
sie ist lieb, ja, sie könnte wirklich mit den Worten unsers Dichters Christian
Winter beschrieben werden. Schlank, zierlich ist sie und anmutig wie ein junges
Fräulein, mit dem niedlichsten kugelrunden Köpfchen und einem langhaarigen seiden¬
weichen mausgrauen Pelz, genau von derselben scnnmetnen Farbe wie die kleinen
Opfer, mit denen ein blutiges Spiel zu treiben sie sich gar oft herabläßt. Dann
hat sie eine kleine Sammetpfote, die sich einem oft ganz plötzlich, etwas kalt und
zögernd, wie eine Liebkosung auf die Hand legt, ganz geschlossen und unschuldig,
als berge sie nicht die kleinen scharfen Krallen, die oft wie ein Blitz herausfahren,
und mit denen wir alle hier schon Bekanntschaft gemacht haben.




Die kleine graue Katze
Ingeborg Maria Sick von

Skogstarp^ 18. September


Meine liebe Petrea!

> it echt weiblicher Neugierde hast du mich bei meiner Abreise gebeten,
dir sobald wie möglich eine ausführliche Beschreibung der Verhältnisse
hier zu geben, und in deinem gestrigen Briefe, den du offenbar
gleich nach Empfang meiner Karte, die dir meine glückliche Ankunft
hier gemeldet hat, geschrieben hast, wiederholst du deine Bitte.

Ohne mich ungalanterweise hinter den wenig höflichen Ausspruch
zu verschanzen, daß ein Narr mehr fragen könne, als zehn Weise zu beantworten
imstande seien, muß ich dir doch gleich sagen, daß du deinen alten Bruder in nicht
geringe Verlegenheit setzest. Überhaupt überrascht mich dein anhaltendes Fragen
recht sehr, denn ich hatte doch früher nie bemerkt, daß du dich für Axel Sparre
in besondern! Grade interessiert hättest, wenn er bei seinen Besuchen in Kopen¬
hagen ab und zu einmal mit uns frühstückte oder bei uns zu Mittag aß. Aber
ich erkenne eben jetzt die Wahrheit eines gewissen Ausspruchs, daß nämlich ein
Mann erst dann eine Frau interessiere, wenn man irgendeine Liebesgeschichte über
ihn munkle.

Die Verhältnisse hier sind natürlich sehr verändert. Du weißt, ich habe mich
Heuer so recht von Herzen darauf gefreut, diesen meinen Herbsturlaub vom Ministerium
auf dem herrlichen Skogstarp zuzubringen, ja mich doppelt gefreut in dem Ge¬
danken, selbst sehen zu können, wie glücklich mein lieber „Jung" an der Seite
seiner schönen jungen Gattin sei.

Wenn ich dir aber jetzt von dem hiesigen Leben einige Bilder aufzeichnen
will, zu deren Beschreibung ich nach den Aussprüchen meiner lieben Petrea Talent
haben soll, dann müßte ich eigentlich nicht mit einer von den beiden obengenannten
Personen beginnen, sondern vielmehr mit — ja, mit der kleinen grauen Katze.

Wie — höre ich dich ausrufen — mit einer Katze? — Jawohl mit einer Katze.

So eine Katze hast du noch nie gesehen.

Sie ist hübsch und so leichtfüßig wie ein schwebendes Flöckchen, sie ist weich,
sie ist lieb, ja, sie könnte wirklich mit den Worten unsers Dichters Christian
Winter beschrieben werden. Schlank, zierlich ist sie und anmutig wie ein junges
Fräulein, mit dem niedlichsten kugelrunden Köpfchen und einem langhaarigen seiden¬
weichen mausgrauen Pelz, genau von derselben scnnmetnen Farbe wie die kleinen
Opfer, mit denen ein blutiges Spiel zu treiben sie sich gar oft herabläßt. Dann
hat sie eine kleine Sammetpfote, die sich einem oft ganz plötzlich, etwas kalt und
zögernd, wie eine Liebkosung auf die Hand legt, ganz geschlossen und unschuldig,
als berge sie nicht die kleinen scharfen Krallen, die oft wie ein Blitz herausfahren,
und mit denen wir alle hier schon Bekanntschaft gemacht haben.


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[0051] [Abbildung] Die kleine graue Katze Ingeborg Maria Sick von Skogstarp^ 18. September Meine liebe Petrea! > it echt weiblicher Neugierde hast du mich bei meiner Abreise gebeten, dir sobald wie möglich eine ausführliche Beschreibung der Verhältnisse hier zu geben, und in deinem gestrigen Briefe, den du offenbar gleich nach Empfang meiner Karte, die dir meine glückliche Ankunft hier gemeldet hat, geschrieben hast, wiederholst du deine Bitte. Ohne mich ungalanterweise hinter den wenig höflichen Ausspruch zu verschanzen, daß ein Narr mehr fragen könne, als zehn Weise zu beantworten imstande seien, muß ich dir doch gleich sagen, daß du deinen alten Bruder in nicht geringe Verlegenheit setzest. Überhaupt überrascht mich dein anhaltendes Fragen recht sehr, denn ich hatte doch früher nie bemerkt, daß du dich für Axel Sparre in besondern! Grade interessiert hättest, wenn er bei seinen Besuchen in Kopen¬ hagen ab und zu einmal mit uns frühstückte oder bei uns zu Mittag aß. Aber ich erkenne eben jetzt die Wahrheit eines gewissen Ausspruchs, daß nämlich ein Mann erst dann eine Frau interessiere, wenn man irgendeine Liebesgeschichte über ihn munkle. Die Verhältnisse hier sind natürlich sehr verändert. Du weißt, ich habe mich Heuer so recht von Herzen darauf gefreut, diesen meinen Herbsturlaub vom Ministerium auf dem herrlichen Skogstarp zuzubringen, ja mich doppelt gefreut in dem Ge¬ danken, selbst sehen zu können, wie glücklich mein lieber „Jung" an der Seite seiner schönen jungen Gattin sei. Wenn ich dir aber jetzt von dem hiesigen Leben einige Bilder aufzeichnen will, zu deren Beschreibung ich nach den Aussprüchen meiner lieben Petrea Talent haben soll, dann müßte ich eigentlich nicht mit einer von den beiden obengenannten Personen beginnen, sondern vielmehr mit — ja, mit der kleinen grauen Katze. Wie — höre ich dich ausrufen — mit einer Katze? — Jawohl mit einer Katze. So eine Katze hast du noch nie gesehen. Sie ist hübsch und so leichtfüßig wie ein schwebendes Flöckchen, sie ist weich, sie ist lieb, ja, sie könnte wirklich mit den Worten unsers Dichters Christian Winter beschrieben werden. Schlank, zierlich ist sie und anmutig wie ein junges Fräulein, mit dem niedlichsten kugelrunden Köpfchen und einem langhaarigen seiden¬ weichen mausgrauen Pelz, genau von derselben scnnmetnen Farbe wie die kleinen Opfer, mit denen ein blutiges Spiel zu treiben sie sich gar oft herabläßt. Dann hat sie eine kleine Sammetpfote, die sich einem oft ganz plötzlich, etwas kalt und zögernd, wie eine Liebkosung auf die Hand legt, ganz geschlossen und unschuldig, als berge sie nicht die kleinen scharfen Krallen, die oft wie ein Blitz herausfahren, und mit denen wir alle hier schon Bekanntschaft gemacht haben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/51>, abgerufen am 26.05.2024.