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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Theodor Lindners Weltgeschichte

drei algerischen Departements: Constantine, Algier und Orca nur 19000 Mann,
jedoch keine" einzigen der Reserve ttberwiesnen. Diese Verschiedenheit in den
Leistungen in Algier und Tunis faßt man nunmehr französischcrseits ins Auge
und vertritt in den Fachkreisen die Ansicht, daß es keine Schwierigkeit haben
könne, in einem seit mehr als siebzig Jahren okkupierten Gebiet das Verfahren
anzuwenden, das in einem Schutzgebiet von verhältnismäßig neuem Datum
vortreffliche Resultate ergeben habe. Man müsse deshalb nun eine Vermehrung
der Eingeborncnregimenter Algiers in Erwägung ziehen, indem man zu einer
regelmäßigen Rekrutierungsweise, analog wie in Tunis, schreite. Zugleich müsse
man allmählich die Anzahl der wie die des Mutterlandes zusammengesetzten
Einheiten verringern und in dieser Kategorie nur die Zahl der Zuaven-
kvmpagnien und der Chasseurs-Eskadrons beibehalten, die notwendig ist, die
im algerischen Gebiet wohnenden französischen Wehrpflichtigen aufzunehmen.
Dieses Verfahren würde die mannigfachsten Vorteile bieten, die der Bericht¬
erstatter über das Kriegsbudget dargelegt habe. Zunächst werde es gestatten,
einem wenig gerechten Zustande der Dinge ein Ende zu macheu. Zurzeit erfülle
fast die Gesamtheit der jungen Franzosen ihre Dienstpflicht in geringer Entfernung
von ihrer Heimat. Aber 6500 von ihnen werden über das Mittelmeer zum
Dienst in den algerischen Truppenteilen entsandt, was eine lästige Ungleichheit
sei. Das vorgeschlague Verfahren werde überdies die Möglichkeit bieten, die
Deckungstrnppen Frankreichs an der Grenze gegen Deutschland zu verstärken.

So steht also die französische Armee wieder einmal vor der Ausführung
gewaltiger militärischer Reformen. Sie werden zwar dem Lande und seiner
Bevölkerung neue und nicht unbedeutende Lasten auferlegen und namentlich
von den leitenden Stellen ein hohes Maß von Arbeitskraft und großer Energie
verlangen. Aber mit diesem Einsatz können gute Resultate erreicht werden, die,
wenn sie sich auch nicht mit einem Schlage zeigen sollten, darum keineswegs
an Wert verlieren.




Theodor Lindners Weltgeschichte
Georg Winter von

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vI-??^n dem heftigen Kampfe der Meinungen, der unter den deutschen
Historikern in den letzten Jahrzehnten über Methode und Auf¬
gabe, Grundlagen und Ziele der Geschichtswissenschaft entstanden
ist und noch fortdauert, nimmt Theodor Liudners Weltgeschichte"),
von der vor kurzem der fünfte Band erschienen ist, eine durchaus
eigenartige und selbständige Stellung ein. Man kann ihn mit keiner der
einander heftig befehdenden Richtungen, als deren ansgesprochenste Vertreter



") Th. Lindner, Weltgeschichte seit der Völkerwanderung. In neun Bänden. Bisher er¬
schienen fünf Bände. (Stuttgart und Berlin, Cotta, 1904 bis 1907.)
Theodor Lindners Weltgeschichte

drei algerischen Departements: Constantine, Algier und Orca nur 19000 Mann,
jedoch keine» einzigen der Reserve ttberwiesnen. Diese Verschiedenheit in den
Leistungen in Algier und Tunis faßt man nunmehr französischcrseits ins Auge
und vertritt in den Fachkreisen die Ansicht, daß es keine Schwierigkeit haben
könne, in einem seit mehr als siebzig Jahren okkupierten Gebiet das Verfahren
anzuwenden, das in einem Schutzgebiet von verhältnismäßig neuem Datum
vortreffliche Resultate ergeben habe. Man müsse deshalb nun eine Vermehrung
der Eingeborncnregimenter Algiers in Erwägung ziehen, indem man zu einer
regelmäßigen Rekrutierungsweise, analog wie in Tunis, schreite. Zugleich müsse
man allmählich die Anzahl der wie die des Mutterlandes zusammengesetzten
Einheiten verringern und in dieser Kategorie nur die Zahl der Zuaven-
kvmpagnien und der Chasseurs-Eskadrons beibehalten, die notwendig ist, die
im algerischen Gebiet wohnenden französischen Wehrpflichtigen aufzunehmen.
Dieses Verfahren würde die mannigfachsten Vorteile bieten, die der Bericht¬
erstatter über das Kriegsbudget dargelegt habe. Zunächst werde es gestatten,
einem wenig gerechten Zustande der Dinge ein Ende zu macheu. Zurzeit erfülle
fast die Gesamtheit der jungen Franzosen ihre Dienstpflicht in geringer Entfernung
von ihrer Heimat. Aber 6500 von ihnen werden über das Mittelmeer zum
Dienst in den algerischen Truppenteilen entsandt, was eine lästige Ungleichheit
sei. Das vorgeschlague Verfahren werde überdies die Möglichkeit bieten, die
Deckungstrnppen Frankreichs an der Grenze gegen Deutschland zu verstärken.

So steht also die französische Armee wieder einmal vor der Ausführung
gewaltiger militärischer Reformen. Sie werden zwar dem Lande und seiner
Bevölkerung neue und nicht unbedeutende Lasten auferlegen und namentlich
von den leitenden Stellen ein hohes Maß von Arbeitskraft und großer Energie
verlangen. Aber mit diesem Einsatz können gute Resultate erreicht werden, die,
wenn sie sich auch nicht mit einem Schlage zeigen sollten, darum keineswegs
an Wert verlieren.




Theodor Lindners Weltgeschichte
Georg Winter von

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vI-??^n dem heftigen Kampfe der Meinungen, der unter den deutschen
Historikern in den letzten Jahrzehnten über Methode und Auf¬
gabe, Grundlagen und Ziele der Geschichtswissenschaft entstanden
ist und noch fortdauert, nimmt Theodor Liudners Weltgeschichte"),
von der vor kurzem der fünfte Band erschienen ist, eine durchaus
eigenartige und selbständige Stellung ein. Man kann ihn mit keiner der
einander heftig befehdenden Richtungen, als deren ansgesprochenste Vertreter



») Th. Lindner, Weltgeschichte seit der Völkerwanderung. In neun Bänden. Bisher er¬
schienen fünf Bände. (Stuttgart und Berlin, Cotta, 1904 bis 1907.)
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[0463] Theodor Lindners Weltgeschichte drei algerischen Departements: Constantine, Algier und Orca nur 19000 Mann, jedoch keine» einzigen der Reserve ttberwiesnen. Diese Verschiedenheit in den Leistungen in Algier und Tunis faßt man nunmehr französischcrseits ins Auge und vertritt in den Fachkreisen die Ansicht, daß es keine Schwierigkeit haben könne, in einem seit mehr als siebzig Jahren okkupierten Gebiet das Verfahren anzuwenden, das in einem Schutzgebiet von verhältnismäßig neuem Datum vortreffliche Resultate ergeben habe. Man müsse deshalb nun eine Vermehrung der Eingeborncnregimenter Algiers in Erwägung ziehen, indem man zu einer regelmäßigen Rekrutierungsweise, analog wie in Tunis, schreite. Zugleich müsse man allmählich die Anzahl der wie die des Mutterlandes zusammengesetzten Einheiten verringern und in dieser Kategorie nur die Zahl der Zuaven- kvmpagnien und der Chasseurs-Eskadrons beibehalten, die notwendig ist, die im algerischen Gebiet wohnenden französischen Wehrpflichtigen aufzunehmen. Dieses Verfahren würde die mannigfachsten Vorteile bieten, die der Bericht¬ erstatter über das Kriegsbudget dargelegt habe. Zunächst werde es gestatten, einem wenig gerechten Zustande der Dinge ein Ende zu macheu. Zurzeit erfülle fast die Gesamtheit der jungen Franzosen ihre Dienstpflicht in geringer Entfernung von ihrer Heimat. Aber 6500 von ihnen werden über das Mittelmeer zum Dienst in den algerischen Truppenteilen entsandt, was eine lästige Ungleichheit sei. Das vorgeschlague Verfahren werde überdies die Möglichkeit bieten, die Deckungstrnppen Frankreichs an der Grenze gegen Deutschland zu verstärken. So steht also die französische Armee wieder einmal vor der Ausführung gewaltiger militärischer Reformen. Sie werden zwar dem Lande und seiner Bevölkerung neue und nicht unbedeutende Lasten auferlegen und namentlich von den leitenden Stellen ein hohes Maß von Arbeitskraft und großer Energie verlangen. Aber mit diesem Einsatz können gute Resultate erreicht werden, die, wenn sie sich auch nicht mit einem Schlage zeigen sollten, darum keineswegs an Wert verlieren. Theodor Lindners Weltgeschichte Georg Winter von s^WW vI-??^n dem heftigen Kampfe der Meinungen, der unter den deutschen Historikern in den letzten Jahrzehnten über Methode und Auf¬ gabe, Grundlagen und Ziele der Geschichtswissenschaft entstanden ist und noch fortdauert, nimmt Theodor Liudners Weltgeschichte"), von der vor kurzem der fünfte Band erschienen ist, eine durchaus eigenartige und selbständige Stellung ein. Man kann ihn mit keiner der einander heftig befehdenden Richtungen, als deren ansgesprochenste Vertreter ») Th. Lindner, Weltgeschichte seit der Völkerwanderung. In neun Bänden. Bisher er¬ schienen fünf Bände. (Stuttgart und Berlin, Cotta, 1904 bis 1907.)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/463>, abgerufen am 04.05.2024.