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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Miltonfeier

Schauspieler. Erfreuen sie uns mit dieser ihrer Gabe, so sind wir ihnen dankbar
dafür, aber wir beneiden sie nicht darum. Der echte Deutsche vermag, gleich
Goethes Iphigenie, auch nicht einen Augenblick seines Lebens zu Schauspielern,
und schon darum kann deutsche Volkserziehung nicht auf Schauspielerei ge¬
gründet werden. Als Erholungsstätte hat das Theater seinen großen Wert,
und die es zu vervollkommnen streben, arbeiten an einem löblichen Werke. Daß
es die Bühnenkünstler in mancherlei Weise schädigt (auch leiblich; die Duse
soll nach jeder Vorstellung halb tot sein), wollen wir nicht übermäßig tragisch
nehmen, jeder der Berufe, in denen man der Menschheit dienen kann, fordert
Opfer. Aber Kirche kann das Theater nicht werden. Sollte jene einmal ver¬
schwinden -- in Frankreich scheint sie ja schon im Verschwinden begriffen zu
sein --, so müßte der Staat durch andre Veranstaltungen Ersatz schaffen, etwa
in der Weise, wie es Goethe in der pädagogischen Provinz geschehen läßt.
Übrigens besteht die Religion der drei Ehrfurchten, die dort gelehrt wird, aus
der ethnischen, der philosophischen und der christlichen als der höchsten. (1. Kapitel
des zweiten Buches.)




Miltonfeier
Wilhelm Münch von

reihundert Jahre sind vergangen, seit -- am 9. Dezember 1608 --
John Milton zu London geboren wurde. Man feiert Gedenktage
von geringerer Bedeutung. Ein großer Dichter gehört zu dem
Größten, was der Menschheit beschieden wird. Zunächst freilich
dem Volke, in dessen Sprache (und aus dessen Seele heraus) er
dichtet. Aber wenn er wirklich ein Großer ist, dann eben doch auch der
Menschheit. Auch von jenseits der Sprachgrenze her öffnen sich ihm die Geister.
Man sucht sein Lied in andrer Zunge nachzusingen. Und wie oft ist nicht die
Erlernung einer fremden Sprache unternommen worden um eines edeln Dichters
Willen, den man in seinen eignen Tönen vernehmen und verstehn wollte!

Mit dem Ruf der Größe freilich ist es nicht ganz einfach bestellt. Er
wird mitunter jäh erschüttert, und mitunter wird er allmählich gewissermaßen
von innen her ausgehöhlt. Es bleibt dann wohl bloß ein allbekannter Name,
aber von dem Geiste will sich niemand mehr erwärmen lassen. Beinahe ist es
schon so mit Klopstock. Und Milton -- ist er nicht der englische Vorgänger
Klopstocks? Ist nicht das geistliche Epos, hüben oder drüben, viel mehr ein
verstimmender als wirklich erhebender Versuch gewesen, aus irrender Tendenz
hervorgegangen? Übrigens hat Klopstock seine Bedeutung außerhalb des
Messias, und Miltons hohes Lied vom Verlornen Paradiese könnte nur Um


Miltonfeier

Schauspieler. Erfreuen sie uns mit dieser ihrer Gabe, so sind wir ihnen dankbar
dafür, aber wir beneiden sie nicht darum. Der echte Deutsche vermag, gleich
Goethes Iphigenie, auch nicht einen Augenblick seines Lebens zu Schauspielern,
und schon darum kann deutsche Volkserziehung nicht auf Schauspielerei ge¬
gründet werden. Als Erholungsstätte hat das Theater seinen großen Wert,
und die es zu vervollkommnen streben, arbeiten an einem löblichen Werke. Daß
es die Bühnenkünstler in mancherlei Weise schädigt (auch leiblich; die Duse
soll nach jeder Vorstellung halb tot sein), wollen wir nicht übermäßig tragisch
nehmen, jeder der Berufe, in denen man der Menschheit dienen kann, fordert
Opfer. Aber Kirche kann das Theater nicht werden. Sollte jene einmal ver¬
schwinden — in Frankreich scheint sie ja schon im Verschwinden begriffen zu
sein —, so müßte der Staat durch andre Veranstaltungen Ersatz schaffen, etwa
in der Weise, wie es Goethe in der pädagogischen Provinz geschehen läßt.
Übrigens besteht die Religion der drei Ehrfurchten, die dort gelehrt wird, aus
der ethnischen, der philosophischen und der christlichen als der höchsten. (1. Kapitel
des zweiten Buches.)




Miltonfeier
Wilhelm Münch von

reihundert Jahre sind vergangen, seit — am 9. Dezember 1608 —
John Milton zu London geboren wurde. Man feiert Gedenktage
von geringerer Bedeutung. Ein großer Dichter gehört zu dem
Größten, was der Menschheit beschieden wird. Zunächst freilich
dem Volke, in dessen Sprache (und aus dessen Seele heraus) er
dichtet. Aber wenn er wirklich ein Großer ist, dann eben doch auch der
Menschheit. Auch von jenseits der Sprachgrenze her öffnen sich ihm die Geister.
Man sucht sein Lied in andrer Zunge nachzusingen. Und wie oft ist nicht die
Erlernung einer fremden Sprache unternommen worden um eines edeln Dichters
Willen, den man in seinen eignen Tönen vernehmen und verstehn wollte!

Mit dem Ruf der Größe freilich ist es nicht ganz einfach bestellt. Er
wird mitunter jäh erschüttert, und mitunter wird er allmählich gewissermaßen
von innen her ausgehöhlt. Es bleibt dann wohl bloß ein allbekannter Name,
aber von dem Geiste will sich niemand mehr erwärmen lassen. Beinahe ist es
schon so mit Klopstock. Und Milton — ist er nicht der englische Vorgänger
Klopstocks? Ist nicht das geistliche Epos, hüben oder drüben, viel mehr ein
verstimmender als wirklich erhebender Versuch gewesen, aus irrender Tendenz
hervorgegangen? Übrigens hat Klopstock seine Bedeutung außerhalb des
Messias, und Miltons hohes Lied vom Verlornen Paradiese könnte nur Um


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[0542] Miltonfeier Schauspieler. Erfreuen sie uns mit dieser ihrer Gabe, so sind wir ihnen dankbar dafür, aber wir beneiden sie nicht darum. Der echte Deutsche vermag, gleich Goethes Iphigenie, auch nicht einen Augenblick seines Lebens zu Schauspielern, und schon darum kann deutsche Volkserziehung nicht auf Schauspielerei ge¬ gründet werden. Als Erholungsstätte hat das Theater seinen großen Wert, und die es zu vervollkommnen streben, arbeiten an einem löblichen Werke. Daß es die Bühnenkünstler in mancherlei Weise schädigt (auch leiblich; die Duse soll nach jeder Vorstellung halb tot sein), wollen wir nicht übermäßig tragisch nehmen, jeder der Berufe, in denen man der Menschheit dienen kann, fordert Opfer. Aber Kirche kann das Theater nicht werden. Sollte jene einmal ver¬ schwinden — in Frankreich scheint sie ja schon im Verschwinden begriffen zu sein —, so müßte der Staat durch andre Veranstaltungen Ersatz schaffen, etwa in der Weise, wie es Goethe in der pädagogischen Provinz geschehen läßt. Übrigens besteht die Religion der drei Ehrfurchten, die dort gelehrt wird, aus der ethnischen, der philosophischen und der christlichen als der höchsten. (1. Kapitel des zweiten Buches.) Miltonfeier Wilhelm Münch von reihundert Jahre sind vergangen, seit — am 9. Dezember 1608 — John Milton zu London geboren wurde. Man feiert Gedenktage von geringerer Bedeutung. Ein großer Dichter gehört zu dem Größten, was der Menschheit beschieden wird. Zunächst freilich dem Volke, in dessen Sprache (und aus dessen Seele heraus) er dichtet. Aber wenn er wirklich ein Großer ist, dann eben doch auch der Menschheit. Auch von jenseits der Sprachgrenze her öffnen sich ihm die Geister. Man sucht sein Lied in andrer Zunge nachzusingen. Und wie oft ist nicht die Erlernung einer fremden Sprache unternommen worden um eines edeln Dichters Willen, den man in seinen eignen Tönen vernehmen und verstehn wollte! Mit dem Ruf der Größe freilich ist es nicht ganz einfach bestellt. Er wird mitunter jäh erschüttert, und mitunter wird er allmählich gewissermaßen von innen her ausgehöhlt. Es bleibt dann wohl bloß ein allbekannter Name, aber von dem Geiste will sich niemand mehr erwärmen lassen. Beinahe ist es schon so mit Klopstock. Und Milton — ist er nicht der englische Vorgänger Klopstocks? Ist nicht das geistliche Epos, hüben oder drüben, viel mehr ein verstimmender als wirklich erhebender Versuch gewesen, aus irrender Tendenz hervorgegangen? Übrigens hat Klopstock seine Bedeutung außerhalb des Messias, und Miltons hohes Lied vom Verlornen Paradiese könnte nur Um

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/542>, abgerufen am 04.05.2024.