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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

gebaute, das seine innere Sehnsucht stillen und seinen Wissenstrieb befriedigen könnte.
Er studiert die Lehren der Kirchenväter, er versenkt sich in Urseins Ideen:


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Faustus prüft mit Heißhunger die Systeme der neuern Philosophen Bneon,
Desccirtes, Malebranche, Spinoza, Letbniz, Berkeley, Hobbes, Hume, Condillac,
Locke, Voltaire, Rousseau, Jacobi, Kant, Fichte, Schelling, Hegel und schließt mit
Volant", ton Wind v'o"t, av tsndro M nvaut. Schopenhauer:

Es ist natürlich, daß Verse, in denen der Dichter die Ergebnisse des Philo¬
sophischen Denkens wiedergibt, mehr der gehobnen Prosa als der lyrischen Sprache
entstammen müssen, um so mehr muß man aber bewundern, mit welcher Formen¬
gewandtheit und Klarheit Sully Prudhomme die Grundlehren der einzelnen Systeme
dargestellt hat.

Als die Grenzboten im Jahre 1889 auf die hohe ideale Tendenz Sully Prud-
hommes hinwiesen, war seine literarische Gemeinde, wie aus dem hier abgedruckten
Briefe hervorgeht, noch sehr klein; sie ist aber beständig gewachsen. Im Jahre 1902
wurde ihm der Nobelpreis in Höhe von 150000 Mark verliehen, eine Summe,
deren größten Teil er sofort in großmütiger Weise zur Unterstützung junger fran¬
zösischer Schriftsteller verwandte. Sully Prudhomme wird einst zu den wenigen
Säulen gezählt werden, die in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts die
französische Literatur vor ihrem Zusammensturz bewahrt haben.


Heine und Sterne.

Auf Anregung Erich Schmidts, der schon längst auf nahe
Beziehungen Heines zu Lnurence Sterne hingewiesen hatte, untersuchte Se. Vcicano
das Verhältnis genauer. Er weist überzeugend nach/') daß Sterne Heine in der
Zeit von 1822 bis 1830 stark beeinflußt hat, und daß Heine oft bis in neben¬
sächlichen Einzelheiten von ihm abhängig ist, daß sich Heine aber bald von seinem
Vorbilde freigemacht hat. Ain wertvollsten ist das Ergebnis, daß Heines eigen¬
tümliche Art der Mischung tiefster Ergriffenheit und spöttelnder Ironie auch von
Sterne übernommen ist. Heine versuchte selbst eine psychologische Erklärung dieser
Mischung bei Sterne und charakterisierte sich dadurch selbst. Er schrieb in der
Romantischen Schule u. a.: "Mit Unrecht glauben einige Kritiker, Jean Paul habe
mehr wahres Gefühl besessen als Sterne, weil dieser, sobald der Gegenstand, den
er behandelt, eine tragische Höhe erreicht, plötzlich in den scherzhaftesten, lachenden
Ton überspringt, statt daß Jean Paul, wenn der Spaß nur im mindesten ernsthaft
wird, allmählich zu flennen beginnt und ruhig seine Tränendrüsen cmsträufen läßt.
Nein, Sterne fühlte vielleicht noch tiefer als Jean Paul, denn er ist ein größerer
Dichter."





Heine und Sterne. Zur vergleichenden Literaturgeschichte von Stefan Vaccino. Berlin,
F. Fontane K Co., 1907. 81 Seiten. Preis 2 Mark.
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gebaute, das seine innere Sehnsucht stillen und seinen Wissenstrieb befriedigen könnte.
Er studiert die Lehren der Kirchenväter, er versenkt sich in Urseins Ideen:


^nsslins, es, loi trsmdl» se ig, ra-ison t'g.Wi8t.s:
?outv xorkvvtion clgus ton. Oiou Sö oonooit;
I^'sxi»orco M sse uns it taut clouv c>u^I oxi»es;
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Faustus prüft mit Heißhunger die Systeme der neuern Philosophen Bneon,
Desccirtes, Malebranche, Spinoza, Letbniz, Berkeley, Hobbes, Hume, Condillac,
Locke, Voltaire, Rousseau, Jacobi, Kant, Fichte, Schelling, Hegel und schließt mit
Volant«, ton Wind v'o»t, av tsndro M nvaut. Schopenhauer:

Es ist natürlich, daß Verse, in denen der Dichter die Ergebnisse des Philo¬
sophischen Denkens wiedergibt, mehr der gehobnen Prosa als der lyrischen Sprache
entstammen müssen, um so mehr muß man aber bewundern, mit welcher Formen¬
gewandtheit und Klarheit Sully Prudhomme die Grundlehren der einzelnen Systeme
dargestellt hat.

Als die Grenzboten im Jahre 1889 auf die hohe ideale Tendenz Sully Prud-
hommes hinwiesen, war seine literarische Gemeinde, wie aus dem hier abgedruckten
Briefe hervorgeht, noch sehr klein; sie ist aber beständig gewachsen. Im Jahre 1902
wurde ihm der Nobelpreis in Höhe von 150000 Mark verliehen, eine Summe,
deren größten Teil er sofort in großmütiger Weise zur Unterstützung junger fran¬
zösischer Schriftsteller verwandte. Sully Prudhomme wird einst zu den wenigen
Säulen gezählt werden, die in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts die
französische Literatur vor ihrem Zusammensturz bewahrt haben.


Heine und Sterne.

Auf Anregung Erich Schmidts, der schon längst auf nahe
Beziehungen Heines zu Lnurence Sterne hingewiesen hatte, untersuchte Se. Vcicano
das Verhältnis genauer. Er weist überzeugend nach/') daß Sterne Heine in der
Zeit von 1822 bis 1830 stark beeinflußt hat, und daß Heine oft bis in neben¬
sächlichen Einzelheiten von ihm abhängig ist, daß sich Heine aber bald von seinem
Vorbilde freigemacht hat. Ain wertvollsten ist das Ergebnis, daß Heines eigen¬
tümliche Art der Mischung tiefster Ergriffenheit und spöttelnder Ironie auch von
Sterne übernommen ist. Heine versuchte selbst eine psychologische Erklärung dieser
Mischung bei Sterne und charakterisierte sich dadurch selbst. Er schrieb in der
Romantischen Schule u. a.: „Mit Unrecht glauben einige Kritiker, Jean Paul habe
mehr wahres Gefühl besessen als Sterne, weil dieser, sobald der Gegenstand, den
er behandelt, eine tragische Höhe erreicht, plötzlich in den scherzhaftesten, lachenden
Ton überspringt, statt daß Jean Paul, wenn der Spaß nur im mindesten ernsthaft
wird, allmählich zu flennen beginnt und ruhig seine Tränendrüsen cmsträufen läßt.
Nein, Sterne fühlte vielleicht noch tiefer als Jean Paul, denn er ist ein größerer
Dichter."





Heine und Sterne. Zur vergleichenden Literaturgeschichte von Stefan Vaccino. Berlin,
F. Fontane K Co., 1907. 81 Seiten. Preis 2 Mark.
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[0064] Maßgebliches und Unmaßgebliches gebaute, das seine innere Sehnsucht stillen und seinen Wissenstrieb befriedigen könnte. Er studiert die Lehren der Kirchenväter, er versenkt sich in Urseins Ideen: ^nsslins, es, loi trsmdl» se ig, ra-ison t'g.Wi8t.s: ?outv xorkvvtion clgus ton. Oiou Sö oonooit; I^'sxi»orco M sse uns it taut clouv c>u^I oxi»es; us c-onvsvoir pArkg.it, v's8t sxigoi' a.n'it Mit. Faustus prüft mit Heißhunger die Systeme der neuern Philosophen Bneon, Desccirtes, Malebranche, Spinoza, Letbniz, Berkeley, Hobbes, Hume, Condillac, Locke, Voltaire, Rousseau, Jacobi, Kant, Fichte, Schelling, Hegel und schließt mit Volant«, ton Wind v'o»t, av tsndro M nvaut. Schopenhauer: Es ist natürlich, daß Verse, in denen der Dichter die Ergebnisse des Philo¬ sophischen Denkens wiedergibt, mehr der gehobnen Prosa als der lyrischen Sprache entstammen müssen, um so mehr muß man aber bewundern, mit welcher Formen¬ gewandtheit und Klarheit Sully Prudhomme die Grundlehren der einzelnen Systeme dargestellt hat. Als die Grenzboten im Jahre 1889 auf die hohe ideale Tendenz Sully Prud- hommes hinwiesen, war seine literarische Gemeinde, wie aus dem hier abgedruckten Briefe hervorgeht, noch sehr klein; sie ist aber beständig gewachsen. Im Jahre 1902 wurde ihm der Nobelpreis in Höhe von 150000 Mark verliehen, eine Summe, deren größten Teil er sofort in großmütiger Weise zur Unterstützung junger fran¬ zösischer Schriftsteller verwandte. Sully Prudhomme wird einst zu den wenigen Säulen gezählt werden, die in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts die französische Literatur vor ihrem Zusammensturz bewahrt haben. Heine und Sterne. Auf Anregung Erich Schmidts, der schon längst auf nahe Beziehungen Heines zu Lnurence Sterne hingewiesen hatte, untersuchte Se. Vcicano das Verhältnis genauer. Er weist überzeugend nach/') daß Sterne Heine in der Zeit von 1822 bis 1830 stark beeinflußt hat, und daß Heine oft bis in neben¬ sächlichen Einzelheiten von ihm abhängig ist, daß sich Heine aber bald von seinem Vorbilde freigemacht hat. Ain wertvollsten ist das Ergebnis, daß Heines eigen¬ tümliche Art der Mischung tiefster Ergriffenheit und spöttelnder Ironie auch von Sterne übernommen ist. Heine versuchte selbst eine psychologische Erklärung dieser Mischung bei Sterne und charakterisierte sich dadurch selbst. Er schrieb in der Romantischen Schule u. a.: „Mit Unrecht glauben einige Kritiker, Jean Paul habe mehr wahres Gefühl besessen als Sterne, weil dieser, sobald der Gegenstand, den er behandelt, eine tragische Höhe erreicht, plötzlich in den scherzhaftesten, lachenden Ton überspringt, statt daß Jean Paul, wenn der Spaß nur im mindesten ernsthaft wird, allmählich zu flennen beginnt und ruhig seine Tränendrüsen cmsträufen läßt. Nein, Sterne fühlte vielleicht noch tiefer als Jean Paul, denn er ist ein größerer Dichter." Heine und Sterne. Zur vergleichenden Literaturgeschichte von Stefan Vaccino. Berlin, F. Fontane K Co., 1907. 81 Seiten. Preis 2 Mark.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/64>, abgerufen am 19.05.2024.