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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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wurde zum Beispiel in Trop (Newyork) ein Polizeisupcrinteudent seines Amtes
enthoben, weil er selbst den Verkauf von Spirituosen nu die Besitzer von Bor¬
dellen betrieb. In Minneapvlis (Minnesota) erhielt der dortige Bürgermeister
und Polizeichef Auch vor einigen Jahren eine Gefängnisstrafe von sechs Jahren
und sechs Monaten, weil er in zahlreichen Fällen Bestechuugsgelder von den
Besitzerinnen öffentlicher Häuser angenommen hatte.

Solche Fälle sind allgemein bekannt, sie laufen von Zeit zu Zeit durch die
Presse und erregen die Entrüstung aller anständigen Leute, Aber das Schlimme
ist eben, daß die anständigen Elemente in den Vereinigten Staaten nicht stark
genug siud, um deren politisches Leben von dem Geiste der Unehrlichkeit zu
reinigen. Es hat sich der öffentlichen Meinung Amerikas schon seit Jahrzehnten
eine solche Gleichgiltigkeit in bezug auf die Verwaltungsgrundsätze städtischer
und staatlicher Einrichtungen bemächtigt, daß durch so kleine Reformmaßregeln,
wie sie die Bingham Bill ist, kaum etwas erreicht werden wird. Sogar eine
Reform an Haupt und Gliedern, wie sie zum Beispiel für die staatlichen
Stellungen durch die Lion Lsivies Rvloriri erstrebt wird, würde das Übel doch uicht
beseitigen können. Denn alle Gesetze und alle schönen Vorschriften bleiben aus
dem Papier stehn, wenn nicht Menschen vorhanden sind, die von ihrem Geiste
durchdrungen sind und den festen Willen haben, diese Gesetze und Vorschriften
zur Anerkennung zu bringe". So wird denn auch von der Reform der New-
yorker Polizei, wie sie jetzt von dem Commissioner Bingham auf Grund des
neuen Gesetzes versucht wird, kaum eine dauernde Besserung zu erwarten sein.
Es heißt eben leider in den amerikanischen Staats- und Stadtverwaltungen:
Andre Leute, andre Sitten.

Eine durchgreifende Besserung ist nur zu erwarten, wenn die öffentliche
Meinung der Vereinigten Staaten einmal eingesehen haben wird, daß in der
öffentlichen Verwaltung nur die unbedingteste Ehrlichkeit und Reinlichkeit
herrschen dürfen. Um ein solches Ergebnis zu erreiche", wird es aber erst eines
energischen moralischen Kreuzzuges bedürfen, für den im Augenblick in Amerika
keine Anzeichen zu entdecken sind.




Weiteres von Wilhelm Wundt

rfahren wir vorläufig noch nicht, wie Wundt das Verhältnis
zwischen Mythologie und Religion grundsätzlich auffaßt (siehe
Heft 7, Seite 328, unter), so wissen wir doch, wie er über die
Religion an sich denkt -- aus seiner Metaphysik, von der 1907
(bei Wilhelm Engelmann in Leipzig) die dritte, umgearbeitete Auf¬
lage erschienen ist. Daß seine Darstellung nicht völlig befriedigt, ist bei der
Rezension der zweite" Auflage hervorgehoben worden, aber sie erscheint immerhi n


wurde zum Beispiel in Trop (Newyork) ein Polizeisupcrinteudent seines Amtes
enthoben, weil er selbst den Verkauf von Spirituosen nu die Besitzer von Bor¬
dellen betrieb. In Minneapvlis (Minnesota) erhielt der dortige Bürgermeister
und Polizeichef Auch vor einigen Jahren eine Gefängnisstrafe von sechs Jahren
und sechs Monaten, weil er in zahlreichen Fällen Bestechuugsgelder von den
Besitzerinnen öffentlicher Häuser angenommen hatte.

Solche Fälle sind allgemein bekannt, sie laufen von Zeit zu Zeit durch die
Presse und erregen die Entrüstung aller anständigen Leute, Aber das Schlimme
ist eben, daß die anständigen Elemente in den Vereinigten Staaten nicht stark
genug siud, um deren politisches Leben von dem Geiste der Unehrlichkeit zu
reinigen. Es hat sich der öffentlichen Meinung Amerikas schon seit Jahrzehnten
eine solche Gleichgiltigkeit in bezug auf die Verwaltungsgrundsätze städtischer
und staatlicher Einrichtungen bemächtigt, daß durch so kleine Reformmaßregeln,
wie sie die Bingham Bill ist, kaum etwas erreicht werden wird. Sogar eine
Reform an Haupt und Gliedern, wie sie zum Beispiel für die staatlichen
Stellungen durch die Lion Lsivies Rvloriri erstrebt wird, würde das Übel doch uicht
beseitigen können. Denn alle Gesetze und alle schönen Vorschriften bleiben aus
dem Papier stehn, wenn nicht Menschen vorhanden sind, die von ihrem Geiste
durchdrungen sind und den festen Willen haben, diese Gesetze und Vorschriften
zur Anerkennung zu bringe». So wird denn auch von der Reform der New-
yorker Polizei, wie sie jetzt von dem Commissioner Bingham auf Grund des
neuen Gesetzes versucht wird, kaum eine dauernde Besserung zu erwarten sein.
Es heißt eben leider in den amerikanischen Staats- und Stadtverwaltungen:
Andre Leute, andre Sitten.

Eine durchgreifende Besserung ist nur zu erwarten, wenn die öffentliche
Meinung der Vereinigten Staaten einmal eingesehen haben wird, daß in der
öffentlichen Verwaltung nur die unbedingteste Ehrlichkeit und Reinlichkeit
herrschen dürfen. Um ein solches Ergebnis zu erreiche», wird es aber erst eines
energischen moralischen Kreuzzuges bedürfen, für den im Augenblick in Amerika
keine Anzeichen zu entdecken sind.




Weiteres von Wilhelm Wundt

rfahren wir vorläufig noch nicht, wie Wundt das Verhältnis
zwischen Mythologie und Religion grundsätzlich auffaßt (siehe
Heft 7, Seite 328, unter), so wissen wir doch, wie er über die
Religion an sich denkt — aus seiner Metaphysik, von der 1907
(bei Wilhelm Engelmann in Leipzig) die dritte, umgearbeitete Auf¬
lage erschienen ist. Daß seine Darstellung nicht völlig befriedigt, ist bei der
Rezension der zweite» Auflage hervorgehoben worden, aber sie erscheint immerhi n


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[0423] wurde zum Beispiel in Trop (Newyork) ein Polizeisupcrinteudent seines Amtes enthoben, weil er selbst den Verkauf von Spirituosen nu die Besitzer von Bor¬ dellen betrieb. In Minneapvlis (Minnesota) erhielt der dortige Bürgermeister und Polizeichef Auch vor einigen Jahren eine Gefängnisstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten, weil er in zahlreichen Fällen Bestechuugsgelder von den Besitzerinnen öffentlicher Häuser angenommen hatte. Solche Fälle sind allgemein bekannt, sie laufen von Zeit zu Zeit durch die Presse und erregen die Entrüstung aller anständigen Leute, Aber das Schlimme ist eben, daß die anständigen Elemente in den Vereinigten Staaten nicht stark genug siud, um deren politisches Leben von dem Geiste der Unehrlichkeit zu reinigen. Es hat sich der öffentlichen Meinung Amerikas schon seit Jahrzehnten eine solche Gleichgiltigkeit in bezug auf die Verwaltungsgrundsätze städtischer und staatlicher Einrichtungen bemächtigt, daß durch so kleine Reformmaßregeln, wie sie die Bingham Bill ist, kaum etwas erreicht werden wird. Sogar eine Reform an Haupt und Gliedern, wie sie zum Beispiel für die staatlichen Stellungen durch die Lion Lsivies Rvloriri erstrebt wird, würde das Übel doch uicht beseitigen können. Denn alle Gesetze und alle schönen Vorschriften bleiben aus dem Papier stehn, wenn nicht Menschen vorhanden sind, die von ihrem Geiste durchdrungen sind und den festen Willen haben, diese Gesetze und Vorschriften zur Anerkennung zu bringe». So wird denn auch von der Reform der New- yorker Polizei, wie sie jetzt von dem Commissioner Bingham auf Grund des neuen Gesetzes versucht wird, kaum eine dauernde Besserung zu erwarten sein. Es heißt eben leider in den amerikanischen Staats- und Stadtverwaltungen: Andre Leute, andre Sitten. Eine durchgreifende Besserung ist nur zu erwarten, wenn die öffentliche Meinung der Vereinigten Staaten einmal eingesehen haben wird, daß in der öffentlichen Verwaltung nur die unbedingteste Ehrlichkeit und Reinlichkeit herrschen dürfen. Um ein solches Ergebnis zu erreiche», wird es aber erst eines energischen moralischen Kreuzzuges bedürfen, für den im Augenblick in Amerika keine Anzeichen zu entdecken sind. Weiteres von Wilhelm Wundt rfahren wir vorläufig noch nicht, wie Wundt das Verhältnis zwischen Mythologie und Religion grundsätzlich auffaßt (siehe Heft 7, Seite 328, unter), so wissen wir doch, wie er über die Religion an sich denkt — aus seiner Metaphysik, von der 1907 (bei Wilhelm Engelmann in Leipzig) die dritte, umgearbeitete Auf¬ lage erschienen ist. Daß seine Darstellung nicht völlig befriedigt, ist bei der Rezension der zweite» Auflage hervorgehoben worden, aber sie erscheint immerhi n

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/423>, abgerufen am 04.05.2024.