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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Adel und Bauern in Bsteuropa

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Den Gegensatz zwischen Großgrundbesitz und Pauperismus vermochte die
byzantinisch-slawische Welt nie zu versöhnen, weil sie das vermittelnde Element
des Lehnsmanns und später des Bürgers nicht aufkommen ließ, und an diesem
Gegensatze kranken deshalb bis heute alle die Völker, die das politische und Kultur¬
erbe von Byzanz angetreten haben, vor allem Russen, Türken, Rumänen, aber
auch Magyaren und Polen. Die Türken versuchten zwar, bete in den byzan¬
tinischen Lehnsgütern liegenden Keim des Lehnswesens zu entwickeln, aber nur
in rein militärischen!, nicht in sozialem Geiste. Wie schon jene Güter in solche
zerfielen, die zwölf, und solche, die nur vier Pfund wert waren, so unterschieden
auch die Türken größere Lehen, die fünfzehn Reiter, und kleinere, die nur zwei
zu stellen hatten; jene hießen Ziamete, diese Timare; jene stellten den großen,
diese den kleinen Grundbesitz dar. Aus dem Verhältnis beider auf dem Boden
Griechenlands ergibt sich, daß der meiste Grundbesitz auf den Peloponnes, auf
Thessalien und Epirus fiel, der wenigste auf Mittelgriechenland nebst Euböa,
ein Zustand, wie er, wenn man vom Peloponnes absieht, noch heute fortbesteht.*)
Im ganzen waren (1660) 74 Prozent alles Grundbesitzes in der Türkei solche
Lehnsgüter; die übrigen 26 Prozent bestanden aus Kron- und Kirchengütern.
Herrscht nun auch jetzt noch in der Türkei der Großgrundbesitz vor, so wird er
doch durch die Ausbreitung des Teilbaues stark paralysiert, indem er sich in
ein Konglomerat von Bauernhöfen aufzulösen droht.**)

Das mag aber nur für die gebirgigen, der Individualisierung leichter
fähigen Gegenden gelten; in den Ebenen dagegen herrscht in der Türkei wie in
Griechenland allgemein das Tsifliksystem. Wo nun, wie in Rußland, Rumänien
und Ungarn, fast das ganze Land eine große Ebene bildet, wird man von vorn¬
herein eine unverhältnismäßige Ausdehnung des Großgrundbesitzes erwarten
müssen, zumal wenn wir wissen, wie dieser Entwicklung durch die historischen
Verhältnisse vorgearbeitet worden war.

Die "Mächtigen" hatten seit dem dreizehnten Jahrhundert völlig freie Hand
in Byzanz; waren doch die Dynastien der Komnenen Und Paläologen selbst
aus dem Feudaladel hervorgegangen. Diesen Mächtigen gegenüber sank nun
der Bauer immer mehr zum Leibeignen, zum Sklaven herab. Bis nahe an
Konstantinopel heran dehnten sich endlose Latifundien aus, auf denen Taufende
von "Seelen" für ihre Herren arbeiteten; denn "Seele" (i/^x"?too) ist im
mittelalterlichen Griechisch der stehende Ausdruck für "Leibeigner". Es ist nun
äußerst merkwürdig, daß genau dieselben Ausdrücke für Herren und Sklaven
im Russischen wiederkehren; hier heißen die Mächtigen "Boljaren" , /die Leib¬
eignen "Duschi" (man denke an Gogols "Tote Seelen"), Bezeichnungen, die




*) Vgl. PHUippson, Geographische Zeitschrift 1907, S. 26 und desselben Thessalien und
Epirus (Berlin, 1907), Register unter "Großgrundbesitz" und "Tziflike".
Arslanian n, n. O, K9s.
Adel und Bauern in Bsteuropa

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Den Gegensatz zwischen Großgrundbesitz und Pauperismus vermochte die
byzantinisch-slawische Welt nie zu versöhnen, weil sie das vermittelnde Element
des Lehnsmanns und später des Bürgers nicht aufkommen ließ, und an diesem
Gegensatze kranken deshalb bis heute alle die Völker, die das politische und Kultur¬
erbe von Byzanz angetreten haben, vor allem Russen, Türken, Rumänen, aber
auch Magyaren und Polen. Die Türken versuchten zwar, bete in den byzan¬
tinischen Lehnsgütern liegenden Keim des Lehnswesens zu entwickeln, aber nur
in rein militärischen!, nicht in sozialem Geiste. Wie schon jene Güter in solche
zerfielen, die zwölf, und solche, die nur vier Pfund wert waren, so unterschieden
auch die Türken größere Lehen, die fünfzehn Reiter, und kleinere, die nur zwei
zu stellen hatten; jene hießen Ziamete, diese Timare; jene stellten den großen,
diese den kleinen Grundbesitz dar. Aus dem Verhältnis beider auf dem Boden
Griechenlands ergibt sich, daß der meiste Grundbesitz auf den Peloponnes, auf
Thessalien und Epirus fiel, der wenigste auf Mittelgriechenland nebst Euböa,
ein Zustand, wie er, wenn man vom Peloponnes absieht, noch heute fortbesteht.*)
Im ganzen waren (1660) 74 Prozent alles Grundbesitzes in der Türkei solche
Lehnsgüter; die übrigen 26 Prozent bestanden aus Kron- und Kirchengütern.
Herrscht nun auch jetzt noch in der Türkei der Großgrundbesitz vor, so wird er
doch durch die Ausbreitung des Teilbaues stark paralysiert, indem er sich in
ein Konglomerat von Bauernhöfen aufzulösen droht.**)

Das mag aber nur für die gebirgigen, der Individualisierung leichter
fähigen Gegenden gelten; in den Ebenen dagegen herrscht in der Türkei wie in
Griechenland allgemein das Tsifliksystem. Wo nun, wie in Rußland, Rumänien
und Ungarn, fast das ganze Land eine große Ebene bildet, wird man von vorn¬
herein eine unverhältnismäßige Ausdehnung des Großgrundbesitzes erwarten
müssen, zumal wenn wir wissen, wie dieser Entwicklung durch die historischen
Verhältnisse vorgearbeitet worden war.

Die „Mächtigen" hatten seit dem dreizehnten Jahrhundert völlig freie Hand
in Byzanz; waren doch die Dynastien der Komnenen Und Paläologen selbst
aus dem Feudaladel hervorgegangen. Diesen Mächtigen gegenüber sank nun
der Bauer immer mehr zum Leibeignen, zum Sklaven herab. Bis nahe an
Konstantinopel heran dehnten sich endlose Latifundien aus, auf denen Taufende
von „Seelen" für ihre Herren arbeiteten; denn „Seele" (i/^x«?too) ist im
mittelalterlichen Griechisch der stehende Ausdruck für „Leibeigner". Es ist nun
äußerst merkwürdig, daß genau dieselben Ausdrücke für Herren und Sklaven
im Russischen wiederkehren; hier heißen die Mächtigen „Boljaren" , /die Leib¬
eignen „Duschi" (man denke an Gogols „Tote Seelen"), Bezeichnungen, die




*) Vgl. PHUippson, Geographische Zeitschrift 1907, S. 26 und desselben Thessalien und
Epirus (Berlin, 1907), Register unter „Großgrundbesitz" und „Tziflike".
Arslanian n, n. O, K9s.
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[0367] Adel und Bauern in Bsteuropa 2 ' Den Gegensatz zwischen Großgrundbesitz und Pauperismus vermochte die byzantinisch-slawische Welt nie zu versöhnen, weil sie das vermittelnde Element des Lehnsmanns und später des Bürgers nicht aufkommen ließ, und an diesem Gegensatze kranken deshalb bis heute alle die Völker, die das politische und Kultur¬ erbe von Byzanz angetreten haben, vor allem Russen, Türken, Rumänen, aber auch Magyaren und Polen. Die Türken versuchten zwar, bete in den byzan¬ tinischen Lehnsgütern liegenden Keim des Lehnswesens zu entwickeln, aber nur in rein militärischen!, nicht in sozialem Geiste. Wie schon jene Güter in solche zerfielen, die zwölf, und solche, die nur vier Pfund wert waren, so unterschieden auch die Türken größere Lehen, die fünfzehn Reiter, und kleinere, die nur zwei zu stellen hatten; jene hießen Ziamete, diese Timare; jene stellten den großen, diese den kleinen Grundbesitz dar. Aus dem Verhältnis beider auf dem Boden Griechenlands ergibt sich, daß der meiste Grundbesitz auf den Peloponnes, auf Thessalien und Epirus fiel, der wenigste auf Mittelgriechenland nebst Euböa, ein Zustand, wie er, wenn man vom Peloponnes absieht, noch heute fortbesteht.*) Im ganzen waren (1660) 74 Prozent alles Grundbesitzes in der Türkei solche Lehnsgüter; die übrigen 26 Prozent bestanden aus Kron- und Kirchengütern. Herrscht nun auch jetzt noch in der Türkei der Großgrundbesitz vor, so wird er doch durch die Ausbreitung des Teilbaues stark paralysiert, indem er sich in ein Konglomerat von Bauernhöfen aufzulösen droht.**) Das mag aber nur für die gebirgigen, der Individualisierung leichter fähigen Gegenden gelten; in den Ebenen dagegen herrscht in der Türkei wie in Griechenland allgemein das Tsifliksystem. Wo nun, wie in Rußland, Rumänien und Ungarn, fast das ganze Land eine große Ebene bildet, wird man von vorn¬ herein eine unverhältnismäßige Ausdehnung des Großgrundbesitzes erwarten müssen, zumal wenn wir wissen, wie dieser Entwicklung durch die historischen Verhältnisse vorgearbeitet worden war. Die „Mächtigen" hatten seit dem dreizehnten Jahrhundert völlig freie Hand in Byzanz; waren doch die Dynastien der Komnenen Und Paläologen selbst aus dem Feudaladel hervorgegangen. Diesen Mächtigen gegenüber sank nun der Bauer immer mehr zum Leibeignen, zum Sklaven herab. Bis nahe an Konstantinopel heran dehnten sich endlose Latifundien aus, auf denen Taufende von „Seelen" für ihre Herren arbeiteten; denn „Seele" (i/^x«?too) ist im mittelalterlichen Griechisch der stehende Ausdruck für „Leibeigner". Es ist nun äußerst merkwürdig, daß genau dieselben Ausdrücke für Herren und Sklaven im Russischen wiederkehren; hier heißen die Mächtigen „Boljaren" , /die Leib¬ eignen „Duschi" (man denke an Gogols „Tote Seelen"), Bezeichnungen, die *) Vgl. PHUippson, Geographische Zeitschrift 1907, S. 26 und desselben Thessalien und Epirus (Berlin, 1907), Register unter „Großgrundbesitz" und „Tziflike". Arslanian n, n. O, K9s.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/367>, abgerufen am 04.05.2024.